Nikta Vahid-Moghtada

Freiberufliche Journalistin und Redakteurin, Berlin / Leipzig

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Konjunkturflaute dämpft Neueinstellungen auf dem Arbeitsmarkt

Der deutsche Arbeitsmarkt steht gerade vor einer ganzen Reihe von Herausforderungen. Durch die anstehende Verrentung der Baby-Boomer-Jahrgänge droht eine starke Verknappung von Arbeitskräften. Die zunehmende Digitalisierung wird weitere Jobfelder überflüssig machen, und gleichzeitig wird auch die Dekarbonisierung der Wirtschaft, also der Ersatz fossiler Brennstoffe durch erneuerbare Energien in der Wirtschaft, den Jobmarkt stark verändern.

"Die Sorgen von früher sind die Sorgen von morgen", sagt der Pressesprecher der Arbeitsagentur Sachsen, Frank Vollgold. Diese Sorgen seien allesamt nicht neu - Demografie, Digitalisierung und Dekarbonisierung. "Das Thema Fachkräftesicherung gewinnt weiter an Bedeutung und muss durch alle Akteure gemeinsam angepackt werden, sonst hat es der Wirtschaftsstandort im internationalen Wettbewerb um Fachkräfte sehr schwer."

Hinzu kommt: Deutschland steckt in einem Wirtschaftsabschwung fest. Das zeigen auch aktuelle Zahlen aus dem Konjunkturbarometer, die das Deutsche Institut für Wirtschaft am Mittwoch veröffentlicht hat. "Die deutsche Wirtschaft tut sich schwer damit, einen Weg aus dem Konjunkturtief zu finden", sagt Timm Bönke, Co-Leiter des Bereichs Prognose und Konjunkturpolitik im DIW Berlin. "Sie kämpft weiterhin mit den Folgen des russischen Überfalls auf die Ukraine, den höheren Zinsen, unklaren wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen sowie der nur moderat zulegenden Weltwirtschaft."

Auch die Arbeitsmarktentwicklung sei durch diesen Abschwung gedämpft worden, sagt der Arbeitsmarktforscher Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB): "Die Beschäftigung steigt nicht mehr so stark wie vor einem Jahr." Am schwächsten sei die Beschäftigungsentwicklung gerade im Bau, im Handel und in Teilen der Industrie.

Ein Rückgang ist Enzo Weber zufolge jedoch nicht zu verzeichnen. Die Entlassungsquote befindet sich nach seinen Worten auf dem niedrigsten Niveau seit Jahrzehnten. Der Grund: Arbeitskräfte seien so knapp geworden, dass die Betriebe ihre Leute an Bord hielten. "Die eigentliche Herausforderung ist nicht eine Entlassungswelle, sondern eine tiefgreifende wirtschaftliche Transformation. Wenn Jobs zu Ende gehen, wie in der Produktion von Verbrennermotoren, müssen wir in der Lage sein, Beschäftigte in verwandte aufstrebende Bereiche weiterzuentwickeln, etwa in der Technik für die Energiewende", erklärt der Arbeitsmarktexperte.

71.000 freie Jobs in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt

Die Konjunkturlage habe bereits Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, sagt Frank Vollgold, der die Zahlen für Mitteldeutschland gut kennt: "Wir stellen seit einiger Zeit fest, dass sich jeden Monat mehr Menschen aus einer Beschäftigung heraus arbeitslos melden und weniger eine neue Arbeit beginnen. Das ist auf die Zurückhaltung bei Neueinstellungen zurückzuführen und ein klarer Beleg, dass die Chancen, eine neue Arbeit zu finden, sinken."

In Mitteldeutschland seien derzeit mehr als 71.000 freie Jobs zu besetzen. Verglichen mit dem gleichen Zeitraum noch vor einem Jahr zeige sich bei den gemeldeten Arbeitsstellen ein Rückgang. Das zeige, dass die Einstellungsbereitschaft der Unternehmen in Mitteldeutschland gesunken ist, sagt Vollgold: "Am kräftigsten ist der Rückgang in Thüringen und am schwächsten in Sachsen-Anhalt."

In Sachsen stehen einem Plus von 7,9 Prozent mehr Arbeitslosen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum 7,5 Prozent weniger gemeldete Stellen gegenüber. In Sachsen-Anhalt sind die Zahlen etwas niedriger: 2,8 Prozent mehr Arbeitslose stehen hier 3,7 Prozent weniger gemeldeten Stellen als noch im Januar 23 gegenüber. In Thüringen sind 7,6 Prozent mehr Menschen als im Januar 23 arbeitslos. Hier schrumpfte der Stellenmarkt am signifikantesten: 10,6 Prozent weniger freie Arbeitsstellen als noch vor einem Jahr wurden gemeldet.

Ende Februar teilte das Münchner Ifo-Institut mit, dass die Unternehmen in Deutschland angesichts der Konjunkturkrise so wenig Personal einstellen wie seit drei Jahren nicht mehr. Das geht aus der jüngsten Firmen-Umfrage hervor. Ifo-Experte Klaus Wohlrabe erklärte der Nachrichtenagentur dpa, die Wirtschaftsflaute lasse die Unternehmen bei Neueinstellungen zögern. Auch der Abbau von Arbeitsplätzen werde nicht mehr ausgeschlossen. Die Entwicklung gelte für nahezu alle Branchen, vor allem aber für Industrie und Handel, aber auch für den Bau. Nicht betroffen seien die Bereiche IT und Beratung.

Arbeitsmarktexperten wie Enzo Weber bleiben dennoch optimistisch: "Insgesamt befinden wir uns in einer Situation außergewöhnlicher Chancen, die etwa mit neuen Geschäftsmodellen im Zuge der Energiewende oder der Anwendung von KI zusammenhängen. Zugleich impliziert das aber auch außergewöhnliche Risiken, etablierte Stärken zu verlieren, wenn man diese Chancen nicht ergreift." Die Entwicklung in den kommenden Jahren hänge also wesentlich davon ab, wie entschieden man Investitions- und Technologieförderung betreibe.

Was tun also, um diese Herausforderungen zu bewerkstelligen? Darüber streitet auch die Ampel-Koalition, über Wirtschaftshilfen etwa oder über das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das ab März die Beschäftigung ausländischer Fachkräfte noch einmal weiter erleichtern soll.

Wie wichtig Fachkräfte aus dem Ausland für den deutschen Arbeitsmarkt sind, betont auch Enzo Weber. Zuletzt sei die Beschäftigung nur noch bei Menschen mit ausländischer Staatsbürgerschaft gestiegen. Bis 2035 werde die Zahl der Arbeitskräfte in Deutschland aus demographischen Gründen um sieben Millionen zurückgehen. Dieser Arbeitskräftemangel müsse unter anderem durch Migration ausgeglichen werden, sagt der Arbeitsmarktexperte. Deshalb sei es auch wichtig, das Zuwanderungsrecht für Drittstaaten weiter zu reformieren.

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