Esther: Queer hat nicht nur eine Bedeutung. Zum Einen wird es als Überbegriff für LSBTTI verwendet, also lesbisch, schwul, bisexuell, transsexuell, transgender und intersexuell. Zum anderen ist Queer aber auch eine Denkrichtung, die sich gegen ein Schubladendenken wehrt.
Woher kommt das Wort? Der Begriff „queer" ist doch ursprünglich negativ konnotiert gewesen, oder?Esther: Genau, aber die Bewegung hat den Begriff umgedeutet und sich wieder angeeignet. Eigentlich heißt es ja so was wie „seltsam" und „merkwürdig", aber wir haben den Besitz über das Wort sozusagen zurückgewonnen.
Warum ist die Queer-Bewegung heutzutage noch notwendig? Ist es nicht selbstverständlich, dass alle Menschen unabhängig von ihrer sexuellen Identität und Orientierung dieselben Rechte haben?Christian: Das wäre natürlich sehr schön, aber selbst hier in Freiburg gab es vor kurzem homophobe Übergriffe und wenn man sich im Rest der Welt umsieht, dann gibt es einfach zu viele Länder, in denen Queer sein immer noch als Strafe gilt.
Ist die Queer-Bewegung eigentlich der Feminismus von heute?Esther: Wir sind ein ähnliche soziale Bewegung, kämpfen auch gegen Sexismus, aber auch noch gegen andere Formen von Diskriminierung.
Geschlechtergerechte Sprache Neben einer offenen und vielfältigen Gesellschaft oder als Teil derselben, ist euch ja auch geschlechtergerechte Sprache sehr wichtig. Ihr gendert meist mit Gender-Gap, also mit Unterstrich oder Sternchen zwischen dem Wortstamm und der femininen Wortendung. Warum eigentlich? Welche Vorteile seht ihr darin gegenüber dem Queerstrich oder dem Binnen-I?Christian: Das Sternchen bedeutet ja schon in der Literatur eine Auslassung, steht also für alles, das nicht direkt in einem Wort enthalten ist. Deswegen ist es eine sehr gute Möglichkeit, alle Geschlechterspektren abzubilden. Esther: Ich gendere eigentlich nur noch mit dem Sternchen, da es auch viel ausdrucksstärker ist als der Unterstrich.
Die Alt-Feministin und Begründerin der feministischen Linguistik Luise F. Pusch ist eine starke Befürworterin des generischen Feminins und lässt als Maximum der Toleranz noch das Binnen-I gelten. Die Gender-Gap würde die Frau in der Sprache nämlich wieder sinnbildlich an den Rand rücken, vom meist maskulinen Wortstamm abtrennen. Der Unterschied zum generischen Maskulin bezüglich der Diskriminierung in dem Fall aller nicht-weiblicher Geschlechter liege in der Geschichte - das generische Maskulin hatten wir ja jetzt lange genug, sie sei für das Rotationsprinzip, generisches Feminin zur Bewusstmachung für die nächsten fünfzig Jahre.Esther: Luise Pusch denkt im Gegensatz zu uns eben in diesem binären Geschlechtersystem. Christian: Gerade sie als Linguistin sollte außerdem wissen, dass sich Sprache in diesem Zeitraum von fünfzig Jahren eben nicht so schnell ändert...
Zweigeschlechtlichkeit? Das binäre Geschlechtersystem wird heute zunehmend angezweifelt, Gender als ein Spektrum verstanden, auf dem es die Kategorien Mann und Frau zwar gibt, aber nicht nur. Warum sind wir darauf eigentlich erst in den letzten Jahren aufmerksam geworden? Queere Menschen muss es doch schon immer gegeben haben oder wo kommen die plötzlich alle her?Christian: Tatsächlich hat es auch in der Antike schon queere Menschen gegeben. Historisch betrachtet sind wohl das Christentum und das „dunkle Mittelalter" an der Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit schuld. Esther: Aber mittlerweile sind selbst die Naturwissenschaften, die Biologie bei dem Punkt angekommen, dass Gender ein Spektrum ist.
Es gibt allerdings auch heutzutage immer noch die Argumentation, dass der Mensch biologisch und zwecks Fortpflanzung erst einmal als Mann, Frau, heterosexuell geschaffen ist, und alles andere von dieser Norm abweicht. Was würdet ihr dem entgegnen?Christian: Es gibt auch Tierarten, die homosexuell oder in nicht-normativen Verbünden leben, sodass man da beim Menschen noch nicht einmal von einem rein gesellschaftlichen Phänomen reden kann.
Vielleicht ist Fortpflanzung ja auch nur eine von vielen Dingen, für die Lebewesen geschaffen wurden. Glaubt ihr denn, dass im Zuge der Anerkennung der Queer-Bewegung sich noch mehr Menschen „outen" und männlich, weiblich, heterosexuell in naher oder ferner Zukunft gar keine Norm mehr sein wird?Esther: Wir kämpfen natürlich dafür, aber ich glaube, dass das lange lange dauern wird. Es ist leichter geworden, sich zu outen, aber man muss immer noch mit vielen Anfeindungen und Diskriminierungen rechnen.
Christopher Street Day Ihr beide organisiert ja auch den CSD, den Christopher Street Day, in Freiburg mit. Wofür steht der CSD eigentlich und was wollt ihr damit erreichen?Christian: Der CSD in Freiburg steht NICHT nur für die Queer-Bewegung. Wir befassen uns mit den Themen Rassismus, Transphobie, Homophobie, aber auch mit der Flüchtlingsproblematik. Wir wollen eigentlich sämtliche diskriminierten Gruppen abdecken.
Welche Reaktionen erfährt der CSD von öffentlicher Seite? Ist hier in Freiburg allen klar, welche politische Bedeutung der CSD hat oder beschränkt sich die Unterstützung auf das Hissen der Regenbogenfahne vom Rathaus?Esther: Beim letzten Mal waren die Reaktionen in den Medien durchweg positiv und auch dieses Jahr zeigt sich reges Interesse an dem Thema. Gerade durch den homophoben Übergriff hier in Freiburg vor einiger Zeit, hat der CSD, der bei der Bekämpfung solcher Dinge natürlich vorne mit dabei ist, noch mal an Brisanz gewonnen.
Warum gab es den CSD bis vor einem Jahr eigentlich so lange Zeit nicht?Christian: Der ursprüngliche CSD in Freiburg war tatsächlich noch mit sehr vielen Schwierigkeiten und Anfeindungen konfrontiert, sodass die Organisator*innen die Idee damals haben fallen lassen.
Könnt ihr uns denn schon verraten, was in diesen drei Tagen Christopher Street Day alles geplant ist?Esther: Es sind ja nicht nur drei Tage. Schon in den zwei Wochen davor werden sich queere Gruppen in verschiedene Veranstaltungen präsentieren. Christian: Den Schwerpunkt haben wir in diesem Jahr auf Trans- und Intersexualität gelegt, die meisten Veranstaltungen werden sich auf diese Themen beziehen. Die drei Tage CSD selbst fangen am Freitagabend mit einer Podiumsdiskussion an, Samstags ist die Parade...
Auch wieder mit so viel Schaum wie beim letzten Mal?Esther: Das wollen wir jetzt natürlich noch nicht verraten.
Christian: ...anschließend gibt es eine große Abschlusskundgebung mit Showacts auf dem Stühlinger Kirchplatz und Sonntags sind auch noch mal viele Veranstaltungen mit politischen Reden und Shows. Esther: Das wird ein schlafloses Wochenende!
CSD-Plenum - organisiert den Christopher Street Day in Freiburg und trifft sich jeden Dienstagabend um 20 Uhr im konf2 des Studierendenhauses, in der Belfortstraße 24.
Regenbogenreferat der Uni Freiburg - macht zahlreiche queere (politische) Veranstaltungen in und außerhalb der Uni, z.B. den Tag der Vielfalt zum Jahresende und in regelmäßigen Abständen die Pink Party. Trifft sich jeden Montagabend um 20 Uhr in der Rosa Hilfe auf dem Grethergelände (Adlerstraße 12).
Fluss e.V. - macht Bildungsarbeit zu Gender und sexueller Orientierung für Schulen, Jugendgruppen und Erwachsene, setzt sich für Menschen aller geschlechtlichen und sexuellen Orientierung ein und bietet eine Coming Out-Gruppe für Mädchen und Frauen. Trifft sich jeden zweiten und vierten Mittwoch um 19.45 Uhr in der Lise-Meitner-Straße 12 (Vauban).
... und viele andere!
Louisa Theresa Braun