Ralph Stieber

Autor, Journalist, Brand Storyteller & Co-Founder, Poet , Kleinmachnow

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Artikel

Den Mist der Werbeagenturen frisst keiner mehr - Teil 2

Albtraum statt Traumjob: Wie steht es um die Werbebranche? Mit dem Image der anderen kennen Werbeagenturen sich aus, um ihr eigenes aber ist es nicht nur zum Besten bestellt. Immer wieder werden der immense Druck und starre Hierarchien kritisiert - zu Recht?

Wer heute wirklich kreativ arbeiten möchte, sollte die Branche meiden. Die Agenturen hinken der modernen Arbeitswelt meilenweit hinterher. Der ständige Druck, Bürokratie und Stress haben mich krank gemacht. 2009 habe ich als Texter in der Werbebranche angefangen. Meine Stationen waren unter anderem: Zum goldenen Hirschen, Aimaq & Stolle, Razorfish, Y&R, Scholz & Friends, Heimat, Vice Media und BBDO.

Anfangs war ich jung, motiviert und fasziniert von den kreativen Arbeiten - die kamen allerdings zu 99 Prozent von internationalen Werbeagenturen und nicht aus Deutschland. Vergleichbar ist diese Misere mit der deutschen Film- und Serienlandschaft: Genauso gähnend langweilig ist auch die deutsche Werbung.

Unbezahlte Überstunden bestimmten den Arbeitsalltag

Unbezahlte Nacht- und Wochenendschichten, unzählige Überstunden für Pitches und irrsinnige Award-Shows sind in der Branche völlig normal. Offiziell existieren Überstunden nicht. Aber für den Betroffenen sind sie spätestens dann verdammt real, wenn er zu einem ausgelaugten, gestressten und nervösen Zombie geworden ist.

Am Wochenende saß ich im Büro und dachte mir Konzepte für eine Intimwaschlotion aus, während draußen das echte Leben stattfand. Völlig absurd. Ganz oben wird die fette Kohle gemacht. Und der Dank? Eine Rundmail mit einem simplen „Danke" und ein Bier. Dann kamen all die unzurechnungsfähigen und unbezahlten Nachtschichten für Award-Shows dazu. Work-Life-Balance? Ein schlechter Witz.

Zahlen statt Zauber

In der Werbung wird von den Kreativen Zauber erwartet, aber in Wahrheit geht es um Zahlen. Die Agentur ist nur ein kleiner Teil eines größeren Netzwerks. Ganz oben sitzen die Big Bosse, die mit ihrem Dreizack nach unten hacken, an ihrer Zigarre kauen und mit ihren verdammten Zahlen winken.

In der Werbung geht es immer darum, neue Trends aufzuspüren, die Werbeagenturen selbst aber hinken einem modernen Arbeitsmodell meilenweit hinterher. Wer von den jungen Leuten lässt sich denn heute noch so ausbeuten? Die gehen lieber auf Kundenseite, verdienen besser und haben neben ihrem Job auch noch ein Leben. Niemand „blutet" heute mehr für Werbung, die nur nervt und die sowieso niemand sehen will.

„Hungrige Kreative" gesucht - aber wer will schon Mist fressen?

Wenn Agenturen junge „hungrige" und „leidenschaftliche" Kreative suchen, muss ich immer lachen. Wer kreativ ist, macht was wirklich Kreatives und geht bestimmt nicht in die Werbung. Die Werbebrache nimmt sich viel zu ernst. Den Mist frisst keiner mehr.

Das klassische Agenturmodell ist hoffentlich irgendwann durch. In Zukunft sollte eine Gruppe von Leuten zusammenarbeiten, ohne Hierarchie - alle haben dasselbe Mitspracherecht. Echtes Teamwork für neue Impulse und mehr Motivation. Den autoritären Chef, der sehr viel mehr verdient als der Rest und von anderen nur zugearbeitet bekommt, wird es dann nicht mehr geben.

Die Werbebranche wie in „Mad Men"? Eher Anti-„Mad Men"

Viele denken, der Joballtag in der Werbung wäre wie in der Serie „Mad Men". Aber solche Zeiten, sind lange vorbei. In den großen Agenturen geht es so kreativ zu wie bei einer Versicherungsagentur. Der Creative Director bückt sich vor der Chefetage und die Chefetage vor dem Kunden. Der Kunde ist König. Was er will, wird gemacht. Er bringt die Kohle. So werden gute Ideen kastriert, verstümmelt, und übrig bleibt das, was wir draußen zu sehen bekommen: Bullshit.

Kein Wunder, dass meine Motivation nach etlichen Jahren in der Werbebranche auf dem Nullpunkt war und ich total durch. Dann kam der Burn-out. Man fragt sich: „Was mache ich hier eigentlich?"

Verdammt gute Gründe, sich über die Werbebranche auszukotzen

Ich hab mich aus den Fesseln der Werbesklaverei befreit und arbeite heute als freier Texter, Autor und Drehbuchautor. Den Schritt in die Freiheit habe ich nie bereut. Den Schritt in die Werbebranche allerdings auch nicht. Ich hab viel gelernt. Jetzt kann ich mit Abstand auf die Branche schauen und habe meine Erlebnisse sowie die von Kollegen und Freunden satirisch in einem Buch verarbeitet. Witzige, skandalöse und bitterböse Geschichten. Alle hatten verdammt gute Gründe, sich über die Werbebranche auszukotzen.

DER AUTOR RALPH STIEBER, 1978 in Aschaffenburg geboren, lebt in Berlin. Er hatte schon viele Chefs: Nach unzähligen Jobs als Barkeeper, Kellner, Hilfskoch, Tellerwäscher, DJ, Videothekar, Promoter, Callcenter-Agent, Pizza-Lieferant, Vorleser, Gärtner, Maler, Touristenführer, Schauspieler und Werbetexter ist er sein eigener Chef und arbeitet heute als freier Autor, Drehbuchautor und Texter.

90 % unzufriedene Angestellte können nicht irren: Chefs machen den Job zur Hölle. Etliche Studien belegen es, fast jeder Angestellte hasst seinen Chef. Der Traumjob wird zum Albtraum, und schuld daran ist nur einer.

Das kann man nicht schönreden oder unter die Golf-Matte des Chefs kehren: Freunde, Bekannte, Kollegen, alle, die uns morgens mit gesenktem Blick entgegenkommen oder uns in der U-Bahn mit grauen Gesichtern apathisch gegenübersitzen - sie alle hassen ihren Chef. Aber keiner tut was dagegen.

Dieses Buch erzählt von den Abenteuern eines Angestellten und enthüllt in 111 Gründen Schockierendes und Unglaubliches aus der Arbeitswelt. Es zeigt Chefs als das, was sie sind: Psychopathen, Sexisten und Tyrannen. Aber es gibt Hoffnung. Für alle, die sich täglich zu ihrem Job schleppen, liefert dieses Buch provokante Denkanstöße und erprobte Überlebens-Tipps im Umgang mit dem schlimmsten Feind: dem Chef.

Ralph Stieber 111 GRÜNDE, SEINEN CHEF ZU HASSEN Tyrannen, Fanatiker und Selbstdarsteller - wenn der Boss dich in den Wahnsinn treibt! 352 Seiten | Taschenbuch ISBN 978-3-86265-575-5 9,99 EUR (D) Schwarzkopf Verlag

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