Es dauerte lange, bis die düstere Dystopie von Ridley Scott Anerkennung fand: Der Film war an den Kinokassen kein Erfolg, fand über die Jahre aber eine große Fangemeinde und gilt heute als Kultklassiker. Am Ende von „Blade Runner" stieg Harrison Ford als Rick Deckard zusammen mit seiner Geliebten Rachael im Jahr 2019 in einen Fahrstuhl und verschwand. Das Töten sogenannter Replikanten, das ihn eigentlich erst zum titelgebenden Blade Runner machte, wollte er nicht mehr. Es war ein bedrückender Moloch, in dem Deckard seine Arbeit machte: Der größte Teil der Menschheit hatte die Erde längt für ein besseres Leben in Richtung Weltraumkolonien verlassen - nur die Kaputten, Armen und Kranken waren zurückgeblieben. Das bessere Leben in der Ferne war den Replikanten zu verdanken; sie waren nur als Sklaven erschaffen worden, um der Menschheit zu dienen. Deshalb war ihre Lebenszeit auf vier Jahre beschränkt. Wer nicht gehorchte, wurde durch den Blade Runner „aus dem Verkehr gezogen" - im englischen Original noch zynischer mit „to retire" betitelt (was so viel heißt wie „in den Ruhestand versetzen").
Im DauerregenAuch 30 Jahre nach Deckard machen immer noch Blade Runner diesen dreckigen Job: Etwa K (Ryan Gosling), der mit ähnlich starrer Miene im Dauerregen auf die Jagd nach diesen menschenähnlichen Klonen ist. Bei einem seiner Fälle stößt er auf ein Geheimnis, das das Zusammenleben von Menschen und den Replikanten verändern könnte. Um es zu lösen, braucht er die Hilfe von Deckart. Also macht sich K auf die Suche.
Nein, es ist keine actiongeladene, kurzweilige Reise, auf die sich K begibt. Und das hängt nicht allein mit der epischen Filmlänge von zweieinhalb Stunden zusammen. Wie bereits der Vorgängerfilm lässt sich die Fortsetzung des Klassikers viel Zeit mit der komplexen Handlung. Brutale Kämpfe und Schießereien, wie sie prominent in der Vorschau des Filmes gezeigt wurden, sind eher selten. Es sind die stillen Momente, die im Vordergrund stehen: Die Kamera verweilt manchmal beunruhigend lange auf den Gesichtern der Hauptfiguren, um ihnen jede Emotion unendlich langsam zu entlocken.
Villeneuve („Prisoners", „Arrival") zeigt eine Steigerung der trüben Großstadt, die Scott vor 25 Jahren auf die Leinwand brachte. Allein das Setting lohnt den Kinobesuch: Die Straßenzüge zwischen den Häuserschluchten sind noch düsterer, noch verworrener geworden. Die prägende Filmmusik von Vangelis ist bedrückenden, wummernden Bassuntermalungen von Hans Zimmer gewichen, der nach „Dunkirk" neuerlich mit Benjamin Wallfisch kooperierte. Was zwischen dem ersten und dem zweiten Film passiert ist, hat Villeneuve wohlweislich in drei Kurzfilmen gezeigt, die vor „Blade Runner 2049" veröffentlicht wurden. So spart er sich lange Erklärungen in dem Epos und kann sich mit jener Ruhe auf die Handlung konzentrieren, die diesen Film so eindrücklich macht.
Dass ihm das so gut gelingt, ist auch der Kameraarbeit von Roger Deakins und dem Schnitt von Joe Walker zu verdanken: Nicht nur die langen Kamerafahrten und die großzügigen Einstellungen, sondern auch das Spiel mit Licht und Schatten überzeugen. So verschwinden die Gesichter der Protagonisten bei langen Dialogen immer wieder in der Dunkelheit oder sind stark in orangefarbenes Licht getaucht. So gelingt es, dass diese futuristische und hochtechnisierte Großstadt trotzdem verbraucht und heruntergekommen wirkt.
Auch wenn der Film mit Dave Bautista, Robin Wright und Jared Leto bis in die Nebenrollen erstklassig besetzt ist, ist es Ryan Gosling, der dieser Welt Leben einhaucht: Während er mit immer gleicher Miene seine Arbeit macht, zeigt sich auf seinem Gesicht, dass es hinter der Fassade intensiv arbeitet. Ein Manko ist der Auftritt von Harrison Ford: Wer sich vor allem auf den Altstar freut, wird von seiner geringen Leinwandzeit enttäuscht sein. „Blade Runner 2049" ist nicht nur eine würdige Fortsetzung. Der Film lebt von Bildern und Überraschungsmomenten. Wer sich darauf einlässt, wird auch lange nach dem Film noch über das Gesehene und die aufgeworfenen Menschheitsfragen nachdenken.