Oliver Weber

Student / Autor, Regensburg

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Pathologisierung Putins: Irre sind menschlich

Ist der Präsident Russlands verrückt? Angeblich hegen amerikanische Geheimdienste schon länger einen solchen Verdacht. Seit Wladimir Putin seinen Streitkräften die Invasion der Ukraine befohlen hat, ist diese Frage nun in die breitere Öffentlichkeit eingedrungen. Hier und da wird bei dem 69-Jährigen aus der Ferne eine schwere Erkrankung diagnostiziert. Der Psychologe Ian Robertson warnte etwa jüngst davor, Putin leide unter Realitätsverlust und Hybris. Wie sollte es auch anders sein, angesichts der ökonomischen und politischen Schäden, die sich als Folgen der westlichen Sanktionen abzeichnen? Er handle „komplett irrational“, ist sich deswegen auch der bisher eher durch Beschwichtigung aufgefallene SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sicher. Und von einem Verrückten ist ja bekanntlich alles zu erwarten.

Die Pathologisierung des russischen Präsidenten ist ein verbreitetes Manöver im aktuellen Streit um die angemessene Reaktion auf den Ukraine-Krieg. Kein Wunder: Das erzwungene Aufwachen der deutschen Öffentlichkeit und Politik in sicherheitspolitischen Fragen gilt vielen nicht nur als „Zeitenwende“, sondern zugleich als Abkehr von einem gewohnheitsmäßigen Idealismus. Auf die Grundsätze des Völkerrechts, der Wirtschaftskooperation, des freundlichen „do ut des“ zwischen rationalen Akteuren sei kein Verlass mehr. Deutschland und Europa müssen die Sprache der Macht lernen, heißt es nun immer öfter. Aber wie spricht man diese Sprache eigentlich?

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