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Lebst du noch oder wohnst du schon? Und das in Freiburg!

Die Studentensiedlung am Seepark in Freiburg

In Frei­burg sind coole Woh­nun­gen teuer. Und bezahl­bare Woh­nun­gen sel­ten. Dar­un­ter lei­den viele Stu­die­rende, die wegen der Uni hier­her zie­hen. So gut es geht ver­sucht das Studi-Werk, ihnen zu hel­fen - doch die Frei­bur­ger Stadt­po­li­tik legt jeg­li­chen Ver­su­chen eines selbst­be­stimm­ten Woh­nens Steine in den Weg. Kann die Lösung sein, dem Immo­bi­li­en­markt Wohn­raum kur­zer­hand zu ent­zie­hen? Die freis­tuz sprach dar­über mit Renate Heyber­ger vom Frei­bur­ger Stu­die­ren­den­werk, mit Horst Lie­der und Mat­thias Schä­pers vom Luxus­wohn­heim „The Fizz" sowie mit Katja vom Mitshäusersyndikat.

Mit den Woh­nun­gen ist es eigent­lich wie mit den Lebens­mit­teln. Lebens­mit­tel sind Mit­tel zum Leben, zum Über­le­ben. Gerade in der kal­ten Jah­res­zeit fällt für die in freier Wild­bahn voll­kom­men schutz­lose, aus­ge­lie­ferte mensch­li­che Spe­zies auch ein Dach über dem Kopf unter diese Rubrik. Man könnte fast mei­nen, woh­nen sei lebens­not­wen­dig. Voll­kom­men sur­real, dass woh­nen immer mehr zum kon­kur­renz­kampf­ab­hän­gi­gen Luxus­ar­ti­kel mutiert.

9,50 Euro zah­len Freiburger*innen im Durch­schnitt netto für den Qua­drat­me­ter Wohn­raum im Monat. Das ist immer­hin über ein Euro weni­ger als in Mün­chen, aber etwa drei Euro mehr als in der Haupt­stadt Ber­lin. Für eine kleine abge­le­gene Ein­zim­mer­woh­nung müs­sen Mieter*innen in der Schwarzwald-City meist über 500 Euro monat­lich auf den Tisch legen. Das ent­spricht schon bei­nahe dem kom­plet­ten Bud­get eines stu­den­ti­schen Haus­hal­tes. Trotz­dem kom­men Jahr für Jahr fast 4.000 neue Erst­se­mes­ter­stu­die­rende nach Frei­burg und der Kampf um eine bezahl­bare Unter­kunft wächst. „Wenn das so bleibt wie es ist, also wenn in den nächs­ten Jah­ren nichts pas­siert, sehe ich große Pro­bleme“, sagt Renate Heyber­ger, stell­ver­tre­tende Geschäfts­füh­re­rin des Frei­bur­ger Stu­die­ren­den­werks. Mit ins­ge­samt 15 Wohn­hei­men in der Stadt und jeder Menge fancy Wer­bung zu Semes­ter­be­ginn, in der Rek­tor Schie­wer diplo­ma­tisch lächelnd dazu auf­for­dert, Zim­mer an Stu­die­rende zu ver­mie­ten, ver­sucht das Stu­di­werk die­ser schwie­ri­gen Lage ent­ge­gen­zu­wir­ken. In den 4.500 WG-Zimmern und Apart­ments, die zu Prei­sen unter Mietspiegel-Niveau ange­bo­ten wer­den, kann es jedoch gerade mal 14 Pro­zent aller ein­ge­schrie­be­nen Stu­die­ren­den unter­brin­gen; alle ande­ren müs­sen sich auf dem freien Woh­nungs­markt umsehen.

Ob Bewerber*innen auf die Wohn­heim­plätze einen sol­chen auch bekom­men, gleicht einem Poker­spiel. Es gebe ein Sys­tem, nach dem die Zim­mer ver­ge­ben wer­den, so Renate Heyber­ger, doch War­te­lis­ten exis­tie­ren prak­tisch keine bezie­hungs­weise seien bei dem Ansturm kaum umsetz­bar. Das Stu­die­ren­den­werk baut neue Häu­ser, kann aber nicht sagen, wie es mit Anzahl und Situa­tion der Studi-Wohnheime in Zukunft bestellt sein wird. Das Bun­des­bau­mi­nis­te­rium hat Ende des ver­gan­ge­nen Jah­res zwar neue För­der­richt­li­nie zu von nach­hal­ti­gen und bezahl­ba­ren stu­den­ti­scher Woh­nun­gen vor­ge­legt, doch auch das ist nur „ein Trop­fen auf den hei­ßen Stein", so Ben Seel, Vor­stand des freien Zusam­men­schlus­ses von Student*innenschaften. Der Umfang des Pro­gramms von 120 Mil­lio­nen Euro rei­che nicht aus, um 20 Qua­drat­me­ter Wohn­raum für maxi­mal 280 Euro Miete zu finanzieren.


Die Woh­nungs­su­che

1. Ter­min. Gerade noch recht­zei­tig hat der Ersti, der sich in Frei­burg bis­lang nicht beson­ders gut aus­kennt, die rich­tige Adresse zum ver­ab­re­de­ten Ter­min gefun­den. Holt noch ein­mal tief Luft, macht sich die Haare zurecht und klin­gelt schüch­tern an der Tür. Drin­nen ist die Party schon im vol­len Gange. Fast zehn Leute haben die Glück­li­chen, die nur eine*n neue*n Mitbewohner*in suchen, gleich­zei­tig ein­ge­la­den. Die ren­nen wild durch­ein­an­der, gucken sich das freie Zim­mer an, loben die hüb­sche Ein­rich­tung der Küche, wol­len alle mal auf den Bal­kon und vor allem ein schon beste­hen­des Mit­glied die­ser Wohn­ge­mein­schaft fin­den – gar nicht so ein­fach bei dem Gewu­sel –, bei dem es dann in weni­gen Wor­ten (schließ­lich wol­len alle mal) Ein­druck zu schin­den oder gemein­same Inter­es­sen zu fin­den gilt. Als der über­for­derte Ersti sich gerade wie­der davon machen will, schießt noch jemand unge­fragt ein Foto von ihm – schließ­lich wolle man sein Gesicht bei der anste­hen­den Ent­schei­dungs­fin­dung nicht schon wie­der ver­ges­sen haben. „Haben wir uns über­haupt schon ken­nen gelernt?“, liegt dem Ersti auf der Zunge, bevor er sich ver­zieht. Gehört hat er von der Wohn­ge­mein­schaft nie wie­der etwas.

2. Ter­min. Mit Zet­tel und Stift (na gut, die meis­ten mit Tablet) sowie einer kri­ti­schen Miene sit­zen drei Men­schen aus der WG dem Ersti gegen­über. Stel­len ihm Fra­gen zu sei­nem Stu­di­en­gang, sei­nen Hob­bys, sei­nem Par­ty­ver­hal­ten und der Ein­stel­lung zu Putz­plä­nen. Ner­vös ver­sucht der Ersti abzu­schät­zen, was diese Leute hören wol­len, wäh­rend er an dem Kaf­fee nippt und den Frem­den mit jeder Ant­wort mehr über seine Iden­ti­tät preis­gibt. Oder auch gar nichts. Nach einer hal­ben Stunde, unter­bro­chen von den geflüs­ter­ten Bera­tun­gen und Noti­zen der drei Interviewer*innen, ist das Gespräch vor­bei. Einer von ihnen ruft noch mal an. „Du passt lei­der ein­fach nicht so gut zu uns", sagt er so sen­si­bel wie mög­lich. „Und eigent­lich wol­len wir auch gar keine Erstis."

3. Ter­min. Ziem­lich schi­cke Villa in ziem­lich guter Lage, denkt der Ersti, nach­dem er die Wiehre und den präch­ti­gen Vor­gar­ten durch­quert hat und an dem ver­gol­de­ten Tür­klop­fer rüt­telt. Vor allem für den Preis... Ein sehr zuvor­kom­men­der jun­ger Mann öff­net, führt den Ersti durch das Haus mit den hohen Decken und den anti­ken Möbeln. Was für eine Aus­stat­tung! Die Zim­mer schon fer­tig ein­ge­rich­tet, die Biblio­thek präch­ti­ger als die UB und dann erst der Bier­vor­rat. Der nette junge Mann bie­tet dem Ersti einen Schnaps an und fragt: „Kannst du fech­ten? Und bist du eigent­lich katho­lisch?" Der Ersti ergreift die Flucht.

4. Ter­min. Nach­dem das Couchsurfing-Angebot des Ers­tis abge­lau­fen und er obdach­los ist, macht er sich mit sei­nem Ruck­sack und gerade genug Geld für eine wei­tere Zwi­schen­miete auf den Weg in die Not­un­ter­kunft. Zum Glück gibt es die im Okto­ber nicht nur für Flücht­linge, son­dern auch für woh­nungs­lose Stu­dis – dem Stu­die­ren­den­werk sei Dank! In einem Haus der Stu­Sie, der Stu­den­ten­sied­lung (sic!) am See­park, schlägt der Ersti mit unzäh­li­gen ande­ren (bis zum Jah­res­ende wer­den es etwa 200 Stu­die­rende gewe­sen sein) sein Lager auf einem Feld­bett auf. Das kos­tet acht Euro pro Nacht.

5. Ter­min. Die Eltern des Ers­tis haben seine Woh­nungs­su­che nun in die Hand genom­men und ein äußerst über­zeu­gen­des Ange­bot gefun­den: Das Frei­bur­ger Fizz, ein pri­va­tes Wohn­heim, das unter dem Motto „Living cum Laude" steht. „Cum Laude" ist latei­nisch und bedeu­tet „eine dem Durch­schnitt über­tref­fende Leis­tung". Kon­kret bedeu­tet das: Ein­zelapart­ments für jeden*r, aus­ge­stat­tet mit Küchen­zeile, Bade­zim­mer und Des­in­ger­mö­beln, Gemeinschafts-, Lern- und Semi­nar­räume, W-Lan, Flach­bild­fern­se­her und Con­cièrge. Der über­wacht den Ein­gangs­be­reich und fun­giert als Haus­meis­ter und Wohn­heims­papa. Dank ihm - Mat­thias Schä­pers - läuft im Fizz alles wie es soll, exis­tiert eine har­mo­ni­sche Wohn­heims­ge­mein­schaft, wer­den Par­tys in geord­ne­ten Bah­nen orga­ni­siert und vor der Nacht­ruhe been­det und es herrscht abso­lute Sicher­heit; hier­bei wird der House Coor­di­na­tor von der Über­wa­chungs­ka­mera unter­stützt. Und wenn die Eltern des Ers­tis ihn mal nicht errei­chen soll­ten, kön­nen sie Mat­thias jeder­zeit anru­fen und Erkun­di­gun­gen über den Nach­wuchs ein­ho­len. Dafür zah­len sie natür­lich auch gerne die 550 Euro Miete im Monat. Der Ersti bleibt skeptisch.


Markt­pro­dukt oder Menschenrecht?

Die Woh­nungs­si­tua­tion scheint vie­ler­orts aus­sichts­los zu sein. „Wohn­raum ist im Grunde ein Markt­pro­dukt wie jedes andere", sagt Horst Lie­der, Vor­stands­vor­sit­zen­der der bun­des­wei­ten Wohn­heim­kette „The Fizz". Doch über­all in Deutsch­land und schon seit mehr als zwan­zig Jah­ren sagen Aktivist*innen dem Immo­bi­li­en­markt den Kampf an. Eine von ihnen ist Katja. „Woh­nen ist ein Men­schen­recht", fin­det sie. Katja gehört zum Miets­häu­ser yndi­kat, einem Soli­dar­ver­bund, des­sen Mit­glie­der regio­nal in GmbH's orga­ni­siert sind und gemein­sam Haus­pro­jekte rea­li­sie­ren. Das heißt, dass ver­schie­dene Men­schen, Fami­lien, Freund*innen, die zusam­men woh­nen wol­len, gemein­sam ein Haus oder ein Grund­stück kau­fen und die­ses an sich selbst ver­mie­ten - zu über Jahr­zehn­ten sta­bi­len Prei­sen. „ Uns geht es darum, Woh­nun­gen dem Markt zu ent­zie­hen, damit mit ihnen nicht mehr spe­ku­liert wer­den kann und lang­fris­tig eine sta­bile, das heißt nied­rige Miete für die Men­schen in dem Haus sicher gestellt ist", erklärt Katja. Haben die Woh­nen­den ihren Kre­dit geleis­tet, zah­len sie trotz­dem wei­ter Miete und unter­stüt­zen damit das Syn­di­kat und andere Pro­jek­t­in­itia­ti­ven. Pro­fit­in­ter­es­sen? Keine Spur! „ Eigent­lich dürfte es uns gar nicht geben, denn wir ver­sto­ßen schon vom Ansatz her gegen die Markt­ge­setze: Pro­fit­stre­ben, Kapi­tal­ver­wer­tung und per­sön­li­cher Eigen­tums­er­werb", schreibt auch die Redak­tion der Info-Broschüre des Miets­häu­ser­syn­di­kats („Das Miets­häu­ser Syn­di­kat und die Haus­pro­jekte - Rücke vor zur Schlossallee").

Es wirkt wie der krasse Gegen­satz des Luxus­wohn­heims Fizz. Hier gehört jedes Zim­mer einem pri­va­ten Inves­tor und scheint mehr der Kapi­tal­ver­meh­rung als der Unter­brin­gung zu die­nen. „Das muss immo­bi­li­en­wirt­schaft­lich funk­tio­nie­ren", so der Vor­sit­zende Horst Lie­der. „Wir bie­ten ein Pro­dukt, das sich Leute leis­ten kön­nen - aber nicht alle Leute. Das ist auch gar nicht unser Auf­trag." Leis­ten kön­nen es sich unter ande­rem die Eltern der Jura­stu­den­tin Julia, die sich im Fizz sehr wohl fühlt. „Aber manch­mal erzähle ich schon gar nicht so gerne, dass ich hier wohne", gibt sie zu. Ein Vor­teil, den das Fizz defi­ni­tiv habe, sei der hohe Sicher­heits­fak­tor, der auch Horst Lie­der sehr wich­tig ist: „Hier soll ein Mäd­chen abends nach Hause kom­men kön­nen, nach dem Schlüs­sel suchen, ohne dass sie ange­fal­len wer­den kann." Ob es in die­sem ste­reo­ty­pen Fall von der Über­wa­chungs­ka­mera hero­isch ver­tei­digt würde, bleibt jedoch unklar.

Sze­ne­wech­sel: Von Kon­trolle zu Ver­trauen. Zurück zum Syn­di­kat. Des­sen Mit­glie­der glau­ben ver­mut­lich noch an das Gute im Men­schen. Nicht aus­beu­ten, hel­fen wol­len sie sich gegen­sei­tig. Der Soli­dar­t­rans­fer von eta­blier­ten Alt­pro­jek­ten zu neuen Pro­jek­t­in­itia­ti­ven betrifft nicht nur den Soli-Beitrag, son­dern auch soziale Ver­net­zung und Wei­ter­gabe von Know-How. Das sei Katja bei der Wahl ihrer Wohn­ge­mein­schaft beson­ders wich­tig gewe­sen. „Wenn unser Haus mal abbe­zahlt ist, wird unsere Miete dazu genutzt, andere Initia­ti­ven zu finan­zie­ren. Ich möchte nicht nur mein eige­nes ‚schö­ner Woh­nen' rea­li­sie­ren, son­dern von mei­nem per­sön­li­chen Glück und Wohl­stand auch wie­der was abge­ben." Sie wohnt in der „Kom­mu­nita Lotta", einem klei­nen Haus­pro­jekt in Merz­hau­sen, beste­hend aus zwölf Erwach­se­nen und vier Kindern.

Ange­fan­gen hat alles im Jahr 1989 mit dem Frei­bur­ger Grether-Projekt. Auf dem Gre­ther­ge­lände grün­de­ten ehe­ma­lige Hausbesetzer*innen mit dem Wunsch nach selbst­be­stimm­ten Wohn­raum das Miets­häu­ser­syn­di­kat, des­sen Büro und Koor­di­na­ti­ons­stelle noch heute in Frei­burg ist. Seit­dem hat das Syn­di­kat sich schon an 102 Haus- und Wohn­pro­jek­ten in ganz Deutsch­land betei­ligt, allein 13 in Frei­burg. Das Spek­trum reicht vom klei­nen Ein­fa­mi­li­en­haus bis zur SUSI in Vau­ban, der selbst­ver­wal­te­ten unab­hän­gi­gen Sied­lungs­in­itia­tive, und das wahr­schein­lich größte Syn­di­kats­ge­bäude, in der 260 Men­schen aller Alters­stu­fen leben.

Das inzwi­schen deutsch­land­weit gewach­sene Miets­häu­ser­syn­di­kat legt jedoch nicht nur auf soziale Wohn­po­li­tik wert, son­dern auch auf basis­de­mo­kra­ti­sche Struk­tu­ren und vor allem auf Selbst­ver­wal­tung. Ele­men­tar ist einer­seits die ande­rer­seits Pro­jekt­au­to­no­mie - enorme Her­aus­for­de­rung. „Aber", davon scheint Katja über­zeugt, „ wer selbst­ver­wal­tet lebt, lebt auch selbstbestimmt."


Woh­nungs­po­li­tik

Das Miet­häu­ser­syn­di­kat zeigt Aus­wege aus der Investment-Spirale. Doch eine humane Woh­nungs­po­li­tik kann es trotz­dem nicht erset­zen. Wäh­rend der Frei­bur­ger Gemein­de­rat ernst­haft über sozia­len Woh­nungs­bau dis­ku­tiert, ver­kauft er gleich­zei­tig stadt­ei­ge­nen Wohn­raum an pri­vate Inves­to­ren, zahl­rei­che Häu­ser ste­hen leer - und die Mie­ten stei­gen wei­ter. „Das ist eine selek­tive Poli­tik, die Men­schen mit klei­ne­rem Geld­beu­tel aus­schließt", fin­det Katja. Wie sich der Frei­bur­ger Woh­nungs­markt wei­ter ent­wi­ckelt, hänge vor allem davon ab, ob es in Zukunft noch einen neuen Stadt­teil geben wird, ver­mu­tet Renate Heyber­ger vom Studierendenwerk.


Die For­de­rung, min­des­tens die, sollte blei­ben: Häu­ser denen, die drin wohnen!





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