Nachrichten über Nordkorea lösen im Rest der Welt meist Verwunderung aus. Auch vor einigen Wochen war es so, als bekannt gegeben wurde, dass im August die erste ausländische Rockband von Rang dort auftreten soll. Keine beliebige Band, keine apolitische Combo wie Coldplay oder die Massenunterhalterin Helene Fischer - wobei auch das seinen Reiz hätte. Die Ehre wird der slowenischen Artrockband Laibach zuteil.
Die gibt es seit Ende der siebziger Jahre, und sie hat Zeit ihres Bestehens mit dem Verdacht zu kämpfen, ihre martialisch-soldatische Inszenierung, ihre Texte in Manier von Politslogans und ihre ursprünglich dem Industrial entstammenden Maschinen-Marsch-Hymnen verherrlichten Faschismus und Totalitarismus. Auf die direkte Frage nach ihrem Verhältnis zum Faschismus entgegnete die Band einst legendär: "Wir sind Faschisten in der Weise, in der Hitler ein Maler war." An der Antwort lässt sich einiges lernen über Laibachs Strategie, die nicht missverstanden werden sollte als Einbahnstraßen-Satire, die sofort klarstellt, woher sie kommt und wohin sie will. Hitler war ja durchaus ein Maler. Aber eben ein ziemlich mieser.
Der Anlass der zwei Auftritte, die für den 19. und den 20. August im Kim-Won-Gyun-Konservatorium in Pjöngjang geplant sind, ist der 70. Jahrestag des Endes der japanischen Besatzung Nordkoreas. Vor wenigen Tagen schon hatte der derzeitige Regent Kim Jong Un eine eigene Zeitzone ausgerufen - die halbe Stunde Umstellung soll ein Zeichen gegen die Zeit unter fremder Regierung sein. Nordkorea belebt die Allmachtsfantasie, es ließe sich alles und jeder kontrollieren. Nordkorea ist die ultimative Absage an den Steuerungspessimismus, der sich - außerhalb von Verschwörungstheorien, in denen eine winzige Elite alle anderen zum Narren halten kann - in westlichen Gesellschaft längst durchgesetzt hat: Märkte regulieren sich selbst, die Handhabe des Staates ist gering, es gibt keine Alternative, das ist im Jahre 2015 die sehr dominante und scheinplausible Rhetorik. Nordkorea ist da anders, vor allem durch seine Staatsideologie Juche verkörpert, in der es nach dem vergötterten Gründer und Vordenker Kim Il Sung heißt: "Der Mensch ist der Meister von allem und entscheidet über alles." In Nordkorea ist noch alles möglich, die alternative Ordnung und die Umwälzung in allen Bereichen, im Öffentlichen, im Privaten - wenn Kim Jong Un es eben will.
Was die Mächtigen wollenVor Jahren erschien ein beachtlicher Architekturführer über die Hauptstadt Pjöngjang, herausgegeben von Philipp Meuser, der die Architektur als Beispiel dafür nimmt, wie sich das seit den Siebzigern zur nordkoreanischen Hauptstadt aufgewertete Pjöngjang von anderen Hauptstädten ebenso autoritärer Regime unterscheidet. In Nordkorea wird tatsächlich totalitär durchregiert - und dies äußert sich in jedem Gebäude der Drei-Millionen-Stadt. Im Band heißt es: "Städtebauliche Ensembles, Silhouetten oder Kreuzungsanlagen erscheinen in einer Perfektion, die in einer Demokratie fast Angst erzeugen könnte." Die Stadt ist genau das, was die Mächtigen wollen. Die Darstellung solcher Allmachtsvorstellungen war bereits in einem ihrer ersten Konzerte 1980 Laibachs Thema: Auf ein Bild des jugoslawischen Präsidenten Tito wurde ein Phallus projiziert. Die Polizei brach das Konzert ab, Laibach erhielten jahrelanges Auftritts- und Veröffentlichungsverbot in ihrer Heimat, das sie mit heimlichen Aufnahmen umgehen. Schon mit der Wahl ihres Namens hatten sie sich bei Tito unbeliebt gemacht - Laibach ist die unter seiner Regierung verpönte deutschsprachige Bezeichnung der slowenischen Hauptstadt Ljubljana.
Auch heute noch haftet Laibach etwas Anarchisches an, deshalb ist es gut möglich, dass die Ankündigung des Auftritts in Nordkorea lediglich eine PR-Aktion ist. Wird die Band tatsächlich eine Werkschau ihres Schaffens der letzten 35 Jahre und ausgewählte nordkoreanische Volkslieder spielen? Zumindest versichert auch die Plattenfirma Mute, dass die Konzerte stattfinden werden. Und doch wirkt das auf den ersten Blick zu absurd, um wahr zu sein.
Wenn es stimmt, dann wird es sehr interessant zu beobachten, was diese Performances bewirken. Selbst, wenn es nur eine PR-Aktion bleiben wird, ist es spannend, wie die Ankündigung bereits interpretiert wurde und wie Laibachs Werk in der Öffentlichkeit diskutiert wird. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung meinte früh, offensichtlich wisse Kim Jong Un nicht, mit wem er es zu tun habe. So einfach ist es aber sicherlich nicht. Auch, weil die Band alles dafür tut, ihre Statements vage zu halten. In einem der jüngsten Interviews zur anstehenden Liberation Day Tour in Pjöngjang teilte die Band mit, sie beabsichtige in keiner Weise, das Regime oder die nordkoreanische Bevölkerung zu kritisieren. Es ginge auch nicht darum, beide zu stützen. Vielmehr wolle man den Blick des Auslands auf Nordkorea herausfordern und eine Diskussion anstoßen. Das ist bereits gelungen.
Die Band als GesamtkunstwerkLaibach sprechen immer abwartend, relativierend, trotz all der harschen Symbole und inszenierten Fackelmärsche. Auf ihre Anfangszeit in Titos Jugoslawien angesprochen, äußern sie, sie hätten nie im Sinn gehabt, dieses zu kritisieren. Im Gegenteil, sie hätten es effizienter und besser machen wollen. Die Mitglieder von Laibach finden einander Ende der Siebziger im Kunsthochschul-Umfeld. Von Anfang an ist es ein theorielastiges Projekt, keine reine Punkprovokation. Mitte der Achtziger formieren sich Laibach mit anderen bildenden Künstlern und Schriftstellern in der Gruppierung Neue Slowenische Kunst (NSK), der Eindruck der Band als Gesamtkunstwerk verstärkt sich.
Das Kollektiv ist wenig statisch, die Mitglieder wechseln, manche sind stärker in die Musikproduktion eingespannt, andere in die Konzepte, Plakate, Manifeste. Von Beginn an treten Laibach in Uniformen auf, die sich einer wilden Mischung verschiedener Herrschaftssymbole bedienen. Anfangs musikalisch noch stark aus dem Industrial in Nähe zu den Einstürzenden Neubauten und Throbbing Gristle kommend, entfaltet sich ihr Stil, der Militant Classicism, mit den Jahren, eine Mischung aus tanzbarer Electronic Body Music, kurz EBM, Techno und klassisch-bombastischen Elementen wie Fanfaren, Streichern und Chören (meist künstliche aus dem Keyboard). Dazu singt Milan Fras so unfassbar teutonisch, dass Till Lindemann von Rammstein - die natürlich von Laibach inspiriert sind - geradezu gehemmt wirkt. Die Inszenierung ist martialisch, laut, grell und so sehr auf wagnerianische Überwältigung aus, dass man leicht von den Details und den Brüchen abgelenkt werden kann: Laibach unterschreiben früh einen Vertrag bei der staatlichen jugoslawischen Plattenfirma, dieser wird jedoch aufgelöst, weil - und da kann man Wikipedia gerne zitieren - "die jugoslawischen Autoritäten sich bezüglich der ideologischen Einordnung Laibachs und NSKs unsicher waren".
Ein norwegischer Künstler hat den Coup eingefädelt
Zu Laibachs wohl bekanntesten Projekten zählen die Coverversionen des Beatles-Album Let it be (mit Ausnahme des Titelstücks) und Sympathy for the Devil von den Rolling Stones, das sie sich ganze acht Mal zu eigen machen. Es ist zu einfach, Laibach schlicht als gemäßigte Liberale zu sehen, die sich dann dem fast vergangenen Totalitarismus des 20. Jahrhunderts vorknöpfen. Vielmehr geht es auch darum, die politischen, mitunter gewalttätigen Funktionsweisen in der westlichen Popmusik auszustellen: In ihrer Version von Queens One Vision übersetzen sie den Text ins Deutsche und inszenieren ihn mit dem Johlen der Massen als große Kollektivierungs- und Einschwörungshymne. Es ist schon beim Lesen des englischen Originals klar, wie das dann wirkt: "One flesh, one bone, one true religion, one race, one hope, one real decision". Der Song heißt nun, nach dem sehr erfolgreichen und offen rassistischen US-amerikanischen Film von 1915 Geburt einer Nation. Der Kontext entscheidet, das lässt sich immer wieder von Laibach lernen. Und ihr Verständnis von politischer Haltung verbietet eine zu einfache Festlegung.
Ihr
Konzept soll durch die radikale Hingabe die Augen öffnen. Indem sie sich
der Ideologie ganz ausliefern, auch der Ideologie des Queen'schen
Bombasts. Indem sie sich einlassen auf das Aufscheinende und
Gewalttätige, wollen sie ins Detail, bis zum heißen Kern dieser
Ordnungen vordringen – anstatt sie recht stumpf aus der Ferne zu
verurteilen. So gesehen sind die nordkoreanischen Machthaber vielleicht
nicht viel schlechter informiert als diejenigen, die Laibach allzu
schnell als leicht handhabbare Totalitarismuskritiker bezeichnen.
Beweist Kim Jong Un damit Humor?
Hinter
dem Coup der Verpflichtung Laibachs steht der norwegische Künstler
Morten Traavik, der sich seit Jahren um einen Austausch mit Nordkorea
bemüht. Letzterer wird nicht von allen positiv betrachtet: Ende 2014
machte Traavik auf sich aufmerksam, als er bekannt gab, eine
Kunstakademie für in- und ausländische Künstler in Nordkorea zu
eröffnen. Offene Kritik solle darin aber nicht geäußert werden, diese
vertiefe die Gräben ja nur. Im Kontext des Laibach-Auftritts ist es
besonders interessant, wie Traavik die Funktion der Kunst in autoritären
Staaten einschätzt: "Jedes strenge Regime bevorzugt Kunst, die
figurativ und einfach ist, vor allem einfach zu interpretieren."
Ersteres mag auf Laibach vielleicht zutreffen, einfach zu interpretieren
sind sie jedoch nicht.
Nehmen wir an, Kim
Jong Un lässt Laibach wirklich spielen: Wäre es dann ein Beweis dafür,
dass das nordkoreanische Regime immer unterschätzt wurde, auch in seinem
Humor? Oder wäre es der Beleg dafür, dass sich ein Land von Jahrzehnten
der Isolation nicht erholen kann? Selbst die Eliten des Landes nicht,
die mutmaßlich mitbekommen dürften, was fernab der nordkoreanischen
Propaganda passiert. Vielleicht verstehen diese schlicht nicht, was da
passiert. Sie sehen nur die Vorderbühne des Laibachschen Bombasts.
Kann das sein? Kaum vorstellbar. Das würde bedeuten, dass das Regime mit Laibach vorgeht wie Heino mit dem Song Junge von den Ärzten, in dem die sich über die Spießer und Sicherheitsfanatiker lustig machen, die ihren Kindern ein sicheres und furchtbar langweiliges Lebenskonzept aufquatschen wollen. Durch Heinos Brechung der ironischen Brechung wird all das plötzlich so dekonstruiert, nein dekontextualisiert, dass die Ironie und der kritische Unterton verschwinden. Im nordkoreanischen Kontext werden Laibach so zu Verherrlichern des Totalitarismus – zumindest nach Auffassung der inländischen Propaganda.
Womöglich ist die Botschaft aus Nordkorea aber auch eine viel Grundlegendere: "Schaut, Kunst kann nichts. Macht ist Macht. Kein Geld, keine kluge Idee, keine Satire kann daran etwas ändern." Das ist auch zu lesen als ein ernüchternder und schlauer Fingerzeig des Regimes in Richtung Westen: "Ja, wir wissen, bei euch sind Laibach gern gesehen, weil sie als Kritiker des Kommunismus und Faschismus bestens ins liberaldemokratische Bild passen. Wir nehmen sie trotzdem. Und fügen ihre 'schweren Zeichen' (nach Diedrich Diederichsen) einfach in unser Zeichensystem ein."erschienen bei ZEIT ONLINE, 18.8.2015.
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