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"Nimm die Finger aus deinen verdammten Ohren!"

Ein Mann sieht rot: Greg Dulli im Konzert (Foto: picture alliance / Jazzarchiv)


Die Garderobe verrät alles: Die Menschen tragen Band-T-Shirts von Soundgarden und Alice In Chains. Keine verwaschenen, sondern aktuelle Tourneeandenken. Wer heute in den Berliner C-Club gekommen ist, geht durchaus noch regelmäßig auf Konzerte, aber eben am liebsten zu denen der alt gewordenen Helden der Neunzigerjahre.


Zu diesen zählen auch die Afghan Whigs. Es hat viele Jahre und Alben gedauert, bis sich die Band aus Cincinnati hierzulande einen Namen gemacht hat. Und das, obwohl sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort war: Ende der Achtzigerjahre unterschrieben die Musiker bei einem kleinen Plattenlabel namens Sub Pop, auf dem später Superstars wie Nirvana und eben Soundgarden heranwuchsen.


Zu Superstars wurden die Afghan Whigs nie, doch es half, dass sich Frontmann Greg Dulli immer wieder mit solchen umgeben hat - sei es auf dem Soundtrack zum Beatles-Biopic "Backbeat", auf dem auch Dave Grohl sowie Mitglieder von R.E.M. und Sonic Youth zu hören waren, oder bei Nebenprojekten wie The Twilight Singers und The Gutter Twins, an denen sich auch Mark Lanegan, der Brummbär von den Screaming Trees, beteiligte. Bald kannte man den Namen Greg Dulli, ohne je einen Ton von seiner Hauptband gehört zu haben.


Harry Potter und Elvis Costello an den Gitarren

Um die kümmert sich der Vielbeschäftigte seit 2012 wieder. Im April erschien "Do to the Beast", das erste neue Album der Afghan Whigs seit 16 Jahren. Dass die Band zuletzt in Berlin gespielt hat, ist auch schon lange her. "Als wir das letzte Mal hier waren, war der Flughafen noch in Betrieb", sagt Dulli später auf der Bühne und zeigt zum Tempelhofer Flugfeld gegenüber.


Vielleicht ist das Publikum deswegen schon ein wenig ungeduldig. Als die Bühne um 22.15 Uhr noch immer leer ist, gehen erste Pfiffe durch den Saal. Die Musiker lassen sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Gemächlich schlendern sie auf die Bühne. Man trägt schwarz. Rick Nelson, Keyboarder und zuständig für alle streichfähigen Instrumente, ist der Einzige, der mit seinem weinroten Hemd aus der Reihe tanzt. Gitarrist Dave Rosser trägt einen Hut und sieht ein bisschen aus wie Elvis Costello.


Der zweite Gitarrist Jon Skibic trägt keinen Hut, dafür aber eine Brille, mit der er ein bisschen einem in die Jahre gekommenen Harry Potter ähnelt. Eigentlich stehen hier die Twilight Singers auf der Bühne: Sowohl Rosser als auch Skibic und Nelson waren oder sind in dieser Band. Von der Urbesetzung der Afghan Whigs sind hingegen nur Dulli und Bassist John Curley übrig. Vor allem Gitarrist Rick McCollum fehlt.


Melodien? Wer braucht Melodien?


Doch was zählt, sind die Songs. Mit dem treibenden Beat von "Parked Outside", das auch die neue Whigs-Platte eröffnet, geht es los. Es folgen "Matamoros", ebenfalls neu, und "Fountain and Fairfax" vom 1993er-Schlüsselwerk "Gentlemen". Dulli stampft und kreischt. Die höheren Töne erreicht er nicht immer ganz, doch das geht im Riffgewitter unter. "Going to Town", "I'm Her Slave". Was an Haaren am Hinterkopf festgegelt wurde, hängt den Musikern bald in Strähnen in die Stirn.


Dann zirpt die Orgel los. Endlich eine kurze Verschnaufpause. "When We Two Parted" geht über in Drakes "Over My Dead Body", eine Referenz, die nur im ersten Moment überrascht. Die Afghan Whigs verschließen sich nicht vor modernen, genrefremden Einflüssen. Schließlich standen sie erst im vergangenen Jahr mit dem R&B-Sänger Usher beim SXSW-Festival in Austin zusammen auf der Bühne.


In Berlin rocken sie eher traditionell weiter. "Debonair" ist funky, "John The Baptist" düster. "Algiers" zitiert das bekannte Schlagzeug von Phil Spectors "Be My Baby" und "I Am Fire" wird mit Fleetwood Macs "Tusk" untersetzt. Viele Riffs bewegen sich zwischen dem dritten und fünften Gitarrenbund. Melodien sind nicht so wichtig, Hauptsache, es rockt.


Wenn es wehtut, ist es am schönsten


Und, mein Gott, was rocken die Afghan Whigs! Wären wir alle zehn, 20 Jahre jünger, wir würden erwägen, von der Bühne zu springen. So muss sich die Band damit begnügen, dass die Leute mitwippen und gelegentlich den Arm in die Luft strecken. Greg Dulli ist unzufrieden: "Better get your fingers out of your fucking ears", faucht er einen Konzertbesucher in den vorderen Reihen an, dem es wohl ein bisschen zu laut wurde. Zu Recht: Die Musik dröhnt derart brutal aus den Boxen, dass einem die Ohren wehtun.


Gegen Ende wird es dann auch ein bisschen gar viel Rock. Dulli zitiert die Beatles ("Getting Better") und Bobby Womack ("Across 110th Street"). Sogar Andrew Lloyd Webbers "Heaven On Their Mind" aus "Jesus Christ Superstar" muss herhalten. Erst nach drei Zugaben, Schlag null Uhr, entlassen die Afghan Whigs ihr Publikum.


Trotz mancher Längen war es schön, die Band wiederzusehen. Hoffentlich warten sie mit ihrem nächsten Besuch nicht bis zur Schließung eines weiteren Berliner Flughafens. Das könnte sehr lange dauern.

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