Wenn ich meine Mutter frage, wie sie den als junges Mädchen in Polen erlebt hat, fängt sie an zu singen. "Frauentag, Frauentag! Lass es alle wissen, dass heute ein Feiertag der Mädchen ist. Das Lächeln ist für sie, Spaß und Tanz, ein Lied strömt aus dem Radio ..." - so in etwa könnte man den Text aus dem Polnischen übersetzen. Weiter kennt meine Mutter den Liedtext nicht mehr und kichert stattdessen belustigt, während sie sich daran erinnert, wie sie das Stück in der Schule vorsingen musste. Es ist ein Kinderlied, das die Klassen einübten, um es am 8. März den Lehrerinnen vorzusingen. Manchmal sagten sie auch Gedichte auf. Die Jungen steckten in weißen Hemden, die Mädchen trugen schwarze oder blaue Röckchen und hatten Schleifen ins Haar gebunden. Meine Mutter erinnert sich, wie Oma oft noch am Abend vor dem 8. März die Kleider wusch, weil sie vergessen hatten, dass der " Dzień Kobiet", der Frauentag, anstand.
Patricia Friedek
geboren 1995, ist freie Journalistin und Redakteurin mit polnischen Wurzeln. Sie hat Angewandte Sprachwissenschaften, Journalistik und Politikwissenschaften in Dortmund und Kalifornien studiert und lebt nun in Bremen. Am liebsten schreibt sie über Gesellschaft in Osteuropa, Feminismus und Politisches. Sie ist Stipendiatin der internationalen Journalisten-Programme.
Später war meine Mutter diejenige, der die Kinder etwas vorsangen. Als Lehrerin in den Achtzigerjahren schenkte der Arbeitgeber ihr Nelken und ein Paket Kaffee oder Pralinen, manchmal auch eine Strumpfhose. Darüber freute sie sich besonders, immerhin waren Nylon-Strumpfhosen im kommunistischen ein rares Gut. Der Schultag war am 8. März für gewöhnlich kürzer, im Anschluss an die Arbeit ging man mit dem Kollegium in eine Kneipe, aß Kuchen, Krapfen und trank Kaffee, die Männer schenkten großzügig Alkohol ein, vor allem sich selbst.
In Polen wird der 8. März groß gefeiert. Nur seine Bedeutung hat sich im Laufe der Jahre stark verschoben. Besonders populär wurde der Tag zur Zeit der Volksrepublik Polen, um die "Gleichberechtigung der arbeitenden Frauen als Errungenschaft des Sozialismus" zu feiern und hatte den Charakter eines Nationalfeiertags. Dabei ging es nicht, wie es den Anschein machte, um echte Emanzipation. Sondern vielmehr darum, den "fröhlichen Sozialismus" zu demonstrieren und um die Arbeiterinnen zu werben, die in Fabriken oder Webereien gebraucht wurden.
Heute gibt es sie immer noch, die großen Feiern, die Blumen und die Schokolade. Doch der 8. März ist auch in Polen zum symbolischen Datum feministischer Proteste geworden. Vor allem in den vergangenen Jahren, als die nationalkonservative Frauenrechte immer weiter einschränkte, hat der Tag für viele polnische Frauen an politischer Bedeutung gewonnen. In diesem Jahr wird er zum Anlass genommen, um die neue, liberalere Regierung daran zu erinnern, was sie den Frauen vor der Wahl im Oktober 2023 versprochen hatte. Ein geplanter Protest des allpolnischen Frauenstreiks soll zum Parlament führen, wo die Aktivist:innen dem neuen Sejmmarschall Szymon Hołownia einen Besuch abstatten wollen. Dieser hatte zuletzt angekündigt, dass er die erste Lesung zu "Abtreibungsprojekten" um einen Monat nach hinten verschiebt. Das schürt erneut Unmut unter den Feministinnen, die stets betonen, dass sie der neuen Regierung zum Sieg verholfen haben.
Es ist der erste 8. März nach acht Jahren, in denen die PiS Schwangerschaftsabbrüche in Polen praktisch unmöglich gemacht hat, den Zugang zur "Pille danach" erschwert oder die Istanbul-Konvention zur Bekämpfung von Gewalt an Frauen infrage gestellt hat. Die neue Regierung hat sich auf die Fahnen geschrieben, es besser zu machen. Die Erwartungshaltung derer, die noch an die Politik glauben, ist also groß. Und so ist es auch das erste Mal, dass ich mit meiner Mutter und mit meiner Großmutter über den Frauentag in Polen spreche.
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Für sie war der 8. März nicht mehr und nicht weniger als ein Grund zum Feiern; manchmal freuten sie sich darüber, manchmal, so erzählt es meine Mutter, war sie auch gelangweilt von dem Prozedere mit den rausgeputzten Kindern, den immergleichen Liedern und den Floskeln der Männer. Was jedoch weder sie noch meine Großmutter zu der Zeit hinterfragten: Wie der Frauentag von der diktatorischen Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei zur Propaganda instrumentalisiert wurde, und wie antiemanzipatorisch er eigentlich war.
Der Frauentag, wie er in Polen zu Zeiten des Sozialismus begangen wurde, hat tiefe patriarchale Wurzeln. Wie die polnische Professorin Lucyna Kopciewicz in der Fachzeitschrift Gender schreibt, fußen die Feiern des Frauentags in Polen auf dem ritterlichen Verehrungsdiskurs. Nach diesem Rollenverständnis verehrt und schützt der Mann seine Frau, die sich dem wiederum würdig erweisen und ihn unterstützen soll. So interpretierte der Realsozialismus diese Erzählung lediglich um, und die katholische Kirche unterstützte sie. Die polnische Frau wurde zwar gesellschaftlich hoch angesehen, hatte jedoch bescheiden und selbstlos zu sein, sich aufzuopfern und ihr Schicksal zu akzeptieren.
Die polnische Wochenschau, die zu Zeiten des Kommunismus landesweit in allen Kinos lief, gibt einen Einblick, wie diese Setzung im sozialistischen Polen gelebt wurde. Die Wochenschau präsentierte Frauen als Anführerinnen der Arbeit und betonte, dass sie in "Männerberufen" nicht schlechter gestellt waren und gemeinsam mit ihnen am Kampf für das "Wohl des Vaterlandes" teilnahmen. In ihren Beiträgen zeigten die Filmemacher polnische Frauen bei der Arbeit, beim Einkaufen, beim Bringen der Kinder zur Schule und in den Kindergarten oder beim Hantieren mit Töpfen und Pfannen in der Küche.
Wenn ich meine Mutter frage, wie sie den als junges Mädchen in Polen erlebt hat, fängt sie an zu singen. "Frauentag, Frauentag! Lass es alle wissen, dass heute ein Feiertag der Mädchen ist. Das Lächeln ist für sie, Spaß und Tanz, ein Lied strömt aus dem Radio ..." - so in etwa könnte man den Text aus dem Polnischen übersetzen. Weiter kennt meine Mutter den Liedtext nicht mehr und kichert stattdessen belustigt, während sie sich daran erinnert, wie sie das Stück in der Schule vorsingen musste. Es ist ein Kinderlied, das die Klassen einübten, um es am 8. März den Lehrerinnen vorzusingen. Manchmal sagten sie auch Gedichte auf. Die Jungen steckten in weißen Hemden, die Mädchen trugen schwarze oder blaue Röckchen und hatten Schleifen ins Haar gebunden. Meine Mutter erinnert sich, wie Oma oft noch am Abend vor dem 8. März die Kleider wusch, weil sie vergessen hatten, dass der " Dzień Kobiet", der Frauentag, anstand.