Es fällt schwer sich zu erinnern, wann die berühmteste Metalband der Welt ihr letztes Album veröffentlicht hat. Die Zeiten verschwimmen. Sicherlich auch, weil Metallica und der Metal mittlerweile zum Allgemeingut geworden sind. Der spezifische Sound, die verzerrten Gitarren sind uns längst wohlvertraut, sind eingesickert ins tägliche Leben. Beim Autofahren, beim Abwasch und Einkaufen.
Metallicas letztes Album erschien im Jahr 2008, es hieß Death Magnetic und kam ganz gut an. Mehr nicht, aber auch nicht weniger. Nun sind Metallica mit Nachdruck für ihre Experimente zu loben. Sie waren oft widerständig gegenüber den Engstirnigen, die sich ans Bestehende klammern, die permanent davon sprechen, ein Album habe endlich mal wieder "eine Rückkehr zu den Wurzeln" zu sein. Sie waren einige Male in ihrer Karriere eine Herausforderung für die treuen Fans, und selbst wenn die Alben dabei nicht immer überragend wurden, so ist doch der Wille zu loben.
Metallicas neuestes Album Hardwired...to Self-Destruct nun geht meist weit zurück. Ihre Referenz ist vor allem die selbstbetitelte fünfte Platte von 1991, das "schwarze Album", weite Teile bewegen sich im gleichen, groovenden Midtempo. Das neue Album macht es sich einfach. Es geht zurück zu den bewährten Formeln und zu dem Album, auf dem sich Metallica durch die Verknappung und Verlangsamung ihrer Songs dem Mainstream öffneten.
Die notorisch hirnrissigen ManowarNun ist Hardwired...to Self-Destruct zu gut, um es einfach zu verreißen. Aber es ist wie eine Parallelwelt, in der die Band sich eingeschlossen hat. Sie waren immer die Realisten unter den Weltflüchtigen. Sie gingen immer über die Comic-Gewalt und die artifizielle Zuspitzung hinaus, an der sich Slayer, Cannibal Corpse oder die notorisch hirnrissigen Manowar bedienen. Und doch ist wahr, was der Kulturtheoretiker Mark Fisher im Kapitalistischen Realismus beklagt: Dass in und durch Kunst, die sich in klar erkennbaren Schulen und Routinen bewegt, der Status quo zementiert werde. Kunst könne die bestehenden Verhältnisse nicht nur abbilden, sondern gleichsam übersteigen, indem sie sich eigene Welten schafft. Und indem sie neue Ausdrucksformen findet, andere Techniken nutzt oder Stile mischt.
Metallicas St. Anger aus dem Jahr 2003 war so ein unerwartbares Album gewesen. Es erschien nach den sanfteren Veröffentlichungen Load und ReLoad, und rief seinen Hörern wieder die Wucht der Alben aus den Achtzigern ins Gedächtnis. Ja, es ging sogar darüber hinaus. Womöglich ist es genau deswegen durchgefallen bei vielen Fans. So roh war es, so sehr auf Krawall gebürstet, auch sehr aktuell damals, nahe an der Wucht des modernen Metal, also weniger Virtuosität und mehr Betonung auf Rhythmus und Druck. Danach entstanden Hunderte von Internetforenseiten alleine darüber, wie Lars Ulrichs Snaredrum auf diesem Album klingt. Hell, flach, unterproduziert. Diese Snare war ein Widerhaken, ein Marker. Trotz der ganzen Kohle klang das scheppernd. Und das nach Jahren, in denen Metallica mit Hard- und Southern-Rock-Alben sowieso links und rechts schauten.
Auf Hardwired...To Self-Destruct ragt hingegen wenig so heraus, wenig ist tatsächlich einprägsam. Das typische Metallica-Sägen auf den Gitarren im Midtempo, Ulrichs unterschätztes, stampfendes Schlagzeugspiel, James Hetfields Stimme, die auf den Vokalen am Ende immer etwas zu lange herumkaut. Es war nie anders, es wird wohl ewig so sein. Gerade für Menschen, die etwa so lange existieren wie die Band selbst, fügt sich auch Hardwired...To Self-Destruct ein in ein Leben voll von Hingenommenem. Autos fahren auf der rechten Seite, der Mülleimer ist unter der Spüle. So lässt sich das Album weghören. Man will dazu durchaus in angenehm versetzter Stimmung einkaufen oder die Wäsche machen, aber: Es in Ruhe hören, ganz bewusst?
Der Metal liegt im Koma
Um überhaupt Nuancen innerhalb der Songs und Abläufe festzustellen, bedarf es der Konzentration – die jedoch ist gerade dadurch, dass dieses Album so wohlvertraut und solide ist, schwierig zu halten. Sicherlich, die unerwartet straighte Strophe und der zunächst sanfte Gesang von Halo On Fire sind nett, weil Metallica hier Spannung erzeugen. Immer wieder sind Versatzstücke gelungen, so wie das Riff von Here Comes Revenge besser ist als viele ähnliche, aber selten ergibt sich der Eindruck, ein Song wäre mehr als die Summe einiger guter Teile und anderer, die ganz in Ordnung sind.
Mark Fisher argumentiert, wir hätten es in den verschiedenen Retrowellen (Achtziger, Schulterpolster, Synth-Pop, Grunge und so fort) nicht einfach mit erkennbaren Rückwendungen zu tun, sondern die Produkte werden selbst zeitlos, es wird unmöglich zu sagen, wo und wann wir uns befinden, ob es sich nun um ein Artefakt aus den Achtzigern handelt oder um ein Stück von 2016. So ist es mit Hardwired…To Self-Destruct. Charakter entsteht einzig durch die Collage bekannter Fragmente und Riffs. Ein Fluss, eine musikalische Entwicklung, die das zusammenbinden könnte, fehlt. Mal fallen Ideen dazwischen, aus anderen Alben vertraut erscheinen, ewige Verweise aufeinander, das eigene, stilprägende Werk als große Blase.
Übergroße Iron-Maiden-Melodien
Das große Zitierkartell namens Heavy Metal, es holt auch Metallica ein. Man lege nur Moth Into Flame und The End Of The Line vom letzten Album Death Magnetic übereinander, die Einstiege sind effektiv, fraglos. Metallica konnten meist die bassig-groovende Blues-Seite des Metal besser als übergroße Iron-Maiden-Melodien. Aber diese Anfänge sind sich so nahe. Wie kann man so offensichtlich alte Ideen wiederverwenden?
Lars
Ulrich sagte in den Neunzigern in einigen Interviews, der Metal
"liege im Koma" und die gängige Praxis, aus einer einmal
gefundenen Formel andauernd fast identische Alben zu pressen, sei
"sinnentleert" für eine ehemals rebellische Kultur. Viele nahmen
ihm das übel, Ulrich widerrief es Jahre später. Und auch im Rückblick auf
das bei vielen Fans verhasste St.
Anger äußerte sich Ulrich
später kritisch, die Fans hätten recht, es sei der falsche Weg
gewesen. So stehen alle wieder beisammen. Im Status quo.
erschienen bei ZEIT ONLINE, 21.11.2016.
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