Arbeit
verändern, nicht Konsum
Von Nina Scholz
Deutschlandfunk Kultur, Lesart, 28.3.2024
Der Soziologe Simon Schaupp nimmt in seinem Buch „Stoffwechselpolitik“ die
Arbeit in den Blick, die die Umwelt überhaupt erst hervorbringt – und
verschiebt so die Perspektive auf die ökologische Krise.
Simon
Schaupp |
Die Debatten um die Klimakrise sind in einer
Sackgasse. Es ist also höchste Zeit für einen Perspektivwechsel und der könnte
mit Simon Schaupps „Stoffwechselpolitik“ gelingen. Der Soziologe hat sich
bisher vor allem kritisch mit Arbeitsverhältnissen beschäftigt. Dem bleibt er
auch in „Stoffwechselpolitik“ treu. Mit Karl Marx, für den Arbeit der
„gesellschaftliche Stoffwechsel mit der Natur“ war, setzt Schaupp Arbeit und
Natur ins Verhältnis miteinander und nimmt so eine wichtige Verschiebung in der
Betrachtung der ökologischen Krise vor. So rutscht zum Beispiel der Konsum, der
meist im Fokus der Debatte steht, aus dem Blick. Wie wichtig diese Verschiebung
ist, zeigt Schaupp gleich zu Beginn des Buchs: Der Großteil des
Treibhausgas-Ausstoßes stammt von Unternehmen, nicht Privathaushalten: Bloß
„100 Unternehmen sind für 71 Prozent der Emissionen seit 1988 verantwortlich.“
Da liegt also das Problem.
Die Geschichte des Kapitalismus als Geschichte der Ausbeutung der Natur
Bevor es aber um die ökologische Krise heute geht, erzählt Schaupp die
Geschichte des industriellen Kapitalismus – vom Sklavenhandel übers Erdöl bis
hin zum Bauen mit Beton – als Geschichte der „Stoffwechselpolitik“ neu. Schnell
wird klar, dass Natur und Arbeit zwei wichtige Gemeinsamkeiten haben: sie
müssen immer wieder aufs Neue nutzbar gemacht werden und beide haben einen
Eigensinn, der den Prozess der Nutzbarmachung höchst widersprüchlich gestaltet.
In Schaupps Geschichtsschreibung sind zum Beispiel die Orte, an denen die
Steinkohle abgebaut wurde, auch Orte der ökologischen und sozialen Krisen mit
„zerstörten Landschaften, krankmachenden Bedingungen und rebellischen
Arbeitern“. Letztere kämpften nicht nur gegen ihre eigene Nutzbarmachung, durch
ihre Machtstellung im Produktionsprozess entstand auch das, was Schaupp die
„Institutionalisierung der Stoffwechselpolitik“ nennt: die Entstehung von
Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, von Tarifverhandlungen. Anhand dieses
kurzen Beispiels, von denen es zahlreiche im Buch gibt, zeigt Schaupp eindrücklich,
dass Natur und Arbeit in einem wechselseitigen Verhältnis stehen, dessen
Entwicklungen nicht so steuerbar sind, wie sich das zum Beispiel die Besitzer
der Kohlegruben gewünscht hätten.
Mit Streiks in die lustvolle Nutzlosigkeit
Was folgt nun daraus für unsere aktuelle ökologische Krise? Schaupp plädiert
für eine Politik der lustvollen Nutzlosigkeit – und meint damit die positive
Akzeptanz, dass wir Arbeit und Natur nicht mehr weiter so nutzbar machen
können, wie das in den vorherigen Jahrhunderten der Fall war. Kapitalistisches
Wachstum als Ursache für die ökologische Krise haben auch schon andere
herausgearbeitet. Doch wie können wir etwas verändern? Ein zarter Ansatz, den
Schaupp erwähnt, sind die gemeinsamen Streiks der ÖPNV-Beschäftigten mit der
Klimabewegung „Fridays for Future“, die aktuell gemeinsam sowohl für
verbesserte Arbeitsbedingungen als auch den Ausbau des Nahverkehrs auf die
Straße gehen. Aber auch die Streiks der Zugführergewerkschaft GDL, bei denen
eine verkürzte Arbeitszeit gefordert wird, wären wahrscheinlich für Schaupp
sinnvolle Kämpfe für lustvolle Nutzlosigkeit und gegen die Klimakatastrophe.
Klar ist sowieso: nach der Lektüre von „Stoffwechselpolitik“ wird man Natur und
Arbeit nicht mehr als gegensätzliche, unpolitische Einheiten betrachten können.
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