Nora Voit

Freie Journalistin, München

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Täter im Schafspelz

Der Musiker Ryan Adams soll mehrere Frauen sexuell und emotional ausgebeutet haben. Nicht nur Fans sind irritiert, dass ausgerechnet er nun im Fokus der #MeToo-Debatte steht. Was sagt das über unser Täterbild aus?

Ausgerechnet Ryan Adams, dieser düster-flauschige Singer-Songwriter, der zur Akustik-Gitarre gern mal über den Schmerz der Liebe sang? Ausgerechnet ein Musiker, der damit das Indie-Genre mitgeprägt hat, jene Skinny-Jeans-Ausprägung von Rock, die softer, weniger heteronormativ, ja vielleicht sogar ein bisschen feministisch sein will? Und ausgerechnet Ryan Adams, der öffentlich über seine Drogensucht, Depressionen und Panikattacken sprach, der Wolkenfotos auf Twitter postete und Leute dazu ermutigte, sich Hilfe zu suchen, wenn sie dunkle Zeiten durchleben?

Ausgerechnet dieser Ryan Adams soll mindestens sieben Frauen psychisch unterdrückt und sexuell belästigt haben - darunter seine Exfrau Mandy Moore, junge Musikerinnen, denen Adams eine Karriere in Aussicht stellte, und eine Frau, die behauptet, dass sich der heute 44-Jährige auf Skype vor ihr ausgezogen haben soll. Da war sie noch minderjährig. Diese Anschuldigungen sind seit Mittwoch in einem Bericht der New York Times zu lesen; mittlerweile haben sich weitere Musikerinnen mit ähnlichen Vorwürfen gemeldet, Sponsoren haben sich von dem Musiker getrennt, sein neues Album soll vorerst nicht erscheinen.

Was an den Vorwürfen dran ist, prüft derzeit das FBI. Der Fall verrät aber trotz seiner Vagheit schon jetzt, dass #MeToo erstens noch lange nicht auserzählt ist und es zweitens (mutmaßliche) Täter gibt, die wir uns ungern als solche vorstellen wollen: süße Musiker etwa, aber auch fürsorgliche Familienväter, höfliche Chefs, attraktive Frauen oder charmante Studenten.

Auf Netflix ist derzeit eine vierteilige True-Crime-Serie über das Leben des US-amerikanischen Jurastudenten Ted Bundy zu sehen, der in den Siebzigerjahren mindestens 30 Frauen entführt, vergewaltigt, getötet und sich auch nach deren Tod noch an ihnen vergangen hat. Man ist geneigt, ihm das Menschsein abzusprechen, vertretbar wäre die Aussage: Dieser Mann war ein Mensch, aber er hatte einen monströsen Charakter. Daran lassen auch die Ted Bundy Tapes keinen Zweifel. Aber sie zeigen den Mörder gleichzeitig in einem toxischen Mantra als charmanten und klugen Schönling, dazu gibt es schmeichelnde Originalfotos und Interviews von Fangirls ("Er sieht nicht aus, wie der Typ, der jemanden töten würde"). Selbst 30 Jahre nach Bundys Hinrichtung gibt es noch Frauen, die (diesmal auf Social Media) betonen, wie "hot" er sei. Warum wollen viele Bundy partout nicht als Massenmörder wahrnehmen? Die Antwort ist simpel: Er passt nicht in unser Täterbild, weil er zu schön, zu schlau, zu charmant und - vielleicht - auch zu weiß ist.

Auf der anderen Seite, der dunklen Seite, stehen die "richtigen" Täter, bei denen sich wohl viele zumurmeln: "Wen wundert's denn?". Bei schwarzen Skandal-Rappern, schmierigen Produzenten und creepy Schauspielern etwa - also Menschen, die alleine schon wegen ihres Phänotyps vielen Menschen irgendwie verdächtig erscheinen. Der des Kindesmissbrauchs verdächtigte US-Rapper R. Kelly ist so ein Beispiel, Harvey Weinstein sowieso und in Teilen auch ein Method Actor wie Kevin Spacey.

Machtmissbrauch ist im echten Leben nicht schwarz-weiß

Vergessen darf man aber nicht: Machtmissbrauch ist branchen- charakter- und phänotypübergreifend, er ist allgegenwärtig, auch heute, zwei Jahre nach dem donnernden Einschlag von #MeToo. Machtmissbrauch ist im echten Leben eben nicht schwarz-weiß - er kommt mit Widersprüchen, mit uneindeutigen Bildern und verzerrtem Sound daher: Ryan Adams galt als leidenschaftlicher Musiker, er gab launige Interviews, hatte Spaß am Austausch mit Fans und Kritikern - und trotzdem spielte er mutmaßlich, so sieht es aktuell jedenfalls aus, Gott des Schicksals, indem er über die Karrieren von jungen Musikerinnen bestimmen wollte und sie dann sexuell wie emotional bedrängte, wenn sie sich von ihm lösten. Adams selbst dementiert die Anschuldigungen auf seinem Twitter-Account übrigens, schreibt aber gleichzeitig in vorauseilender Selbstgerechtigkeit, er sei "kein perfekter Mann".

Das traurigste an dem Bericht der New York Times sei, so die Sängerin Bethany Cosentino, "dass so etwas buchstäblich über so viele Typen in der Musik-Branche geschrieben werden könnte". Diese "Typen" erkennt man nicht an fies-glänzender Haut, nicht an schiefen Zähnen, schon gar nicht an der Hautfarbe. Was wir aus Fällen wie dem des Ryan Adams lernen können, ist eine Sensibilität dafür zu entwickeln, dass Grenzüberschreitungen auch Grenzüberschreitungen sind, wenn sie jemand mit charmantem Lächeln und Teddy-Frisur begeht.

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