With Legs Wide Open
– ein intimer Einblick in das Leben von Sexarbeiter:innen
Die Ausstellung im Schwulen Museum Berlin zeigt die vielfältige und oft unsichtbare Kultur der Sexarbeit durch alle Zeiten hindurch - vom Mittelalter bis hin zu aktuellem Aktivismus.
Leoprint und Leder, Nieten und Korsett, grüne und pinke Stoffe. Wir fahren mit der Hand die goldene Kleiderstange entlang und bleiben an übergroßen Schildern zwischen den Kleidungsstücken hängen. „Hure“, „häufig wechselnder Geschlechtsverkehr“, „Asozial“. Begriffe, die oft mit Vorurteilen verknüpft sind, abwerten, stigmatisieren. Worte, die für Sexarbeiter:innen zum Alltag gehören. Willkommen im ersten Raum der Ausstellung „With Legs Wide Open – Ein Hurenritt durch die Geschichte“ im Schwulen Museum.
Das Museum befindet sich im historischen „Rotlichtviertel“ Bülowkiez, der Straßenstrich in der Kurfürstenstraße ist um die Ecke. Heute treffen hier Sexarbeiter:innen auf hippe Galerien - bei Eröffnungen wird Sekt getrunken, gegenüber bleiben Autos mit runtergekurbelten Fenstern stehen. Kunstliebhaber:innen und Sexarbeiter:innen koexistieren und schenken sich nicht viel, die Blicke versuchen sich zu meiden. Wieso wissen wir so wenig über den Alltag von Sexarbeiter:innen?
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Wut, Trauer, Zusammenhalt, Familie, Hoffnung … Forderungen!
Die Ausstellung ist in zehn Stationen eingeteilt, die ein Sexarbeiter:innen-Kollektiv aus Archivmaterial, Oral History und künstlerischen Interventionen kuratiert hat. Entstanden ist eine kritische Auseinandersetzung mit institutioneller Abwertung, Regulierung und Überwachung.
Empirische Datensätze werden vorgestellt, fernab von Klischees und Vorurteilen. Historische Artefakte nehmen uns weit mit in die Vergangenheit und beantworten zum Beispiel, was Fische und Verhütung gemeinsam haben (Fischblasen-Kondome!)
Doch vieles, was hier vorgestellt wird, tut weh. Das düstere Kapitel der Verfolgung und Ermordung von Sexarbeiter:innen während des Holocausts. Stimmen und traumatische Erlebnisse von Menschen, die angefeindet, ausgegrenzt und diskriminiert werden – bis heute. Vorurteile, gesundheitliche Gefahren, gesellschaftliche Geringschätzigkeit, Rassismus, Transfeindlichkeit sind nur einige der unzähligen Kämpfe, die Sexarbeiter:innen austragen müssen.
Wünsche und Hoffnungen, die endlich gehört werden müssen
Das Quilt-Handwerk „Red Light Utopia“ von Ernestine Pastorello ist ein sehr persönliches Kunstwerk. Wie könnte die Geschichte verändert werden, wie eine parallele Welt in Akzeptanz aussehen?
“Wie viel weiter kämen wir wohl in Sachen Wohlstand und Wellness, wenn Huren ihr eigenes Modell hätten? Es könnte dort Bücher geben, ganz viel leckeres Essen, auf jeden Fall jede Menge Katzen. Es wäre ein wunderschöner, lebendiger Altbau, in dem wir die Zeiten beieinander genießen und uns an schönen Tagen mit Rat und Tat beistehen. Und selbstverständlich hart viel Geld verdienen.”, wird Pastorello im Audioguide zitiert.
Es sind Träume, die nach Sicherheit und Geborgenheit schreien. Etwas, was allen Menschen zustehen muss.
Der letzte Raum der Ausstellung geht einen Schritt weiter und es fühlt sich an, als würde man hier auf einen Höhepunkt an Intimität stoßen. Neonlicht, eine schummerige Atmosphäre. Auf der linken Seite ein riesiges, rotes Bett, in Herzform – ein bekanntes Klischee.
Für viele ist das Bett ein Ort der Gemütlichkeit, hier schläft man oder mummelt sich mit Netflix und Chipstüte (streitbar wegen Krümeln) ein und zieht die Decke nach schweren Tagen über den Kopf. Doch für Sexarbeiter:innen ist das oft ein Arbeitsplatz. In der Ausstellung dürfen wir uns hier drauflegen und zu den Kopfhörern an der Wand greifen. Wir hören Stimmen aus “Lasst uns träumen”. Sie machen traurig:
„Als ich mich meinen Eltern gegenüber als Sexarbeiter:in geoutet habe, war ihre erste Sorge, dass ich ermordet werden würde, weil im Fernsehen alle Sexarbeiter:innen ermordet werden. Für die nächste Generation wünsche ich mir in den Medien positive Beispiele unserer vielfältigen, unterschiedlichen Lebenserfahrungen und nicht nur Mordopfer.“, sagt ein:e Sexarbeiter:in.
„Wir wollen im Licht arbeiten, in Sicherheit. Ich wünsche mir eine Welt, in der Sexarbeiter:innen zusammenarbeiten, eine Gemeinschaft bilden. Wir unsere eigenen Arbeitsplätze haben, die wir selbst verwalten, um die wir uns kümmern und wo wir unsere Fähigkeiten teilen und füreinander sorgen.“, sagt ein:e andere:r.
Sexarbeiter:innen wünschen sich ein Rotlichtviertel, das Sicherheit und ein Gefühl von Normalisierung erfüllt. Eine Gemeinschaft, die sich kümmert. Eine Polizei, die hilft und nicht den Job und Körper reglementiert. Keine Lügen mehr, um eine Wohnung zu bekommen, keine Lügen mehr, um das Sorgerecht für Kinder behalten zu dürfen, keine Lügen mehr gegenüber Partner:innen, weil die Arbeit nicht als der „Norm entsprechend“ angesehen wird.
Die Ausstellung schockiert. Sie macht wütend. Geschehenes muss aufgearbeitet werden und Forderungen gehört und erfüllt werden. Wieso schauen wir so oft weg? Diese Frage muss jeder für sich beantworten. Sichtbarmachung ist ein erster Schritt dem entgegenzuwirken und diesen erfüllt die Ausstellung umfänglich. Kuratiert von einem Sexarbeiter:innen-Kollektiv. Beteiligte Künstler:innen: Emre Busse, Ernestine Pastorello, Ginger Angelica, Gómez Diego, L’Adios, Rori Dior, Una You, Valentin Rion. |