Brennpunktschule – Start in die Herbstferien
Die Sorge, dass Schüler aus sozial- oder einkommensschwachen Familien während der Schulschließungen den Anschluss verlieren könnten, war in den vergangenen Monaten groß. Manche Experten prophezeiten sogar den „Verlust einer ganzen Generation“. Mittlerweile stehen die Herbstferien stehen vor der Tür. In Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern beginnen sie heute, in Niedersachsen kommende Woche. Wie ist das Schuljahr inhaltlich angelaufen? Marie Löwenstein hat sich an einer Brennpunkt-Schule umgehört:
Zwanzig vor Zehn. Ende der großen Pause. Die 9c der Bertha-von-Suttner Gemeinschafts-Schule in Geesthacht macht sich zurück auf den Weg in ihr Unterrichtsraum im zweiten Stock. Die Klasse muss zusammen gehen – von einem für die Stufe abgetrennten Bereich im Pausenhof bis in den zweiten Stock. Vorne weg geht ihre Deutsch-Lehrerin:
„Wunderschönen guten Morgen 9c!“ „Guten Morgen Frau Le-Van-Quyen“
Händewaschen, Stoßlüften, teilweise Maskenpflicht: Mit den Corona-Regeln hat sich der Schulalltag stark verändert. Viele Jugendliche sind aber trotzdem froh, dass sie wiederkommen dürfen:
Weil ich dann besser mit den Aufgaben klargekommen bin. Und wenn man sie nicht verstanden hat, kann man halt nicht sehr viel machen im Home-Office
Es war ein besseres Gefühl, alle wieder um sich herum zu haben, als alles allein machen zu müssen.
Also war halt schon wieder so ein geregelter Ablauf, sag ich mal so.
Als „Perspektivschule“ gehört die Bertha-von-Suttner-Schule zu den Bildungseinrichtungen, die vom Land Schleswig-Holstein besonders gefördert werden, weil sie in sozialen Brennpunkten liegen. Viele der über 700 Schüler stammen aus einkommensschwachen Familien oder haben Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache, erzählt Rektor Kai Nerger. Der Fern-Unterricht im letzten Schuljahr sei aber hauptsächlich bei den Kindern eine Herausforderung gewesen, zu denen man ohnehin schwer durchdringe:
Die werden sich auch angeleitet von den Eltern oder auch nicht angeleitet von den Eltern, nicht besonders darum gekümmert haben, nun mal die richtige Telefonnummer rauszurücken oder den Umzug bekannt zu geben, wenn man versucht hat, wenigstens zu Fuß die Arbeitsbögen irgendwo abzugeben. Diese Probleme haben sich durch Corona natürlich auch noch mal offenbart, aber auch nicht weiter verschärft.
Er sei im Gegenteil positiv überrascht gewesen, dass rund 80 Prozent der Schüler sehr gut erreichbar waren – und zwar unabhängig von ihrer sozialen Herkunft. Diese Rückmeldung habe er auch von Schulleitern aus anderen Brennpunktschulen bekommen. Auch die Befürchtung, dass sozialschwache Schüler durch den Fern-Unterricht zusätzlich abgehängt worden seien, habe sich in den ersten Wochen des Schuljahres nicht bestätigt. So sieht es auch Deutschlehrerin Dörthe Le-Van-Quyen:
Das schwingt ja auch immer so mit: Die armen Kinder die man verliert durch den digitalen Unterricht. Ich habe das selber nicht festgestellt. Die Kinder die schwach sind, die Schwierigkeiten haben, die hatten sie auch schon vorher.
Die Monate des Fernunterrichts seien keine verlorene Zeit gewesen. Die Kinder hätten zum Beispiel gelernt, selbstverantwortlich zu arbeiten, sagt die 55-Jährige.
Zwei Stockwerke tiefer im Lehrerzimmer. Hier verbringt die Deutsch- und Religionslehrerin Birthe Möller ihre Pause. Der Schulstart sei schon schwierig gewesen, sagt die 31-Jährige. Sie musste viel Stoff wiederholen und die Beziehung zu manchen Kindern ganz neu aufbauen. Manche haben sich durch die Schulschließungen noch weiter zurückgezogen. Andere hätten aber erst durch Corona erst gemerkt, was sie an der Schule haben:
Das merke ich auch, dass ganz viele Schüler jetzt richtig motiviert sind. Denen es vielleicht auch die Decke auf den Kopf gefallen. Und die haben gemerkt, dass es doch irgendwie was ganz Gutes. Die sind wie ausgewechselt. Das freut mich natürlich sehr.
Trotz vieler Positiv-Überraschungen. Die Herbstferien hätten jetzt zur Erholung alle bitter nötig, sagt Schulleiter Kai Nerger. Zumal es hier vor kurzem einen Corona-Fall gab, der über 50 Schüler und 11 Lehrer in die Quarantäne schickte. Auf den Winter schaut Nerger mit gemischten Gefühlen.
Ich bin sehr froh um das, was wir bislang erreicht haben und ich hoffe, dass trägt noch ein bisschen weiter, befördern die Schulen wieder ganz zugemacht werden müssen, möglicherweise – oder möglicherweise auch nicht. Dann haben wir großes Glück, und ich hoffe, dass die Menschen dann auch mal sehr glücklich darüber sind, dass es so ist.
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