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Interview

„Manche wechseln jährlich die Praxis, weil sie nie genug kriegen“

Die plastische Chirurgie gilt als kostspielige Krücke für künstliche Schönheit. Dabei sind die Aufgaben in diesem Fach so vielfältig wie die Schicksale der Menschen, die eine solche Praxis betreten. Wir baten eine Chirurgin und zwei Chirurgen aus Tirol anonym um Antworten zu ihrer Arbeit – für einen realistischen Einblick. Lara* ordiniert in der Hauptstadt, genauso wie Markus*. Thomas* führt seine Praxis in einer kleineren Stadt.

Text: Maximilian Eberle

Was hören Sie zuverlässig, wenn Sie sich bei jemandem mit ihrem Beruf vorstellen?
Markus: Aha, ein Schönheitschirurg! Dabei ist die plastische Chirurgie ein absolut berechtigtes Fach der modernen Medizin.
Thomas: Man wird wirklich als reiner Schönheitschirurg abgestempelt. Der geschützte Fachbegriff der plastischen, ästhetischen und Rekonstruktionschirurgie enthält aber natürlich viel mehr.
Lara: Lassen Sie sich auch selbst behandeln? Wird man süchtig?
Das wollen wir aber auch wissen: Haben Sie schon etwas machen lassen?
Thomas: Ich hätte kein Problem damit. Im Moment sehe ich aber keinen Handlungsbedarf.
Lara: Im Moment noch nicht, aber ich werde auch älter. Eine Oberlid- oder Gesichtsstraffung könnte ich mir vorstellen.
Markus: Ich habe eine Botox-Behandlung zwischen den Augenbrauen hinter mir. Weniger aus ästhetischen Gründen, sondern weil das mein Kopfweh geheilt hat. Für die Falten war das natürlich auch hilfreich, da habe ich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.
Gibt es schwarze Schafe in Tirol – und zum Beispiel auch sogenannte Botox-Partys?
Thomas: Sie werden immer einen Paradiesvogel finden. Die Partys gibt es, ja, etwa in Kitzbühel. Da kommen Ärzte aus München übers Wochenende und treffen sich mit zwanzig Leuten, denen sie Botox injizieren. Davon halte ich nichts.
Lara: Es probieren sich zum Beispiel auch Zahnärztinnen oder Gynäkologen an Botox-Behandlungen aus. Da muss ich sagen: Schuster, bleib bei deinen Leisten! Ich würde auch nicht auf die Idee kommen, eine Geburt durchzuführen.
Markus: Von den Botox-Partys erfahren wir meist von unzufriedenen Patienten. Das organisieren meist Kosmetikstudios. Ich halte meine Hand ins Feuer, dass der niedergelassene Bereich unserer Branche in Tirol seriös ist.
Sehen Sie einem Gesicht automatisch an, wenn darin eingegriffen wurde?
Thomas: Normalerweise schon, bei einem sehr guten Eingriff muss ich vielleicht zweimal hinschauen. Sagen wir es so: Ich erkenne, wenn ein anderer Chirurg nicht meine ästhetischen Vorstellungen teilt.
Markus: Nicht auf den ersten Blick, wenn es behutsam gemacht wurde. Übertriebene Ergebnisse sehen ja auch Laien. Es gibt aber kleine Narben im Gesicht, an denen nur Profis ein Facelifting erkennen.
Was war die kurioseste Anfrage, die sie je bekommen haben?
Thomas: Eine Dame wollte sich den G-Punkt mit Hyaluronsäure aufspritzen lassen. In den USA nennt man das wohl „The WOW Procedure“. Ich finde das grenzwertig, kann mir aber vorstellen, dass es ein, zwei Anlaufstellen in Tirol gibt, die das machen.
Markus: Unsere Patientin wollte eine minimale Brustvergrößerung. Zwei Wochen nach der Operation rief sie mich noch einmal an und wollte noch kleinere Implantate. Da waren wir verblüfft! Später kam heraus, dass ihr Mann die Implantate ablehnte. Sie hat ihm dann vorgegaukelt, es würde sich nur um die Schwellungen von der zweiten OP handeln.
Lara: Eine Verbreiterung des Mundes, das war in meiner Assistenz-Zeit. Da haben wir einfach die Mundwinkel um einen Zentimeter eingeschnitten.
In welchem Fall lehnen Sie eine Behandlung ab?
Thomas: Wenn ich keinen objektiven Befund finde, keine wesentliche Verbesserung erreichen würde oder Patienten damit nichts Gutes tue. Menschen, die unter Dismorphophobie** leiden, empfehle ich, sich an eine psychotherapeutische Fachkraft zu wenden.
Markus: Natürlichkeit ist mein Grundprinzip. Wenn Patientinnen und Patienten sich Verbesserungen in einem Ausmaß wünschen, die ihre Anatomie nicht mitmacht, schicke ich sie wieder nach Hause. Das kommt relativ häufig vor. Ein Alarmsignal ist, wenn Leute sich die Nase einer berühmten Person wünschen.
Lara: Ich lehne Menschen ab, die Ärztehopping betreiben. Manche wechseln jährlich die Praxis, weil sie nie genug kriegen. Eine sorgfältige Anamnese, in der ich auch Grenzen aufzeige, ist essenziell.
Was ist für Sie der beste Moment im Job?
Lara: Wenn meine Patientinnen und Patienten mich anstrahlen und ich weiß, dass sie glücklich sind.
Markus: Immer wieder höre ich: „Herr Doktor, sie haben mir ein neues Leben geschenkt!“ Das macht natürlich Freude.
Thomas: Wenn sich der Patient im Spiegel ansieht und vor Glück die Tränen fließen, weil der Leidensdruck endlich abfällt. Mir gefällt aber auch die manuelle Arbeit. Die Operationen sind so vielseitig, ich mache nie etwas nach Schema F. Am liebsten sind mir Tage, an denen ich von früh bis spät operieren kann, ohne eine einzige Mail zu beantworten.
Was macht für Sie einen schönen Menschen aus?
Thomas: Es gibt natürlich objektive Faktoren, wie die Symmetrie. Viel wichtiger ist aber die Energie, die ein Mensch ausstrahlt. Das klingt furchtbar abgedroschen, aber man sieht den Menschen an, wenn sie sich selbst lieben.
Markus: Die Harmonie des Körpers als Ganzes ist entscheidend, nicht nur Symmetrie. Es geht um einen ausgeglichenen Gesamteindruck.
Lara: Wenn er oder sie glücklich aussieht.
Welche Trends sehen Sie in Ihrer Branche?
Thomas: Minimalinvasive Eingriffe mit Botox und Hyaluronsäure werden immer beliebter. Damit erreicht man Ergebnisse, für die es vor 25 Jahren noch eine umständliche OP brauchte. Deshalb haben auch Gesichtseingriffe zugenommen. Die Akzeptanz gegenüber ästhetischen Operationen ist generell höher geworden. Früher galt es gerade in Tirol noch als Sünde, den Körper zu verändern, den Gott dir geschenkt hat. Heute behandle ich die Verkäuferin vom Supermarkt genauso wie den Bürgermeister.
Markus: Kleinere Eingriffe im Gesicht, sogenannte Minilifts, sind mehr geworden. Ich glaube aber nicht, dass ein „Schönheitswahn“ heute extremer in der Gesellschaft wütet als noch vor zwanzig Jahren.
Lara: Der Fokus aufs Gesicht hat sicher mit Botox und Hyaluronsäure zugenommen. Filler sind aber keine Wundermittel, manchmal kann ich mir nicht dasselbe Ergebnis erwarten wie bei einer Operation.
Wenn man einmal mit Fillern wie Hyaluronsäure oder auch mit Botox angefangen hat – ist es schwer, damit wieder aufzuhören?
Lara: Ja, denn man beginnt damit, dass man frischer aussehen möchte. Dieses Bedürfnis geht nicht auf einmal verloren.
Thomas: Botox ist auch Prophylaxe, damit eine Falte nicht mehr tiefer wird. Wenn ich nach einem halben Jahr sehe, dass der Effekt nachlässt, will ich das natürlich wiederholen. Das erzeugt eine große Anzahl an Wiederkehrern, die zum Stammklientel werden. Wenn aber jemand nach sechs Wochen wiederkommt, schicke ich den wieder.
Markus: Wenn die Patientinnen und Patienten jünger anfangen, wollen sie ihr Level natürlich halten. Die meisten sind aber sehr vernünftig und bescheiden. Vor allem in Tirol, wenn man das mit München oder Wien vergleicht.
Bei welchem Eingriff ist denn das Preis-Schmerz-Leistungsverhältnis besonders schlecht?
Lara: Im Grunde hat jeder Eingriff seine Berechtigung, wenn es einen Leidensdruck gibt, es gibt daher für mich nichts Überbewertetes.
Markus: Po-Implantate halte ich für absoluten Unsinn. Das macht der Patientin nur Probleme, ihre Kleidung sitzt nicht mehr und sie hat Schmerzen beim Sitzen. Weltweit gehört das zu den häufigsten Operationen, gerade in Miami ist das ein großer Trend. Ich mache das nicht.
Thomas: Ich würde bei maschinellen Behandlungen aufpassen, die versprechen, das Unterhautfettgewebe zu verbessern. Da wird die Sitzung mit 2.000 Euro verrechnet, weil die Maschinen extrem teuer sind, aber die Effekte sind mehr als umstritten.
Für welche Eingriffe sollte eigentlich die Krankenkasse schneller einspringen?
Markus: Die Brustvergrößerungen, insofern sie natürlich sind. Sie können sich nicht vorstellen, wie manche Frauen unter einer flachen Brust leiden.
Thomas: Die Brustreduktion. Die Krankenkasse schreibt da ein Mindestgewicht vor, für das ich einer kleinen Patientin die Brust amputieren müsste.
Lara: Erst ab einem halben Kilo Brustverkleinerung pro Seite übernimmt die Krankenkasse. Eine Frau mit 1,65 wird das niemals abgeben können. Dabei geht es diesen Frauen ja nicht um ästhetische Optimierung – sie leiden unter Rückenschmerzen.