Literatur zum Klimawandel
In T. C. Boyles neuem Roman schlägt die Natur brutal zurück| Lesedauer: 5 Minuten
Man schmeckt Asche in der Luft und fällt vor Hitze um: Warum „Blue Skies" ein treffendes Szenario zur Erderwärmung ist.
Sommer in den USA: Die Südküste ächzt unter extremer Hitze, die Ostküste kämpft gegen Überflutungen. Cat, 26, lebt mit ihrem reichen Verlobten in einem Strandhaus bei Florida. „Sie konnte praktisch alles haben“, heißt es, aber sie fühlt sich einsam. Ihr Verlobter ist ständig auf Geschäftsreise, ein Baby will er derzeit nicht, „nicht einmal einen Hund oder auch nur eine Katze“ erlaubt er ihr. Eines Tages wagt Cat einen Nervenkitzel: Sie kauft sich eine Python und hängt sie sich in einer Bar wie „lebendigen Schmuck“ um die Schultern.
Der Mensch und sein verhängnisvolles Verhältnis zur Natur: Der neue Öko-Thriller „Blue Skies“ von Bestseller-Autor Tom Coraghessan, kurz T.C., Boyle, und erschienen im Hansa-Verlag, schließt an das Thema an, um das es auch in seinem letzten Roman „Sprich mit mir“ (2021) ging. Nur dass die Natur in „Blue Skies“ zurückschlägt, denn der Roman spielt vor dem Hintergrund der Katastrophen, die der Klimawandel mit sich bringt.
Im Mittelpunkt steht eine amerikanische Familie: Während Cat sich in Florida die Langeweile mit einem Raubtier vertreibt und ihre Einsamkeit versucht, mit Alkohol zu betäuben, lebt ihr Bruder Cooper, so wie die Eltern Ottilie und Frank in Kalifornien. Als Insektenforscher ist er ganz auf das Artensterben konzentriert. Nur schöne Frauen und Sex lenken ihn davon ab. „Der Planet stirbt, siehst du das nicht?“, fragt Cooper Ottilie, die eigentlich findet, sie tut schon, was sie kann. Um ihr Gewissen zu beruhigen, peppt sie ihren Haushalt auf: Müll kompostieren, Wildblumen im Garten für die Bienen, neuerdings probiert sie sich an der „cuisines d’insectes“, Insekten als Nahrung, und frittiert Heuschrecken, „chapulines“ – „ein echter Hit“. „Aber der Planet stirbt ja gar nicht“, antwortet sie ihrem Sohn. „Soviel ich weiß, dauert es noch mindestens viereinhalb Milliarden Jahre, bis die Sonne anschwillt.“
TC Boyle ist weltweit bekannter Autor von bislang 18 Romanen und über 100 Kurzgeschichten, die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden. Jedes Jahr veröffentlicht er abwechselnd eine neue Kurzgeschichte oder einen Roman. In der Vergangenheit wurde er durch Historienromane über Ereignisse oder Persönlichkeiten der amerikanischen Geschichte bekannt, aber auch Werke über den Klimawandel und das Artensterben (u.a. „Wenn das Schlachten vorbei“ (2011)) hat Boyle bereits geschrieben. Wie einige seiner Vorgängerwerke spielt „Blue Skies“ in der Lebenswelt des Autors: Der 73-Jährige wohnt wie die Familie selbst bei Santa Barbara in Kalifornien, auf seiner Website berichtet er häufig über das extreme Klima, das den Bundesstaat plagt. In einem ZEIT-Porträt aus dem vergangenen Jahr war zu lesen, dass er und seine Familie wegen der Buschfeuer schon ihr Haus verlassen mussten.
Zu Beginn des Romans entspricht das Klima noch dem, was wir heute kennen: Hurrikane, Hitze, Dürre, Waldbrände, extremer Regen und Fluten verwüsten schon jetzt Regionen dieser Welt. Der Roman spinnt dann eindrucksvoll weiter, wie die Zukunft aussehen könnte und Boyle orientiert sich dabei an realistischen Möglichkeiten: Insektensterben, Nahrungsmangel, Klimaflüchtlinge, Mutationen von Erregern und Dauerhitze sind nur einige Szenarien, die eintreten könnten, sollte man die Erderwärmung, wie sie jetzt ist, nicht stoppen.
Das alles dient der Handlung als Kulisse, denn im Vordergrund stehen die Tragödien, die der Familie passieren. Denn die Python ist gar nicht so ungefährlich, wie Cat geglaubt hat, und die Insekten, die Coopers Freundin erforscht, richten plötzlich großen Schaden an. Erzählt wird abwechselnd aus der Innenperspektive von Ottilie, Cat und Cooper, dabei hält der Erzähler immer genau dort inne, wo sich das nächste Unheil ankündigt. Man will das Buch also gar nicht mehr aus der Hand legen.
Dabei sind die Charaktere so gezeichnet, dass man sich mit ihnen identifiziert: Fehlerhaft, ja klar, aber eben auch unterhaltsam und einfach menschlich. Das ist womöglich die größte Stärke des Romans. Das eigentliche Thema ist nämlich gar nicht das Klima, sondern der Mensch mit seinem tragischen Willen zur Normalität. So kann Ottilie zu Beginn die Asche der Waldbrände in der Luft schon sehen, seit vier Jahren verheeren sie Kalifornien. Für sie liegen sie aber trotzdem noch in weiter Ferne. „Abgesehen davon, dass sie und Frank sorgsamer mit dem Wasser umgingen, hatte sich ihr Leben nicht sonderlich verändert“, heißt es da. Man möchte sie quasi wachrütteln, die Katastrophe spürt man schließlich nahen, wir wissen es ja selbst. Aber das geht natürlich nicht.
Als dann die Menschen reihenweise in Feuerstürmen verbrennen oder am Hitzeschlag sterben, organisiert sie, schlechten Gewissens, noch eine kleine Abendgesellschaft für ihren Mann, um ihm eine Freude zu machen. „Wenn man aufhörte, die Meilensteine eines Lebens zu feiern, konnte man gleich aufhören zu leben“, sagt sie. Ein, Gedanke, der uns bestimmt nicht fremd ist. Ins Gedächtnis brennt er sich trotzdem.
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