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„Vertreter einer nicht vorhandenen Gattung"

Von Lea Deusch

MAINZ/WIESBADEN - „Er hat die lächerliche Antithese von Fachmann und Künstler, von Journalist und Dichter überbrückt und in sich selbst jenen lebendigen Typus des Autors geschaffen, dessen Bezeichnung dem von ihm so geliebten Jargon überlassen werden muss": Es geht um Kurt Tucholsky. Dessen Kollege Friedrich Sieburg rezensiert in der „Frankfurter Zeitung" die gerade frisch erschienene Textsammlung „Das Lächeln der Mona Lisa" und schafft es – um eine Genrezuweisung ringend – auf den Punkt zu bringen, was Kurt Tucholskys Werk ausmacht. Er vermag nicht zu entscheiden, ob Tucholsky „ein großer Schriftsteller ist", stellt jedoch fest, „dass er ein einzigartiger Schriftsteller einer nicht vorhandenen Gattung ist."

Tucholsky veröffentlichte nur drei längere Prosastücke: „Rheinsberg" (1912), „Ein Pyrenäenbuch" (1927) und „Schloß Gripsholm" (1931). Das bedeutet allerdings nicht, dass der Rest seines Werkes minder literarisch ist, obwohl viele seiner Texte zuerst in Zeitungen erschienen. Die „Schriftsteller-Krankheit", wie er es ausdrückte, „jene Besessenheit, die nichts aus der Hand geben kann, weil man es noch besser, noch sauberer, noch kürzer sagen kann", verfolgte ihn sein Leben lang. Es war aber vor allem ein politischer Impetus, der ihn antrieb. Nicht nur in seinem 1929 veröffentlichten Buch „Deutschland Deutschland über alles" übte er scharfe Gesellschaftskritik, auch in seinen Beiträgen für die Wochenzeitschrift „Die Weltbühne", deren Mitherausgeber er war, warnte er vor der Bedrohung des aufkeimenden Nationalsozialismus.

Sein Werk ist „bipolar" zwischen Journalismus und Literatur und geradezu „schizophren": Für die „Weltbühne", die „nicht viermal denselben Mann in einer Nummer" haben wollte, erschuf Tucholsky vier Alter Ego. Je nach Gattung unterzeichnete er auch mit Ignaz Wrobel, Peter Panter, Kaspar Hauser und Theobald Tiger. Was „als Spiel gedacht, als Spiel erfunden" wurde, „endete als heitere Schizophrenie", gab Tucholsky einmal augenzwinkernd zu. Die insgesamt fünf „Tucholskys" schrieben Erzählungen, scharfzüngige Gesellschaftskritiken, politische und satirische Texte und verfassten Lyrik. Tucholsky mochte das Spiel mit den Rollen, mit der Sprache, dem Jargon, dem er nicht selten berlinernd eine Liebeserklärung machte.

Kein Glaube an die Ewigkeit

Er schrieb für den Tag und glaubte nicht an eine Ewigkeitswirkung. Seine Kollegen warnte er in seinem „Plädoyer gegen die Unsterblichkeit" sogar davor: „Schiele nicht nach vorn – da ist für dich nichts zu holen ....Für dich gibt es nur ein Wort, wenn du weise bist, es richtig auszusprechen. Heute." Doch sein Werk wurde bewahrt, nicht allein durch den in diesem Jahr verstorbenen Fritz J. Raddatz als Herausgeber der „Gesammelten Werke", Tucholskys Texte haben in ihrer anhaltenden Aktualität, politischen Klugheit, ihrem Witz und durch den erzählerischen Feinsinn einen inhärenten Ewigkeitswert. „Was darf Satire? Alles" – tausendfach wurde das prägnante Tucholsky-Zitat nach dem Anschlag auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo" auf Facebook geteilt.

Für Erich Kästner war Tucholsky der „kleine dicke Berliner", der „mit der Schreibmaschine eine Katastrophe aufhalten" wollte. Es gelang ihm nicht. 1933 wird ihm die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt, schon vorher hatte er sich in das schwedische Örtchen Hindås zurückgezogen. Dort nimmt er am 19. Dezember eine Überdosis Veronal und stirbt zwei Tage später in Göteborg im Krankenhaus.

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