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Kein Plan ohne Kohle

Welzow in Brandenburg liegt am Rand eines Braunkohletagebaus. Wenn die Förderung hier eines Tages eingestellt wird, betrifft das alle.


Mittagszeit in Welzow, der "Stadt am Tagebau" im Südosten von Brandenburg. Bei der Fleischerei im Ortskern bestellen die Kunden Spaghetti Carbonara oder Fleischkäse mit Püree. Es sind vor allem Handwerker, die ihre Pause hier verbringen, auf dem Weg zum nächsten Auftrag. Diejenigen, die hier zu Mittag essen, und auch die Verkäuferin hinter der Theke arbeiten und leben am Rand des Tagebaus Welzow-Süd. Sie wissen, wie wichtig die Industrie auch für sie ist.

Schlechte Erfahrung nach der Wende

"Ist die Kohle weg, geht das Geld", sagt einer der Handwerker, der seinen Namen nicht nennen will. Die Menschen sind zurückhaltend, aber sie erzählen von ihren Sorgen über den Kohleausstieg, der irgendwann auch sie betreffen wird. Denn am angrenzenden Tagebau, der jährlich bis zu 20 Millionen Tonnen Braunkohle fördert, hängen auch andere Jobs. Viele mittelständische Unternehmen in der Region arbeiten indirekt für den Tagebau. Fällt der weg, betrifft das nicht nur die rund 8.000 Menschen, die heute in der Lausitz in Gruben und Braunkohle-Kraftwerken arbeiten.

"Das hatten wir schon mal nach der Wende, und wir sehen ja, wie das gelaufen ist", sagt ein anderer Gast in der Fleischerei. Auch er will anonym bleiben. Damals verloren Zehntausende Menschen ihren Job in der Braunkohleindustrie, als Tagebaue aus DDR-Zeiten geschlossen wurden. 1989 gab es im Lausitzer Revier noch fast 80.000 Beschäftigte, zeigen Daten des Vereins Statistik der Kohlenwirtschaft. Innerhalb von zehn Jahren sank die Zahl auf unter 10.000. Viele mussten umschulen, neue Berufe erlernen oder waren arbeitslos. Das ist nicht vergessen.

Merkel empfängt Ministerpräsidenten

Diesmal soll es anders laufen. Bundeskanzlerin Angela Merkel empfängt deswegen am Dienstagabend die Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt, der vier Bundesländer, in denen noch Kohle gefördert wird. Und seit Monaten arbeitet die sognannte Kohlekommission an Ideen, wie der Strukturwandel gelingen kann. Sie beraten auch ein Enddatum der Förderung. An ein schnelles Ende der Kohle glaubt in der Welzower Fleischerei niemand. "Wir brauchen die Kohlen doch noch. Nur Wind und Sonne werden nicht reichen", sagt die Frau hinter der Theke. Akute Sorgen um die Zukunft mache sie sich deswegen nicht. Es brauche erstmal Alternativen, die so verlässlich Strom liefern können wie die Kohle, findet sie.

Alternativen wollen die Menschen in Welzow vor allem für die Arbeitsplätze, die verloren gehen würden, sobald die Bagger im Tagebau ruhen. "Wir brauchen dann eine Industrie mit vergleichbarem Wertschöpfungspotential", sagt Siegfried Laumen, Vorsitzender des Bergbautourismus-Vereins der Stadt. Der Tourismus in der Region und andere Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor könnten die gut bezahlten Industriejobs nicht ersetzen. Bevor mit der Kohle Schluss ist, müsse die Region als Wirtschaftsstandort attraktiver gemacht werden, findet auch Marko Tielsch, Projektleiter im Verein. "Ja, raus aus der Kohle, aber nur mit einem Plan für die Arbeitnehmer", sagt er.

Nicht alle in Welzow halten an der Kohle fest. Es gibt auch klare Kohlegegner. Dazu gehören diejenigen, die bei einer möglichen Erweiterung des Tagebaus nicht umgesiedelt werden wollen. Noch hat der Tagebaubetreiber keine Entscheidung getroffen, ob es dazu kommen wird. Bis dahin auch hier: Unsicherheit.

Ob es weiter geht mit der Kohle oder nicht, ob Kohlegegner oder Befürworter: Die Menschen in Welzow können aktuell nur spekulieren, wie es mit ihrer Region weitergeht. Dass sich die Kommission, Minister und die Bundeskanzlerin der Sache angenommen haben, weckt bei den Menschen zur Mittagszeit beim Fleischer aber nur wenig Hoffnung.


Quelle: mit Material von dpa
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