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Herr Regener kehrt zurück nach Kreuzberg

Wie Hund und Herrchen: Sven Regener rockt den Kreuzberger Oranienplatz (Foto: POP EYE/Kriemann)

Solche Menschenmassen hat die Oranienstraße seit dem 1. Mai nicht mehr gesehen. Der Christopher Street Day und die Fête de la Musique, das jährliche Musikfestival zur Eröffnung des Sommers, fallen an diesem 21. Juni zusammen. Das lockt die Leute in Scharen nach Kreuzberg.


Doch im Gegensatz zum Tag der Arbeit geht es heute weniger hektisch zu. Erst am Donnerstag ist das Flüchtlingscamp am Oranienplatz niedergebrannt. Heute spazieren die Leute über den Platz, schwenken Regenbogenfahnen und unterhalten sich über das anstehende Fußballspiel, Deutschland gegen Ghana.


Vor dem Kuchenkaiser an der Naunynstraße ist eine kleine Bühne aufgebaut. Element Of Crime werden hier gleich ein paar Songs aus ihrem neuen, im Herbst erscheinenden Album vorstellen. Der Andrang ist groß. Die Leute, die vor der Bühne warten, sind nicht mehr die jüngsten. Wie Herrchen und Hund sich optisch anpassen, so ist das auch bei Element of Crime und ihren Fans. Viele der Besucher sind bereits ergraut, manche haben schütteres Haar, die meisten tragen bequeme Wochenendkleidung. Auch das haben Band und Fans gemein: Über Coolness-Fragen sind sie erhaben.


E-Dur, A-Dur, E-Dur - und die Sonne geht nicht unter


Pünktlich um 17 Uhr gehen Element of Crime auf die Bühne (zu fünft, ein Saxofonist unterstützt die Band live). Sven Regener, der Sänger, Dichter und Trompeter, begrüßt knapp das Publikum und schrammelt los. E-A-E, so die Akkordfolge des ersten Songs. Er klingt ein bisschen wie eine elektrifizierte Version von Bob Dylans "Desolation Row". "Am Fluss ging die Sonne ewig nicht unter", lautet die erste Zeile - und als wolle die Sonne der Band einen Strich durch die Rechnung machen, versteckt sie sich genau in diesem Moment hinter einer dicken Wolke.


Regener bleibt trotzdem gut gelaunt. Zwischen den Songs reißt er öfter die Arme in die Höhe wie ein Fußballer, der gerade ein Tor geschossen hat, oder er klatscht seinen Bassisten David Young ab. Für die Band ist es eine Art Heimspiel. "Früher haben wir hier gewohnt, heute spielen wir hier", freut sich Regener.


Auf das bekannte "Am Ende denk ich immer nur an dich" vom auch schon wieder fünf Jahre alten letzten Album "Immer da wo du bist bin ich nie" folgt wieder ein neues Stück. E-A-E auch hier. Regener zählt auf, was er gerne für seine Angebetete wäre: "Der Tankwart, bei dem du zu zahlen vergaßt", "die Blumen vom Spar", "der Priester sogar, dem du die Leviten last."


Niemand singt schöner über Dosenravioli

Die Wolken verdichten sich, es wird windig. Regener greift zur Trompete und singt: "Spürst du auch, wie ein Tag beginnt/ Der für jeden, der auch nur ein bisschen spinnt/ Ein großes Versprechen birgt?"


Wüsste man es nicht besser, man könnte glauben, dass es sich bei den neuen Liedern um uralte handelt. Die Melodien und Arrangements hat die Band in Variationen schon oft verwendet, auch die Themen bleiben bei Element of Crime stets dieselben. Und doch hört man immer wieder gerne zu. Weil kein Sänger im deutschsprachigen Raum so unaufgeregt schön dichtet wie Regener. Weil es keinem anderen gelingen würde, Worte wie Handysprachbox, Dosenravioli, Skypekontakte und Schwachstromsignalübertragungsweg in einem Liebeslied unterzubringen, ohne dass es auch nur ein bisschen holprig klingt.


Sogar das Wetter verneigt sich vor dieser großen Band

Zu Beginn hatte Regener gewarnt: "Ein paar Textaussetzer werden passieren, sind ja auch neue Songs." Doch falls tatsächlich Fehler passieren, kaschiert er sie geschickt. "Rettet mich vor mir selber/ Hauptsache Liebe, Hauptsache du", bettelt er in einem Lied und erklärt im nächsten: "Liebe ist kälter als der Tod." Gitarrist Jakob Ilja spielt schräge Töne, während der Erzähler im Text einen Freund bittet, seiner Verflossenen schöne Grüße auszurichten: "Wenn du sie siehst, grüß sie von mir/ Sag ihr, bei mir ist alles im Lot" - "If you see her, say hello". Auch hier lässt Dylan wieder grüßen.


Am Ende folgt ein kleiner Hitblock: "Immer da, wo du bist, bin ich nie", "Delmenhorst" und als Zugabe "Weißes Papier". Der Applaus ebbt nicht ab, und so greift die Band noch einmal zu ihren Instrumenten. "Wir haben ein bisschen darauf spekuliert und noch ein Lied vorbereitet", sagt Sven Regener. "Draußen hinterm Fenster" heißt es. Wenn Element of Crime je ein Lied zum Mitgrölen geschrieben haben, dann dieses. "Ich frage dich nicht, wo du herkommst/ Du sagst mir nicht, wo wir sind/ Wir sitzen hier fest, was auch immer geschieht/ Verwirrt, träge und verliebt."


Dann ist Schluss, und Element of Crime gehen von der Bühne. Erst jetzt beginnt es zu regnen. Ein bisschen Respekt hat das Wetter eben doch vor dieser großartigen Band.

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