Ein kalter Dezembermorgen in Mörfelden-Walldorf bei Frankfurt, Punkt 9:30 Uhr rückt der Betonmischer an. Im Innovation & Testing Center von HOCHTIEF werden heute Balkonkragplatten gegossen und in den nächsten Wochen allen möglichen Torturen ausgesetzt. Die Tester wollen wissen, welchen Druck- und Zugkräften die neu entwickelten Kragplattenanschlüsse der Firma Max Frank standhalten. In der dreistöckigen Versuchshalle südlich des Frankfurter Flughafens ist alles vorbereitet: Zimmermann Mariusz Gwizdz hat am Vortag die Schalungen verschraubt, Schlosser Markus Schlosser – er heißt wirklich so – die Bewehrungsstähle gerichtet. Noch eine Probe des Frischbetons, und die Betonage kann beginnen.
In der größten und einzigen privatwirtschaftlich betriebenen Versuchshalle und Prüfinstitut der deutschen Bauwirtschaft entwickeln HOCHTIEF-Spezialisten neue Rezepturen für Spezialbetone und -mörtel, überprüfen innovative Einbauverfahren und testen Betonbauteile, Befestigungsanker oder Spezialdübel mit Hilfe von Prüfmaschinen. „Beton ist ein spannendes Material, es gibt immer neue Entwicklungen“, sagt Dr. Marco Tschötschel, Leiter sowohl des Innovation & Testing Center als auch von Consult Materials, einem HOCHTIEF-Kompetenzzentrum für baustoffgerechtes Bauen.
Der 55-jährige Bauingenieur gilt branchenweit als erfahren im Umgang mit Prüftechnik und Beton. Aus Sand, Kies, Wasser, Zement sowie diversen Zusatzmitteln und -stoffen mischen der international renommierte Spezialist und seine Baustoffexperten Betone für beinahe jede erdenkliche Aufgabe: Brandschutz-, Strahlenschutz-, hochfeste oder selbstverdichtende Betone. Für den Castor-Behälter etwa entwickelten sie einen „Dämpferbeton“, bei dem eingearbeitete Polystyrolkugeln mögliche Stürze abfedern.
In Walldorf getesteter Spezialbeton ist auch das Material, aus dem der von HOCHTIEF Engineering geplante und gefertigte Prototyp des Energiespeichers StEnSEA (Stored Energy in the Sea) besteht. Die 20 Tonnen schwere Betonkugel haben deutsche Forscher gerade im Bodensee versenkt. Größere Exemplare sollen einmal im Meer stationiert werden und den Strom der Offshore-Windfarmen zwischenspeichern.
„Hoffentlich ist es Beton“, dieser Slogan ist in die deutsche Werbe-Historie eingegangen. Um herauszufinden, ob es auch wirklich guter Beton ist, malträtieren ihn die Prüfer in Dutzenden Tests: Sie lassen ihn aus mehr als drei Metern auf den Boden sausen. Sperren ihn bei -40 bis +200 Grad in einen Klimaschrank. Spannen ihn in Schleifscheiben, um die Abriebfestigkeit zu prüfen, oder setzen ihn in Prüfmaschinen Zug- und Druckversuchen aus.
„Für die Befestigung einer Lärmschutzwand der Deutschen Bahn haben wir fünf Millionen Lastwechsel geprüft: Ober- und Unterlast immer im Wechsel, fünf Mal pro Sekunde, zwei Wochen lang“, erzählt Tschötschel. Am Ende solcher „Folterkammer“-Versuche bleiben oft nur zerstörte Prüfkörper. „Das ist unser Friedhof“, sagt der Experte augenzwinkernd und deutet auf zwei schwarz verglühte Betonfertigteile im Hof. Die Mischung für einen Brandschutzbeton wurde bei höllischen 1200 Grad gegrillt. Kein übertriebener Test, denn als Segmente für den Tunnelbau müssen Betonbögen bei einem Brand solchen Belastungen in der engen Röhre standhalten.
Nicht jeder Prüfling muss auf dem Prüfstand enden. Gut ein Dutzend zerstörungsfreier Prüfverfahren erleichtern den Mitarbeitern des Innovation & Testing Center die Arbeit: Mit Radar orten sie Stahl- und Spannbewehrungen in bis zu ein Meter Tiefe. So lassen sich bei Brückensanierungen Stähle orten und markieren, bevor die Handwerker mit dem Bohrer anrücken. Ist ein Bauteil nur von einer Seite aus zugänglich ist, hilft Ultraschall: Je nachdem, wie lange die Schallwellen brauchen, um das Bauteil zu durchwandern, lässt sich auf die Betondicke schließen.
Solche Verfahren sind wichtig, denn auch Bauwerksuntersuchungen und Schadensanalysen gehören zum Portfolio: „Um Bewehrungen, Fehlstellen oder Risse zu orten, durchleuchten wir den Beton ähnlich wie Ärzte ihre Patienten“, sagt Bente Ebsen. Die Bauingenieurin steht im Keller der Versuchshalle vor einer hüfthohen Betonscheibe und schiebt von der Seite ein Endoskop in einen Hohlraum im Beton. Eine knopfgroße Kamera am Kopf des zwei Meter langen Schlauchs sendet ihr Bilder aus dem Wandinneren auf den Laptop. Mit einem Drehgriff bewegt Ebsen das Kameraauge und schaut sich in dem maroden Bauteil um.
Der Rat der Baustoffexperten aus Walldorf ist nicht nur bei HOCHTIEF gefragt: Auch Unternehmen wie Hilti oder Fischer melden sich bei Marco Tschötschel, um neue Dübel oder Schwerlastanker prüfen zu lassen. Für die Rolltreppen der Elbphilharmonie in Hamburg untersuchten seine Mitarbeiter Putzsysteme auf Zugfestigkeit: Die 82 Meter lange, gebogene Rolltreppe, mit der Besucher in das neue Konzerthaus befördert werden, führt durch eine verputzte Röhre, in der sich Risse auftaten. Zur Eröffnung waren die Wände dank einer Reparaturschicht wieder makellos. Eine Herausforderung wie gemacht für Tschötschels Team.
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