Siehst du hoch, sind da vielleicht Baumwipfel. Der Himmel ist konstant, er muss nicht erwähnt werden. Bestimmt ist er blau, zwischendurch vielleicht mal verhangen, immer gleichgültig gegenüber dem Filter, den deine Kamera über ihn legt oder deiner Sonnenbrille, die seine Farbe verändert. Es wäre aber schön, befändest du dich in einem Park. Schließlich ist Frühling. Und diese Umgebung würde am besten zum neuen Album der Antlers passen. Der Brooklyner Peter Silberman schrieb das dritte Album seiner Band (die ersten beiden Soloveröffentlichungen ausgeklammert) wieder aus einer herausgehobenen Perspektive. Auf Hospice (2009) verarbeitete er abstrakt die Trennung von seiner Freundin (sie als sterbende Krebspatientin, er als Pfleger), versenkte auf Burst Apart (2011) die Hände tief in einem Pool gefüllt mit den Bruchstücken dieser Beziehung, jeden einzelnen unter der Lupe der Verzweiflung: Was lief schief?
“You were simpler /
You were lighter when we thought like little kids /
Like a weightless, hate-less animal /
Beautifully oblivious before you were hid inside a stranger you grew into /
As you learned to disconnect”
- aus “Palace”
Nun sucht Silberman Frieden, mit sich und dem Mikrokosmos der gescheiterten Partnerschaft. Das hört man Familiars an. Hospice ging meist bekannte Folkrockpfade, war reich an musikalischem Trend und strotzte vor New York, wenn auch in positivem Sinne. Schautest du hier hoch, hattest du Glück, einen Kondensstreifen zwischen den Häuserdächern zu sehen. Burst Apart hingegen wirkte dann blauschwarz, eine nächtliche Zimmerdecke, die sich keinen Stuck leisten konnte. Zwischen ‚Hits' wie „Every Night My Teeth Are Falling Out" und „I Don't Want Love" füllten düstere Atmosphärestücke die musikalische Reflektion aufs Scheitern, die wie in „No Widows" auch musikalisch verängstigen konnten. Silberman hat in seinem Songwriting aus subtilen Gitarrenlicks und elektronischen Flächen immer so viel Raum gelassen, dass die eigenen Gedanken Platz fanden. Das ist die Gefahr und auch der Reiz dieser Musik eines melancholischen 28-Jährigen - sie lässt dir Raum zum Nachdenken. Für manchen kommt das der Höchststrafe gleich: mit sich selbst in etwas konfrontiert zu werden, das doch der Zerstreuung dienen soll.
“From a stage in your heart /
I can tell that you’re far from yourself /
When you barter your lust for your health /
And when you claim it’s all a play /
And you just don’t care /
I only stare /
I’m a director watching you rehearse”
- aus “Director”
Zu sagen, Silberman hätte sich auf Familiars gefunden, wäre gelogen und zudem vermessen. Aber der Sound seiner Antlers ruht nun mehr in sich. Die überbordenden Synthies sind kaum mehr vorhanden, durch sanfte Bläsersätze ersetzt, die das Album gesetzter, beizeiten mit den aufgewühlten Percussions verwoben bluesig klingen lassen, wie in „Surrender". Anstatt dauernd ins Falsett zu wechseln, schlägt Silbermans Stimme kräftige Bögen, lässt dank seiner vielfältigen Intonierung „Palace" wie eine zeitgemäße, bescheidene Alternative zu Powerballaden der 80er und 90er wirken, eine verklärte Hymne auf den inneren Palast der Liebe. Bedrohlichkeit, die immer lauernde Gefahr durch den eigenen Gedankenkosmos, kommt nur noch einmal kurz im Intro von „Doppelgänger" auf, ein Nicken zurück in Richtung Burst Apart, ehe sich das Stück freischwimmt und zum flehenden Sieben-Minuten-Jam entwickelt. Daher braucht sich niemand einzubilden, das wären Lieder, die man eben auf dem Weg zur Arbeit konsumiert. Wenn es nicht der Park ist, so sollte es der Balkon sein oder ein anderer Ort der Ruhe. Es ist ein gemächlicher Wechsel zwischen Stücken, die sich eher in Nuancen unterscheiden, allerdings in wichtigen. Hits? Nein, die würden dieses zerbrechliche Gefüge völlig auseinanderreißen.
“The place you’re stubbornly protecting is the only pretty thing that we own now /
And we can stay here to wither in your garden of Eden /
But your fantasy’s a prison and you’re serving a sentence you can’t stop repeating”
- aus “Revisited”
Und doch ist Familiars nicht arm an Höhepunkten, wie dem sich subtil steigernden „Director", dem jazzigen „Surrender" oder der unwiderstehlichen Versuchung, in den Fanfaren von „Hotel" alles Schädliche hinter sich zu lassen. Das ist Vergangenheitsbewältigung auf die erwachsene Art, Party für Melancholiker, geglückte und gescheiterte Beziehung in einem. Nur ist es eben bedacht, es ist nicht gedankenlos. Keine Dissonanz, kein Artefakt der Teenage Angst ist übrig, es ist ein steter Prozess in schlichten, wiederholten Gitarrenakkorden, Blasinstrumenten und Herzschlagrhythmusfraktion. Das könnte man den Antlers zur Last legen, sie würden entgegnen: Denk einmal gründlich über dich und dein Leben nach. Geh durch den Park, beobachte die verschiedenen Nuancen des Grüns und überlege, was sie dir über dein Leben sagen. Denkst du noch über sie nach? Warum? Solltest du ihm immer noch böse sein? Wofür? Nimm es wie im Text zu „Revisited", in dem Fremde in Silbermans Haus einfallen, um ihm seine Habseligkeiten abzukaufen. Er stopft ohne Pause Geld in ein Glas, mit dem sie ihm seine vergangenen Fehltritte bezahlen. „No guilt, no sorry speeches."
The Antlers: Familiars
1. Palace
2. Doppelgänger
3. Hotel
4. Intruders
5. Director
6. Revisited
7. Parade
8. Surrender
9. Refuge
Das Album ist heute, am 13. Juni 2014, erschienen.
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