Nadine Zeller

Wissenschaftsjournalistin, Freiburg

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Kosmos Pfütze

Pfützen dienen bedrohten Amphibien als Lebensraum.

Der Mensch legt immer häufiger kleine Gewässer trocken. Die Folgen sind fatal. Denn damit zerstört er den Lebensraum vieler Tiere. Für Amphibien sind Pfützen lebensnotwendig.

Die ersten Kröten und Frösche hüpfen schon wieder durch die Gegend. Kaum steigen draußen die Temperaturen, gehen die Amphibien auf Wanderschaft. Straßen werden gesperrt, Kröten in Eimern gesammelt, transportiert und ausgesetzt. Niemand möchte, dass breite Autoreifen die Tiere plattfahren.

Denn einfach umleiten lassen sich die Amphibien nicht. Zum Laichen suchen sie immer wieder jene Teiche und Tümpel auf, in denen sie geboren wurden. Back to the pool. Aber es gibt auch Ausnahmen. Eine davon ist die Gelbbauchunke. Sie sucht gezielt Pfützen auf, um sich zu vermehren. Ohne Pfütze, keine Gelbbauchunke.

Den Menschen allerdings nerven Pfützen. Sie verwandeln Autos in Schlammschleudern, lassen die Räder von Traktoren im Matsch durchdrehen, machen aus den Äckern der Bauern Morast und Stadtbewohnern nasse Füße. Ginge es nach Landwirten, Förstern und Fußgängern, würden die Pfützen eingeebnet. Der Mensch unternimmt alles Mögliche, um sie loszuwerden: Straßen werden mit leichter Wölbung angelegt, damit das Wasser abfließen kann, Wege asphaltiert, Flüsse in Deiche eingezwängt, sodass sie nicht mehr über die Ufer treten können. Aber mit den Kleinstgewässern verschwindet auch ein Lebensraum.

Die Gelbbauchunke - eine Pionierart

Fledermäusen und kleinen Libellenarten etwa dienen die Lachen als Nahrungsquelle. Schwalben brauchen Pfützen, weil sie aus dem Schlamm jenen Lehm gewinnen, den sie zum Nestbau benötigen. Andere Vögel baden darin und trinken daraus. Wenn die Pfützen verschwinden, haben viele Arten ein Problem.

Das spürt vor allem die Gelbbauchunke, weil sie ein Spezialist ist. Der nur viereinhalb Zentimeter große Froschlurch mit den herzförmigen Pupillen und dem gelb-schwarz gepunkteten Bauch braucht die seichten Tümpel. Sie erwärmen sich schneller als Weiher und Seen und fördern damit die Entwicklung der Kaulquappen. In einem Weiher gibt es für sie zu viele Feinde und Konkurrenz. Die Gelbbauchunke gehört zu den sogenannten Pionierarten: Sie beziehen freie Gegenden, bevor diese Territorien von anderen Tieren entdeckt werden.

"Dieser Froschlurch ist ziemlich clever." Froschexperte Haas

Wenn der Regen auf den Boden prasselt, dauert es nur Minuten, bis Pfützen entstehen. Dann beginnt die Besiedlung: Erst kommen die Mikroorganismen, dann die Stechmücken, kurz danach die Unken.

Viel Zeit bleibt ihnen nicht, denn schon bald können Fressfeinde folgen: Käfer, Großlibellenlarven oder Molche. Gegen den Fangapparat von fünf Zentimeter langen Libellenlarven zum Beispiel haben die Kaulquappen der Gelbbauchunke kaum eine Chance.

Bevor die Larven ausgewachsen sind, müssen die Kaulquappen vollständig entwickelt und verschwunden sein. Außerdem besteht immer die Gefahr, dass eine Pfütze zu früh austrocknet. Sicherheitshalber legt die Unke ihre rund 400 Eier über den Sommer verteilt portionsweise in verschiedene Pfützen. In einer wird das Wasser schon stehen bleiben. "Dieser Froschlurch ist ziemlich clever", sagt Froschexperte Alexander Haas vom Centrum für Naturkunde der Universität Hamburg.

"Während Erdkröten und Grasfrösche einen großen Laichballen in ein einzelnes Gewässer legen, streuen die Gelbbauchunken ihr Risiko." Sie zählen auch zu den wenigen Froscharten, die ihre Eier bis tief in den August hinein ablegen. Damit erhöhen sie die Chancen, dass wenigstens ein Teil ihres Nachwuchses überlebt.

Rollende Panzer? Für die Unke sogar von Vorteil

Ursprünglich lebte die Gelbbauchunke in regelmäßig überschwemmten Flussauen. Immer wieder bildeten sich hier nach Hochwassern kleinere Tümpel. Als im Laufe der Fünfzigerjahre die Bagger anrückten, der Mensch die Flüsse begradigte und die Auen besiedelte, musste die Gelbbauchunke weichen. Der kleine Froschlurch verließ sein Auenland und suchte sein Glück in Steinbrüchen, Kiesgruben und auf Truppenübungsplätzen. Dort, wo schwere Bagger ihre Furchen in den rohen Boden gruben, blieben Pfützen zurück. Die Gelbbauchunke legte ihren Laich in die Fahrspuren der Panzer, Radlader und Steinschlepper. Boden plus Wasser, wenig Vegetation - mehr wollte sie nicht. Ein Weilchen lebte sie friedlich in diesen Ersatzbiotopen.

Dann wurde ihr auch dieser Lebensraum genommen: Der Mensch gab die Truppenübungsplätze auf, die Fahrspuren wucherten zu. Mit Morast kann die Unke nichts anfangen. Es hat eben für manche Arten auch seine Vorteile, wenn hin und wieder ein Panzer durch die Gegend donnert. "Die schweren Maschinen vertiefen die Pfütze und drücken die Vegetation platt, das ist für die Art unglaublich praktisch gewesen", sagt Froschexperte Haas.

Auch die Kiesgruben sind nicht mehr, was sie einmal waren. "Die Steinbrüche werden heute stärker genutzt, und es wird immer tiefer gebohrt, sodass auch hier die Rückzugsräume verschwinden", sagt Anna Bruzinski. Sie arbeitet am Gelbbauchunkenprojekt des Naturschutzbunds Nabu mit und ist zuständig für Baden-Württemberg. Das länderübergreifende Großvorhaben läuft seit Ende 2011 und wird durch das Programm Biologische Vielfalt zu drei Vierteln vom Bundesumweltministerium finanziert. Wenn es im Februar 2018 endet, sollen die Gelbbauchunken-Vorkommen gestärkt und besser vernetzt sein.

Pfützen werden in Südbaden ausgegraben

Bruzinski steht auf einer Lichtung im Freiburger Mooswald. Sie beobachtet, wie ein türkisfarbener Bagger sonnenschirmgroße Mulden in den lehmigen Boden gräbt. Hier entstehen die Pfützen für die Gelbbauchunke - mit viel Fantasie könnte es wie ein ursprünglicher Lebensraum aussehen, mitten im Wald an einer sonnenbeschienenen Lichtung - die Grillstelle schräg gegenüber mal ignoriert.

Pfützen sind in letzter Zeit in ganz Südbaden ausgegraben worden. Im vergangenen Jahr sind künstliche Tümpel unter der Leitung des Naturschutzbundes beispielsweise im Vier-Dörfer-Wald in Mundingen und auch in Emmendingen angelegt worden. Und auch am Hochrhein gibt es jetzt neue Laichplätze für die Gelbbauchunke, die 2014 als Lurch des Jahres besondere Aufmerksamkeit erhielt.

Es ist eine Sisyphusarbeit. Angelegt ist eine Pfütze schnell, sie wuchert jedoch nach zwei bis drei Jahren wieder zu. Entweder die Naturschützer befreien diese in regelmäßigen Abständen von Vegetation, oder sie legen neue Pfützen an. "Es ist nicht einfach, ein so ausbalanciertes System wie die Flussauen zu imitieren", sagt Dominik Heinz, Leiter des Nabu-Unkenprojekts in Hessen. Auch er hat schon sehr viele Pfützen angelegt und wieder zuwachsen sehen. Eine nachhaltige Lösung wäre es, die Flüsse stellenweise zu renaturieren, wie es in einigen Regionen bereits geschieht. Es vergehen jedoch zehn bis 15 Jahre, bis die Ufer so weit abgegraben sind, dass eine natürliche Auendynamik entsteht. So viel Zeit haben die Naturschützer nicht: Bis dahin könnten manche Arten schon verschwunden sein.

Gelbbauchunke steht auf der Roten Liste

Also legen Menschen wie Dominik Heinz und Anna Bruzinski Pfützen an. Die Gelbbauchunke steht in Deutschland und der Schweiz als stark gefährdet auf der Roten Liste. In den Mittelgebirgen Mittel- und Süddeutschlands ist sie zwar noch verbreitet, doch die Bestände sind in den letzten Jahren stark geschrumpft. In Bayern und Baden-Württemberg kommt die Unke häufiger vor. Genaue Zahlen von Populationen gibt es jedoch nicht. Obwohl der gelb-schwarze Bauch bei jeder Unke individuell wie ein Fingerabdruck ist, kann man die Tiere nicht einzeln zählen, nur schätzen. Ihr Verbreitungsgebiet jedenfalls hat sich in den letzten 30 Jahren um etwa ein Viertel verringert. Die Grenze der nördlichsten Vorkommen verläuft quer durch Niedersachsen. Die Unke verschwand als Erstes von Norden her, mittlerweile kommt sie auch in Nordhessen nicht mehr vor.

Der Baggerfahrer im Freiburger Mooswald ist mit der Arbeit fertig. Die Pfützen sind ausgehoben. Mittlerweile hat sich darin Regen gesammelt. Leben erkennt man im trüben Wasser noch nicht.

Werden die Unken die Erdmulden finden? "Ich hoffe, die Menschen lassen die Kaulquappen schwimmen und fangen sie nicht ein", sagt Anna Bruzinski. Dann erzählt sie von den Brunftrufen der Gelbbauchunken-Männchen. "Das Quaken klingt ganz tief, wie das Gurren von Tauben." Wunderschön sei das, kein anderes Tier klinge so. Es ist der Klang der Pfützen.

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Autor: Nadine Zeller

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