Sie lernten Pina Bausch 1985 kennen, nachdem Sie in Venedig mehrere ihrer Stücke gesehen hatten. Ihr Tanzfilm "Pina" ist nun geradezu eine Liebeserklärung. Was verband Sie über die langjährige Freundschaft hinaus? Pina war für mich wie die ältere Schwester, die ich nie hatte. Wir sind auch nicht sehr weit voneinander aufgewachsen. Düsseldorf, wo ich nach dem Krieg zur Welt gekommen bin, liegt nur etwa 40 Kilometer von Solingen entfernt, wo Pina Bausch herkam. Unsere Sprache ist so ähnlich wie die Zeit, in die wir hineingeboren wurden. Beide sahen wir, dass man etwas Neues machen musste. Sie tat es ganz radikal mit ihrem Tanztheater und ich mit meinen
Pina Bausch starb zwei Tage vor dem geplanten Start der Dreharbeiten: Wusste Pina, wussten Sie, dass sie krank war? Nein, Pina hat es nicht gewusst, das kann ich bezeugen, denn wir haben noch zwei Wochen vorher zu Abend gegessen und sie hatte viele Pläne. Aber Pina war ausgebrannt. Sie hat sich nie geschont, aber jetzt sie war so erschöpft, dass sie sogar von selbst etwas weniger geraucht hat. Sie war auch einverstanden, in eine Kur zu gehen, um für die Filmarbeiten wieder zu Kräften zu kommen. Bei der Eintrittsuntersuchung hat man dann den Krebs entdeckt. Pina hat diese Diagnose aber nur mit ihrer Familie geteilt. So kommt es, dass wir alle - die Freunde, die Tänzerinnen und Tänzer - uns nicht von ihr verabschieden konnten.
Lassen Sie deshalb, neben Ausschnitten aus den Aufführungen, die Tänzerinnen und Tänzer des Wuppertaler Tanztheaters vor der Kamera Abschied nehmen? Das war der Schlüssel zu diesem Film. Für den Film mit Pina gab es ja ein fertiges Konzept - ich wollte sie und ihr Tanztheater auf einer Welttournee begleiten. Aber für den Film ohne Pina gab es zunächst nur Ratlosigkeit. Da hatte dann Pina plötzlich wieder selbst ihre Hände im Spiel, indem sie uns ihre Methode des Fragens hinterlassen hat, die wir für den Film übernommen haben. Diese ist so bekannt wie einzigartig, eine Umkehrung aller bisherigen Methoden: Pina hat ihren Tänzern nichts vorgezeigt, sondern sich zeigen lassen, was diese - tänzerisch - auf ihre Fragen zu sagen hatten. Es waren insistierende, immer genauere Fragen, die zum Kern der Persönlichkeiten vorstiessen. Das ist eine unglaublich andere Art, an den heranzugehen, die jede Rolleninterpretation hinter sich lässt.
Versuchten Sie das in Ihren Filmen nicht auch? Ich habe schon auch immer gewollt, dass meine Schauspieler mit der Figur, die sie darstellen, möglichst verschmelzen. Aber Pina hatte keine Geschichten, Biografien oder Schauplätze, wie man sie im Film überall findet, sondern nur ihre Bühne und ihren Blick. Das ist viel radikaler, als was wir Filmemacher je gemacht haben.
Wie haben Sie diese Erinnerungs-Statements der Tänzer ausgewählt? Ich hatte gar keine andere Wahl, als alle zu nehmen. Es hatte sich ja keiner verabschieden können. Es sind also alle Mitglieder des jetzigen Ensembles dabei und dazu noch einige Engel aus den Anfängen der Compagnie. Natürlich mussten wir trotzdem vieles kürzen, aber die Tänzer kannten das ja: Bei Pina gab es Stücke mit sechs Stunden langen Generalproben, die von ihr in der Nacht noch so gekürzt wurden, sodass die Premiere anderntags tatsächlich nur noch zwei Stunden dauerte.
In den Aufnahmen von "Kontakthof" und "Café Müller" lassen Sie verschiedene Inszenierungen verschmelzen. Ist das Ihr Eingriff in das originale Werk, oder war das so abgesprochen? Ja und nein: In der Wiederaufnahme von "Café Müller" hätte Pina selbst tanzen wollen - es hätte also keine Notwendigkeit gegeben, Archivmaterial von einem ihrer Auftritte in die Aufnahmen der heutigen Aufführung zu mischen. Bei "Kontakthof" gab es bereits diese einzigartige Konstellation, dass drei Versionen des Stückes existieren: eine mit dem Ensemble, eine mit Jugendlichen und eine mit Senioren. Mir erschien die Idee sehr verlockend, durch die Generationen hindurchzuschauen. Pina war das nicht so ganz geheuer. Den Ausschlag gaben schliesslich die Tänzer, die das Stück wiederaufnehmen wollten. Darum war dann auch Pina einverstanden.
Die 3-D-Technik verlockt zu optischen Spielereien: Wie sind Sie mit dieser Versuchung umgegangen? Weil ich überzeugt war, dass Pinas Tanz der Menschheit gehört, musste ihre Kunst auf jeden Fall die Attraktion unseres Filmes bleiben. 3-D war die Sprache, die wir uns dafür gewünscht, ja herbeigesehnt hatten, aber die durfte sich nicht in den Vordergrund spielen. Sie musste sich selbst vergessen machen. Ich wollte den Zuschauern vermitteln, was mir damals in Venedig passiert war: dass einer, der mit Tanz sonst nichts am Hut hat, erfährt, wie wahrhaftig und wie wunderschön das ist.
Ihre Musikfilme sind legendär, und auch bei "Pina" haben Sie hörbaren Wert auf die Tonspur gelegt. Das war in der Tat ein Abenteuer für sich. Nach der längsten Schnittarbeit, die ich je erlebt habe, 14 Monate, und erst nachdem wir bereits mit der Vertonung begonnen hatten, kam mir der leise Verdacht, dass es nicht gut war, das Filmmaterial beim Tonmischen nur in einer zweidimensionalen Version zu sehen. Wir brauchten und bauten uns also eine Möglichkeit, alles räumlich anzuschauen, und da war auf einmal klar, dass 3-D die Ohren und Augen ganz anders koordiniert: Wenn man in die Tiefe schaut, möchte man auch plastischer hören. Wir mussten ganz von vorne beginnen: Es war ein ständiges Experimentieren mit den Möglichkeiten, einzelne Orte im Raum - oder auch die Stille - hörbar zu machen.
Gehen Sie auch selbst tanzen? Durchaus, aber ich bin ein einsamer Solotänzer. Nach Drehschluss haben wir mit den Darstellerinnen und Darstellern gefeiert. Da lernt man Demut: Auch das können die besser. (Tages-Anzeiger)
(Erstellt: 13.04.2011, 08:04 Uhr)