Michael Brüggemann

Textchef, Schreibcoach und freier Autor, Mainz

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Reportage

Die Holzfahnder

Tropenholz in Gartenstühlen, illegaler Kahlschlag statt nachhaltigem Anbau: Beim Holzverkauf wird viel getrickst und getäuscht. Die Forscher am Hamburger Thünen-Institut sind den illegalen Hölzern auf der Spur. (natur 7/2016)

In das Kinderpuzzle aus Sperrholz ist eine Kerbe geritzt. Den Badmintonschlägern fehlen die Griffenden. Und am Hals der Akustikgitarre klafft ein daumenbreites Loch. Das fehlende Holzstück kocht nun in einem Becherglas in destilliertem Wasser. Gleich wird es in hauchdünne Scheiben zerlegt und auf einem Objektträger unterm Mikroskop platziert.
„Ganz ohne Verluste geht’s leider nicht“, sagt Gerald Koch, Leiter des Arbeitsbereiches Qualität von Holz & Holzprodukten am Thünen-Institut für Holzforschung in Hamburg. Schließlich dienen die entnommenen Proben der Waren, die sich im Institutslabor türmen, dem Umwelt- und Verbraucherschutz. Ein Großteil – Sandkästen, Spielzeug, Holzschläger, Papierservietten oder Kleinmöbel – soll in Kürze in den Handel kommen. Vorher wollen Holzhändler und Discounter wissen, ob in den Artikeln auch die Hölzer stecken, die auf der Verpackung benannt sind.
Selbstverständlich ist das nicht. Billigholz statt Palisander, Kahlschlag statt nachhaltigem Holzanbau: Beim Holzverkauf wird viel getrickst und getäuscht. Betrüger verarbeiten minderwertiges Material zu Qualitätsprodukten oder schleusen Holz aus illegalem Einschlag in den Markt. Laut einer Interpol-Studie von 2012 stammen 15 bis 30 Prozent des weltweit gehandelten Holzes aus illegalen Quellen. Wo legales Holz zu knapp oder teuer ist, werden in den Tropen oft ganze Waldgebiete ohne Erlaubnis kahlgeschlagen und das Raubholz mit falschen Papieren verschachert. Über diverse Zwischenhändler landet es auf dem europäischen Markt und findet sich auch im Sortiment deutscher Baumärkte und Discounter wieder. Es steckt in Schränken, Betten oder Parkettböden und immer öfter auch in Haushaltsartikeln wie Schneidbrettern, Stiften oder Bilderrahmen. Illegaler Holzhandel ist ein Milliardengeschäft krimineller Banden – auf Kosten von Wirtschaft und Umwelt.
Ein Gesetz soll den illegalen Holzeinschlag eindämmen: Seit 2013 gilt in der Europäischen Union die neue Holzhandelsverordnung. Hölzer aus illegalem Einschlag dürfen seitdem in der EU nicht mehr vermarktet werden. Wer Holz erstmals einführt, muss sicherstellen, dass es aus legalen Quellen stammt und seine Herkunft lückenlos nachweisen. Die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung in Bonn lässt Inspektoren Stichproben in den Betrieben nehmen. Viele Händler befürchten, dass sie falsch deklarierte Ware im Sortiment haben könnten. Sie wollen keinen Imageschaden riskieren. Daher lassen inzwischen auch einige große Einkaufsketten und Baumärkte ihr Holzsortiment prüfen.
Niemand kann das besser als das Thünen-Kompetenzzentrum Holzherkünfte: Das Bundesforschungsinstitut ist weltweit führend in der Bestimmung von Holzarten und deren Herkunft. Es vereint die Thünen-Institute für Holzforschung, Forstgenetik sowie Internationale Waldwirtschaft und Forstökonomie. Die Forscher arbeiten Tür an Tür auf einem mit Bäumen aus aller Welt bepflanzten Parkareal in Hamburg-Bergedorf. Einzig die Forstgenetik liegt im 20 Kilometer entfernten Großhansdorf. „Wenn es Fragen zum Herkunftsnachweis und Glaubwürdigkeit der Dokumente gibt, können wir die anderen Disziplinen sofort mit ins Boot holen“, sagt Gerald Koch.
Das gebündelte Know-how hat nur einen Nachteil: „Wir kommen kaum noch nach mit dem Abarbeiten“, erzählt der Diplom-Holzwirt. Jeden Tag landen neue Schneidbretter oder Terrassendielen im Posteingang. 2015 bekamen die Forscher 600 Prüfanträge und untersuchten 3.500 Proben. Pro Jahr werden es 15 bis 20 Prozent mehr. „Wir liefern die Ergebnisse in ein bis zwei Tagen, sonst gibt’s einen Paketstau.“
Wie wichtig ihre Arbeit ist, belegt die Bilanz der Holzfahnder: 20 bis 25 Prozent der Testobjekte sind falsch deklariert oder es fehlen Angaben. Dem sollte die neue EU-Verordnung eigentlich entgegenwirken. Doch das junge Gesetz hat diverse Schlupflöcher – wichtige Produktgruppen wie Sitzmöbel, Werkzeuge, Musikinstrumente, Spielzeug oder bedrucktes Papier sind ausgenommen. „Die Wahrscheinlichkeit, dass Tropenholz in diesen Produkten auftaucht, ist sehr hoch“, sagt Rudolf Fenner von Robin Wood.
2015 ließ die Umweltorganisation neun Holzprodukte des Metro-Konzerns nach Testkäufen bei Galeria Kaufhof, real und Metro CC vom Thünen-Institut prüfen – darunter Messergriffe, Fonduegabeln, Tischtennisschläger und Schachbretter. Ernüchterndes Ergebnis: Trotz einer Metro-Selbstverpflichtung von 1999, keine Produkte mehr aus tropischen Harthölzern zu beziehen, war keiner der Artikel FSC-zertifiziert. Die verwendeten Tropenhölzer kamen alle aus Zentral- oder Westafrika. 50 bis 90 Prozent der Bäume dort werden laut Interpol illegal geschlagen. Zudem standen alle getesteten Hölzer auf der Roten Liste der gefährdeten Arten. Fünf waren falsch, zwei gar nicht deklariert.
Auch in Stichproben von Möbeln und Gebrauchsgegenständen, die das NDR-Magazin Panorama einreichte, steckte in drei von sechs Fällen illegales Tropenholz. „Solange das Gesetz nicht überarbeitet wird, kann illegal geschlagenes Holz ganz legal in die EU eingeführt werden“, sagt Umweltschützer Fenner. Nur die Thünen-Forscher können das Raubholz dann noch enttarnen.
„Holzdetektei“ steht an der Bürotür von Gerald Koch: „Bisher haben wir noch jede Holzart rausbekommen“, sagt der 47-Jährige stolz. Eine Sisyphusarbeit. Denn es gibt weit mehr als Eiche, Buche, Fichte, Kiefer oder Ahorn: Weltweit werden bis zu 800 Holzarten regelmäßig gehandelt. „Für die Kontrollbehörden ist es jetzt schon schwierig, illegale Holzarten als solche zu erkennen“, weiß Koch. „Zudem drängen immer neue, relativ unbekannte Hölzer auf den Markt, die übernutzte Baumarten wie Meranti und Sipo für den Fensterbau oder Bangkirai für Terrassendielen ersetzen.“
Doch die Forscher verfügen über eine gut sortierte Verdächtigenkartei: eine der größten wissenschaftlichen Holzsammlung der Welt. Rund 37.500 Holzmuster von 12.000 Arten stehen wie Bücher Rücken an Rücken in den Regalen der Holzbibliothek. Die mehrfach vorhandenen Exemplare lagern im sogenannten Dubletten-Raum: Muster für Terrassendielen oder Fensterkanteln, aber auch seltene Holzprodukte, darunter eine 3500 Jahre alte Schwalbenschwanzverbindung aus dem Alten Ägypten oder ein Bowlingkugel aus Pockholz, dem schwersten Holz der Welt.
Koch greift zu einer Gitarre, die an der Stirnwand lehnt. „Fühlen Sie mal übers Griffbrett: ostindischer Palisander. Leicht zu verwechseln mit Rio-Palisander, der am strengsten geschützten Palisander-Art.“ Schon seit 1992 ist das Holz durch das Washingtoner Artenschutzabkommen geschützt und darf nicht mehr ohne eine spezielle Vermarktungsgenehmigung gehandelt werden. Doch erst das neue EU-Gesetz hat Behörden, Händler und Musiker wachgerüttelt. Denn viele Griffbretter früherer Gitarren-Baureihen sind aus Rio-Palisander. Um nicht in Konflikt mit dem Artenschutz zu kommen, ließen Musiker wie Peter Maffay ihre Gitarren von Gerald Koch testen. Optisch sind die mehr als hundert Palisander-Arten im Regal kaum zu unterscheiden. Woran erkennt man dann das bedrohte Rio-Palisander? Der Wissenschaftler zieht ein Holzmuster aus dem Regal und riecht daran: „Am Vanilleduft.“
Laien können falsch deklarierte Holzprodukte in der Regel nicht prüfen. Die Mängel der minderwertigen „Austauschhölzer“ werden erst sichtbar, wenn Pilze das Holz befallen oder Feuchtigkeit es zersetzt. Gerald Koch zieht ein morsches Stück Fensterrahmen aus dem Regal. Ein enttäuschter Bauherr hatte sich an ihn gewandt: Seine Fenster hatten schon nach wenigen Jahren angefangen, zu faulen. Die Untersuchung zeigte: Obwohl der Rahmen als Rotes Meranti, ein klassisches Fensterholz, verkauft wurden, handelte es sich um Durian, eine tropische Fruchtbaumart aus Südostasien. „Das Material ist leichter und hat eine geringere Dichte und Dauerhaftigkeit. Die Fenster mussten komplett ausgetauscht werden."
Auch bei Gartenmöbeln treten immer wieder Falschdeklarationen und Schäden durch die Verarbeitung von minderwertigen Hölzern auf.
Mitunter kaufen Produzenten Hölzer auf der ganzen Welt ein und verarbeiten sie in Asien zu einem Produkt. „Vor zwei Jahren haben wir zum Beispiel in einem Gartentisch 20 verschiedene Tropenhölzer gefunden“, erzählt Gerald Koch. Beispiel Fackelmann: Nach den Testkäufen von Robin Wood gab der Hersteller zu, dass die Griffe der untersuchten Küchenmesser nicht wie behauptet aus Rosenholz seien, sondern aus „Restholzabschnitten eines Möbelproduzenten“ im Süden Chinas. Die Edelholzoptik bekomme man durch ein besonderes Finish, eine „Art Lackierung“.
Die Thünen-Forscher dürfen dann enträtseln, um welche Hölzer es sich in Wahrheit handelt. Wie sie dabei vorgehen, demonstriert Koch zurück im Labor an dem eingesandten Puzzle: Mit einem Cutter ritzt er die Probe an und spät durch eine Lupe auf den Querschnitt. Die zehn- bis zwölffache Vergrößerung verrät wichtige Merkmale: die Anordnung und Größe der Gefäße oder die Verteilung der Speicherzellen für die Inhaltsstoffe. Fast 200 Hölzer kann Koch auf diese Weise bis auf die Gattung bestimmen.
Zur zweifelsfreien Bestimmung für ein offizielles Gutachten reicht das aber noch nicht. Deshalb schneidet Sergej Kaschuro, technischer Mitarbeiter am Institut für Holzforschung, das aufgeweichte Holz nun mit einem Hobel in hauchdünne Schichten. 20 Mikrometer misst jede Lage – 50 aufeinander ergeben einen Millimeter.
Dann analysieren die Forscher die feinen Scheibchen unterm Lichtmikroskop. Eine Computerdatenbank, in der die anatomischen Fingerabdrücke der 400 wichtigsten Gattungen und Arten gespeichert sind, unterstützt sie dabei. Der Rechner fragt nach der Lage der Poren, der Größe der Gefäßtüpfel, nach Kristallen, Parenchymbändchen und Spiralleisten. Im Nu sortiert er hunderte von Arten aus. Ist die Holzart nicht in der Datenbank, bleibt Gerald Koch nur das Schubladenziehen: In Dateischubkästen lagern 50.000 Dauerpräparate auf Objektträgern. Ziehen und vergleichen, manchmal kann das Tage dauern. Aber Koch mag besonders die kniffligen Fälle: „Es ist, wie ein Puzzle zu lösen.“
Bis zu 20 solcher Rätsel lösen die Holzdetektive pro Tag – auch das des Kinderpuzzles: In den sieben dünnen Sperrholz-Furnierlagen finden die Forscher ausschließlich Pappel, so wie es auf der Verpackung steht. Das Puzzle kann in den Handel gehen. Wenn nur alle Rätsel so aufgehen würden.