Nora Koldehoff

Freie Autorin / Freie Journalistin, Köln

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Artikel

Was fällt raus und was bleibt drin

Blick ins Archiv (Bild: Julia Majewski)

Die Kamera folgt einem Rinnsal zu seinem Ursprung, einer schadhaften Stelle in der Dachrinne. „Eigentlich", so hatte der Besitzer der Dachrinne den beiden Frauen, die ihn interviewen, erklärt, „würde ich da am liebsten nur einen Kaugummi reinmachen. Denn das Geld für die Reparatur der Dachrinne, das brauche ich für meine Sammlung." Peter Kerschgens ist ein pensionierter Förderschulpädagoge, und mit ihm fing Julia Majewskis Filmprojekt an. Kerschgens Leidenschaft gehört der Kunst und er sammelt und hebt auf, was er eben von Künstlern bekommen kann - Originalzeichnungen, Ausstellungseinladungen, Zeitungsartikel. Sein Konvolut umfasst 17 Räume in zwei Häusern, 320 000 Einladungskarten, unzählige Artikel, Bücher, Fotos und Zeichnungen. „Die Spitzen ragen aus der Peripherie. Das Herausragende bleibt. Und das Andere?"

Dieser Frage widmet sich der Dokumentarfilm von Julia Majewski. Die Buchgestalterin, die ihr Atelier im Kunsthaus Rhenania in der Südstadt hat, lernte Peter Kerschgens in einem Atelierhaus kennen und hatte bei der Gelegenheit vom Umfang seiner Sammlung erfahren. Ein Umfang, bei dem es unglaublich erscheint, dass ein einzelner Privatmensch, dem nicht unbedingt unbegrenzte finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, dieses Konvolut zusammenträgt, pflegt und unterhält. Natürlich stellt sich bei dieser Menge die Frage, was später einmal, nach dem Tod des Sammlers, mit dem ganzen Material passiert. Und ob es darum sinnvoll sein könnte, die Sammlung vorher schon aufzulösen. Julia Majewskis wollte deshalb Sammlung und Sammler portraitieren, solange es beide noch gibt. Und nachdem im ersten Gespräch immer wieder der Gedanke auftauchte „Jetzt hätte ich gern eine Kamera dabei", löste sie sich von ihrem gewohnten Medium, dem Buch.

In dem Film, der entstand, stellt Kerschgens die titelgebende Frage: Was fällt raus und was bleibt drin? - Und stellt fest, dass er sie selber nicht beantworten kann, und auch nicht beantworten möchte. Bekannte Namen sind in seinem Archiv ebenso vertreten wie unbekannte. Nicht die kunsthistorische Wertung ist sein Kriterium, sondern die Frage, ob der Künstler nach Meinung des Sammlers etwas zu sagen hat. Eine Unterscheidung, was letztlich wichtig ist, wird und bleibt und was dagegen unwichtig, empfände Kerschgens als anmaßend. Und so fährt die Kamera, grandios geführt von Diana Harders, durch endlose Reihen von Ordnern und beschrifteten Kartons. Sie fängt Regalmeter um Regalmeter ebenso ein, wie Unmengen an Material hier gelagert werden, genau so wie auch Kerschgens Gedanken und seine Identifikation mit seiner Sammlung. „Das bin ich" konstatiert er, und das ist auch spürbar.


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Dienstag, 27. Oktober 2015 | Text: Nora Koldehoff 

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