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Probleme im Flow sind in genau diesem Sinne immer Transformationen und Designprobleme. Denn dort sind alle Situationen nur komplizierte Terme in einer Gleichung. Egal wie unbekannt eine Stellung auf dem Schachbrett, ein Hindernis in der Kletterwand oder ein kranker Körper auf dem OP-Tisch ist: Diese Gleichung gilt es aufzulösen, wofür der Term mit immer bekannten Operatoren zerlegt und bearbeitet wird. Im Flow wird nicht spekuliert, sondern nur reagiert. Dieser Vergleich veranschaulicht auch noch etwas anderes: Systeme wie die formale Sprache der Mathematik sind natürlich noch komplizierter. Die meisten Menschen benötigen im Umgang mit ihnen Analogien, Induktionen und vieles mehr. Dass ein mathematisches Problem dennoch Flow auslösen kann, liegt dann daran, dass ein entsprechender Protagonist so gut im nötigen Bereichswissen und strategischen Regeln-Denken geübt ist, dass er hier gar keine richtigen Probleme vorfindet – sondern nur Aufgaben (vgl. auch Arbinger 1997, 6). Seine Virtuosität entsteht nicht durch cleveres Problemlösen, sondern durch perfekte Beherrschung des Problemraumes und Übung der enthaltenen Prozesse. Er kennt und kontrolliert damit diesen Raum, bzw. wird von ihm kontrolliert. Entsprechend stellen, ganz subjektiv, alle endlichen Situationen des Flows für ihn insofern keine Probleme dar, dass seine Handlungen nicht Lösungen für etwas, sondern Konsequenzen aus etwas sind. Sie sind nur virtuelle Hindernisse, haben aber keine Substanz des Unbekannten.
Ableiten kann man daraus auch, dass das holistische Flow-Erlebnis durch seinen festgelegten Handlungsraum die Interpretationshoheit des Subjekts einschränkt. Es akzeptiert Bedeutungszuweisungen und konstruiert sie nicht selber. Diese währenddessen zu hinterfragen wäre für den Fluss des Flows sogar tödlich. Und das trifft logischerweise auch auf die Ausgangs- und Zielzustände der Aktivität zu. Beides muss im Flow fest stehen, Csíkszentmihályi (z.B. 1990, 71) sagt das selber oft genug.
So
ist auch klar, dass innerhalb des Flows benötigtes Wissen immer
bereits angelegt ist. Und zwar genau das bereichsabhängige Wissen,
welches zur Identifizierung und Verarbeitung aller Erscheinungen der
Aktivität nötig ist. Im Hinblick auf Computerspiele gibt es noch
eine weiteres Merkmal: Flow verlangt eine Balance zwischen den
Fähigkeiten des Subjekts, und den Anforderungen, denen es sich
gegenüber sieht. Diese Balance kann durch Zufall oder Erfahrung bei
der Auswahl der Aktivität passieren, durch erprobte und trotzdem
ungenaue Bewertungssysteme (Einstufungen bei Kletter- oder Skirouten)
oder eben durch gutes Spiele-Design, welches im Endeffekt das
Vorherige mit einschließen kann. All das befindet sich aber
außerhalb der eigentlichen Erfahrung Flow – und während das
Subjekt in der echten Welt auf diese Balance noch Einfluss nehmen
kann, das nötige Wissen also zu einem gewissen Teil genetisch von
ihm stammt, steht es einem fest im Code verankerten Spieldesign
vollkommen machtlos gegenüber. Computerspiele müssen demnach, an
Stelle des Spielers, für alle Handlungen und Konsequenzen eine
Wertung kennen, die
bestimmten Anforderungen entspricht. Alle nötigen Informationen für
ein ausgewogenes und trotzdem forderndes Spiel sind im Design
festgelegt und so auch für den Spieler wieder zugänglich. Gerade
bei ARGs ist es aber nicht möglich, alle Handlungen der Spieler
vorherzusehen und so die Konsequenzen entsprechend anzupassen.
Stattdessen greift McGonigal hier wieder auf das Kollektiv der
Mitspieler zurück und lässt eben diese das Feedback übernehmen.
Genau das tun nämlich die Teilnehmer in EVOKE
oder Superstruct,
wenn sie Beiträge von anderen Mitspielern innerhalb des
entsprechenden Punktesystems auszeichnen und kommentieren. Alle
Probleme, mit denen man innerhalb eines Flows konfrontiert wird, sind
also gekoppelt an bestimmte Eindeutigkeiten und andauernde
Handlungsrückmeldungen. Csíkszentmihályi (1975, 63/72) selber
spricht vom »beschränkten Stimulusfeld« in einer »künstlich
eingegrenzten Realität einer flow-Episode«.
Also ein System der Konformität in dem alles mindestens einen Bezug
zueinander hat: Es ist miteinander nicht komplett unvereinbar. Nur
dadurch ist es möglich, ein systemisches Verständnis für
Konsequenzen innerhalb eines Flows zu entwickeln, welches wir von
außen betrachtet als virtuos bezeichnen. Und auf jede Handlung
reagiert dieses System mit nicht-interpretationsbedürftigen
Rückmeldungen. Man ist im Flow mit etwas, nicht gegen oder über.
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