Magdalena Hamm

Autorin und Redakteurin, Hamburg

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KinderZEIT: Schlau wie Sau

Romeo steht ganz still und starrt auf den Bildschirm. Als dort zwei Fotos erscheinen, dauert es nur einen Sekundenbruchteil, bis er sich für das linke entscheidet und seine flache Schweinenase gegen den Touchscreen drückt. Der Bildschirm wird grün. "Gut gemacht", sagt Marianne Wondrak und lässt ein paar Salzstangen in einen Blechtrog fallen, der hinter Romeo steht. Der dreht sich kurz um, frisst und heftet seinen Blick wieder auf den Bildschirm. "Romeo ist einer unserer fleißigsten Schüler", sagt Wondrak.

Sie ist Wissenschaftlerin und arbeitet für das Messerli Forschungsinstitut, das seinen Sitz in der österreichischen Hauptstadt Wien hat. Die Forscher dort wollen herausfinden, wie Tiere denken und lernen, kurz: wie schlau sie sind. Dazu machen sie Experimente mit Hunden, Wölfen, Tauben, Papageien und Raben - und seit Neuestem auch mit Schweinen. "In der Landwirtschaft weiß man zwar alles darüber, wie man ein Schwein möglichst schnell mästet", sagt Marianne Wondrak, "aber darüber, wie die Schweine ticken und was sie alles können, wissen wir so gut wie nichts."

Damit das nicht so bleibt, ist die Forscherin vor zwei Jahren extra raus aufs Land gezogen und hat eine Schweineforschungsstation mit aufgebaut. Die liegt 30 Kilometer südlich von und besteht aus einer großen Weide, ein paar Unterständen für die Tiere und zwei Hütten für die Forscher. Die Schweine, die sich dort auf der Wiese tummeln, haben ein krauses Fell, sind rot, weiß, schwarz oder bunt gefleckt und mampfen fröhlich Gras. Sie gehören zu einer seltenen Rasse, den Kune-Kune-Schweinen, die ursprünglich aus Neuseeland kommen, wo sie von den Maori, den Ureinwohnern, gehalten wurden.

"Alle Schweine fressen gerne Grünzeug", sagt Marianne Wondrak. "Nur werden sie davon nicht dick, deshalb geben die meisten Landwirte ihren Mastschweinen Kraftfutter." Denn die sollen beim Schlachter ja möglichst viel Fleisch auf die Waage bringen. Die bunten Kune-Kune-Schweine will niemand essen, sie dürfen hier leben, wie es ihrer Natur entspricht: als Großfamilie.

Angefangen haben die Forscher mit drei Säuen: Rosali, Zora und Black Beauty. Alle drei haben mittlerweile zweimal Ferkel bekommen, und so ist die Sippe auf 41 Schweine gewachsen, die jüngsten sind ein knappes Jahr alt. Marianne Wondrak und ihre Kollegen haben jedem Tier einen Namen gegeben, jeweils mit dem Anfangsbuchstaben des Namens der Mutter - also R, Z und B. "Es war gar nicht so leicht, sich 14 Namen mit Z auszudenken", sagt die Tierforscherin lachend, so viele Ferkel hat die Sau Zora bekommen. Zeus, Zacharias, Zoë, Zeppelin - Marianne Wondrak kann sich alle Namen merken und die Schweine auseinanderhalten. "Sie sind wie eine Schulklasse, jedes Tier hat eine andere Persönlichkeit." Es gibt brave und freche Schweine, fleißige wie Romeo und welche, die lieber pennen, wie Rosali, die nicht vor zwölf Uhr mittags aus dem Holzunterstand kommt. "Das hier ist Zampano", erklärt Marianne Wondrak und streicht einem wuchtigen schwarz-weißen Eber über den Kopf. "Der will immer schmusen." Kaum gesagt, liegt Zampano schon auf der Seite und lässt sich genüsslich den Bauch kraulen.

Wie alle Tiere kennt er seinen Namen. Zum Beweis hält die Forscherin die Hände wie einen Trichter vor den Mund und ruft quer über die Weide: "Zita! Zita, komm her!" Sofort löst sich ein feuerrot gelocktes Schwein aus der Gruppe und kommt grunzend und mit wehenden Ohren herbeigerannt. Bei der Forscherin angekommen, setzt sich Zita artig auf ihren Schweinepopo und schaut erwartungsvoll. Zur Belohnung bekommt sie ein Stückchen Brot. "Die Tiere lernen ihren Namen genau wie kleine Kinder, indem man sie damit anspricht."

Dass die Schweine auf ihren Namen hören, erleichtert es den Forschern enorm, mit ihnen Versuche zu machen. Die Tiere werden bis zu 80 Kilogramm schwer, wie sonst sollte man sie dazu bewegen, von der weitläufigen Weide in die Holzhütte zu kommen und am Computer zu spielen? Die Schweine machen das freiwillig. Und sie stellen sich gut dabei an: Innerhalb weniger Tage haben sie gelernt, den Touchscreen zu bedienen und zu unterscheiden, ob auf den Bildern, die man ihnen zeigt, ein menschliches Gesicht zu sehen ist oder der dazugehörige Hinterkopf. Romeo zum Beispiel wird nur belohnt, wenn er mit seiner Schnauze auf den Hinterkopf drückt. Meistens macht er es richtig, aber nicht immer.

"Nicht alle Schweine sind gleich gut in unseren Experimenten, und es kommt auch auf ihre Tagesform an", sagt Marianne Wondrak. "Manchmal haben sie einfach keine Lust, dann können wir sie rufen und mit Leckerlis locken, und sie kommen trotzdem nicht." Was die Stimmung der Tiere beeinflusst, wissen die Forscher noch nicht - vielleicht hatten sie zuvor einen Streit mit ihren Artgenossen, oder sie sind beleidigt, weil weniger mit ihnen geschmust wurde? Um das herauszufinden, überwachen die Forscher die Schweine mit Videokameras und werten die Aufnahmen aus. Sie sehen dann, wer sich mit wem zusammentut und wo es Ärger gegeben hat. Zusätzlich nehmen sie Speichelproben der Tiere und messen, wie viele Stresshormone sie darin finden und ob es mehr werden, wenn die Schweine gezankt haben.

Die Forscher hoffen, dass ihre Ergebnisse später auch den vielen Schweinen zugute kommen, die auf engem Raum in großen Mastbetrieben gehalten werden. Bisher weiß man zum Beispiel nicht, warum sie sich dort oft gegenseitig die Ringelschwänze abbeißen. "Vielleicht können wir irgendwann erklären, was die Tiere zu diesem Verhalten treibt und was man machen kann, damit sie friedlicher sind."

Romeo, Zita, Zampano und die anderen Kune-Kune-Schweine fühlen sich auf ihrer großen Weide jedenfalls sauwohl, da muss man kein Forscher sein, um das zu erkennen.

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