Zwei Uraufführungen haben Sie im Jubiläumsjahr mit Ihrer Compagnie Flamencos en route bereits auf die Bühne gebracht, eine dritte, "Haiku Flamenco", feiert morgen Premiere. Warum gibt es keinen Rückblick über die vergangenen 30 Jahre? Das entspräche mir nicht: Ich inszeniere, was mich gegenwärtig beschäftigt, und ich stehe heute doch an einem anderen Punkt als vor dreissig Jahren! Auch meine Tänzerinnen und Tänzer haben sich verändert. Zum Jubiläum wollen wir erfahren, was die Entwicklung der vergangenen Jahre aus uns gemacht hat. Wir fragen: Wo steht der Flamenco, und wo stehen wir als Tanzcompagnie Flamencos en route heute?
Trotzdem: Der Aufwand ist riesig, und Sie proben ja bereits ein viertes Stück. Die Produktionen sind tatsächlich sehr verschieden. "Siesta" war ein grosses Spektakel mit viel Musik, ganz zugeschnitten auf die Reithalle in Aarau. Eine Art Dankeschön an den Kanton, der uns seit Jahren unterstützt. In "Haiku Flamenco" werde ich mich auf den Kern des Flamenco konzentrieren, das wird viel intimer. Es gibt ja kaum eine Kunstform, bei der sich Darstellende und Publikum so nahekommen können wie im Flamenco. In "Perlas peregrinas" schliesslich gab und gibt es doch ein paar Reminiszenzen an die Vergangenheit. Und die Produktion, die ich im Rahmen des dreiteiligen Ballettabends "b.23" in der Düsseldorfer Oper choreografieren kann, ist für mich dann das Tüpfelchen auf dem i: Mein Stück, das ich zusammen mit meiner Compagnie und klassischen Tänzern des Balletts am Rhein umsetze, wird von einer Choreografie Martin Schläpfers und einer von Mats Ek umrahmt.
Flamencos en route ist eine "feste freie Tourneetruppe", das heisst, als eines der ganz wenigen festen Tanzensembles in der Schweiz hat man keinen eigenen Auftrittsort, geht aber regelmässig auf Tournee. Der Name Flamencos en route ist Programm: Es geht auch im übertragenen Sinne darum, immer unterwegs zu sein. Ich suche den Dialog mit anderen Tanzformen, mit bildenden Künstlern, Literatur und zu natürlich mit der Musik. Und nach den Proben, die jeweils etwa zwei Monate dauern, sind wir mit unseren Stücken unterwegs, ja.
Sie leisten sich ein quasi festes Ensemble. Können Sie Ihre Leute das ganze Jahr über bezahlen? Es ist schwierig, als freie Tanzcompagnie mit Toptänzern zu überleben. Man sollte ja zumindest die Ansätze bezahlen, die der Dachverband Danse Suisse vorgibt, also mindestens 4000 Franken pro Monat während der Proben und Aufführungen. Dazu kommen die Versicherungen, Reisen, Hotels. Dank Subventionen und Sponsoring kann ich jeweils im Blockmodell für sechs, sieben Monate mit meinen Leuten zusammenarbeiten. Diese Konstanz ist für meine künstlerische Arbeit sehr wichtig. Wir verfügen über eine kleine, aber sehr klar strukturierte Organisation - ähnlich wie bei einem festen Ensemble. Den Rest des Jahres verbringen die Künstler zu Hause und in anderen Engagements.
Wie lässt sich unter diesen Bedingungen ein Ensemble führen? Die künstlerischen Konsequenzen dieser Unsicherheit sind beträchtlich, zumal der in der heutigen Eventkultur bei den Sponsoren weit hinten ansteht. Ich will nicht jedes Mal neue Leute suchen, um etwas zu entwickeln. Ein Tänzer muss aber dauernd Engagements annehmen, um überleben zu können. Also bekomme ich die Leute nicht, weil sie anderswo verpflichtet sind.
Wie kommt man denn als freie Compagnie zu Engagements? Für uns ist es schwieriger denn je. Flamenco gilt a priori nicht als zeitgenössischer Tanz, obwohl gerade Flamencos en route die Erneuerung ebenso pflegt wie die Tradition. Die Veranstalter sind zu Kuratoren geworden, die ihren eigenen Stil pflegen wollen. Nur, dass diese "persönlichen Handschriften" sich vielerorts gleichen und der Flamenco nirgends dazugehört. Für uns ist das fatal, denn wenn wir längere Zeit nicht in einer Stadt präsent sind, vergisst uns das Publikum. Aber das kann sich immer wieder ändern.
Sieht ganz so aus, denn Ihre Vorstellungen in der Aarauer Reithalle, im Kurtheater Baden und kürzlich an den Oltner Tanztagen, einem zeitgenössischen Festival notabene, waren alle ausverkauft. So ist es, und auch andernorts haben wir ein treues Stammpublikum, das nach uns fragt. Aber in der Stadt Zürich ist es sehr schwierig für uns geworden, obwohl wir da schon vom Schauspielhaus übers Theater Stok und das Westend bis zur Gessnerallee in jedem grossen und kleinen Theater gespielt haben.
Waren die Bedingungen vor dreissig Jahren anders als heute? In den 80er-Jahren wurde der Tanz viel ganzheitlicher betrachtet. An den internationalen Sommerkursen, bei denen auch meine grossen Mentoren unterrichteten - die legendäre Flamencotänzerin Susana und ihr Mann, der Komponist Antonio Robledo -, trafen sich Tänzer aus der ganzen Welt und allen Stilrichtungen. Balletteusen besuchten die Flamenco-Workshops, wir wiederum nahmen Kurse in Modern-, Step- oder Jazzdance. Wir inspirierten uns gegenseitig und suchten nach neuen Einflüssen. Mit Flamencos en route waren wir natürlich trotzdem Exoten, aber das kümmerte mich nie. Es ging immer darum, unsere eigene Ausdrucksform zu finden, und da haben Kompromisse immer weniger Platz. Bis jetzt hat sich dieser Weg immer bewährt.
www.flamencos-enroute.com"Haiku Flamenco" ab 3. 12. im Theater im Kornhaus, Baden. "Perlas peregrinas" ab 27. 12. in der Dampfzentrale, Bern. (Tages-Anzeiger)
(Erstellt: 02.12.2014, 19:48 Uhr)