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Woher kommt der Selbstoptimierungshype?

Jeder möchte das Beste aus sich herausholen. Doch genau diese Einstellung nimmt während der Selbstisolation oft extreme Züge an. Wie kommt es, dass "schöner, besser, gesünder" zum Leitsatz der Pandemie geworden ist?

Mit Yoga in den Tag starten, aufwendige Smoothies zum Frühstück und neben der Arbeit im Homeoffice noch schnell eine neue Sprache lernen. Was für manche nach einem unvorstellbaren Tagespensum klingt, ist aktuell das Ziel vieler Menschen. Der Grund? Die Corona-Zeit mit Ausgangsbeschränkungen soll möglichst effektiv genutzt werden.

Aufgrund der Corona-Pandemie spielt sich für viele der gesamte Alltag zu Hause ab. Anstatt ins Büro zu fahren, steht nun das Arbeiten in den heimischen vier Wänden an. Neben diesen Umstellungen schwingt bei den Menschen auch eine dauerhafte Ungewissheit mit. Plötzlich befindet man sich in einer noch nie da gewesenen Situation und fragt sich, wie man sich nun verhalten soll. Auf diese Frage scheinen gleich mehrere die gleiche Antwort parat zu haben: Die Zeit möglichst sinnvoll nutzen, um endlich eine bessere Version von sich selbst zu kreieren. Doch wieso entsteht dieser Tatendrang und wie kommt es, dass Selbstoptimierung zu einem festen Bestandteil der Krisenzeit geworden ist? ntv.de fragt bei Professor Stefanie Graefe, Soziologin an der Universität Jena, nach.

Der Mensch hat schon immer versucht, sein Leben so zu gestalten, dass es möglichst sicher und vorteilhaft ist. Das war lange Zeit notwendig, um das eigene Überleben zu sichern. Dieses Verhalten hat sich im Laufe der Jahre jedoch stark verändert. "Selbstoptimierung im Sinne einer gezielten Selbstverbesserung zielt einerseits auf eine möglichst perfekte Selbstdarstellung und zugleich auf Leistungssteigerung im Beruf ab. Es ist ein sehr modernes Phänomen und typisch für kapitalistische Gesellschaften im 21. Jahrhundert", erklärt Graefe. Die Soziologin weiß auch, wieso der Mensch nach dieser Verbesserung strebt. "Die eigene Optimierung verspricht das Leben glücklicher und erfüllter zu machen." Es scheint daher kaum verwunderlich, dass man gerade in einer ungewohnten Krisenzeit dazu neigt, sich selbst verbessern zu wollen.

Gesellschaftliches Phänomen

Doch wie ist es dazu gekommen, dass diese Verbesserung angestrebt wird? Hier spielt vor allem die kapitalistische Arbeitswelt eine entscheidende Rolle. Der Mensch wird dauerhaft dazu angehalten, seine eigene Leistung zu verbessern, um mit den Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt mithalten zu können. So soll man nicht nur stressresistent und stets arbeitsbereit sein, es wird auch vermittelt, dass eine ständige Leistungssteigerung mit zu den eigenen Aufgaben gehört. "Das Schlagwort hierfür heißt Resilienz: Man soll lernen, steigende Arbeitsanforderungen als eine Art Naturbedingung zu akzeptieren, an die man sich optimal anpassen muss."

Dies ändert sich auch in der Krisenzeit nicht. Ganz im Gegenteil: Die aktuelle Situation kann mit einer erhöhten Zukunftsangst einhergehen. Sowohl Selbstständige als auch Angestellte sehen ihre Existenz gefährdeter denn je. Um dieser Angst entgegenzuwirken, versuchen viele attraktiver für den Arbeitsmarkt zu werden. Dieser Versuch geht mit dem Anspruch einher, neue Fähigkeiten zu erlernen oder bereits vorhandene verbessern zu wollen.

Zudem streben viele Menschen im Allgemeinen nach Anerkennung und wollen diese erlangen, indem sie einer vorgegebenen Norm entsprechen. "Die eigene Optimierung zielt auf die Erfüllung vorherrschender gesellschaftlicher Ideale ab." Gerade dieser Aspekt der Selbstoptimierung kann jedoch gefährlich werden. Die Optimierung an sich scheint nämlich nie beendet zu sein. "Es gibt immer noch etwas zu verbessern und immer andere, die besser zu sein scheinen, als man selbst", warnt Graefe.

Den Kreislauf durchbrechen

Während der Pandemie verstärkt besonders die Selbstinszenierung auf Social-Media-Kanälen das Verlangen, die Zeit während der Selbstisolation sinnvoll nutzen zu müssen. Da der Mensch ein soziales Wesen ist, lässt er sich schnell beeinflussen. Das aktuelle Wegfallen vieler sozialer Kontakte führt dazu, dass virtuelle Eindrücke einen noch größeren Einfluss auf das eigene Leben nehmen. Das Gefühl, mit anderen mithalten zu müssen, wird dadurch verstärkt. Hierbei sollte man jedoch im Hinterkopf behalten, dass die Inszenierung in sozialen Netzwerken lediglich auf Momentaufnahmen beruht und daher nicht die Realität abbildet.

Hinzu kommt, dass die Logik hinter der Selbstoptimierung sehr komplex ist. "Paradoxerweise kann sogar eine Verweigerung von Optimierung einen positiven Effekt haben. Bewusst auf dem Sofa zu bleiben kann dazu beitragen, dass man wieder ausgeruhter und fitter wird", erklärt Graefe dazu. Stets nur in die eine Richtung zu streben ist daher wenig ratsam.

Generell kann es hilfreich sein, sich bewusst von den dauerhaften Selbstoptimierungen zu lösen. Damit dies gelingen kann, sollte man sich vor Augen führen, dass es noch andere, ganz individuelle Dinge gibt, die die eigene Aufmerksamkeit benötigen. Zudem sollte der Fokus wieder mehr auf das individuelle Wohlbefinden, als auf das Erreichen von Zielen gesetzt werden.

Übrigens: Der Stress, der durch die Einflüsse von sozialen Medien entsteht, nennt sich Technostress. Dieses weitverbreitete Phänomen wurde von einer Forschungsgruppe der Universität Bamberg untersucht. Sie fanden heraus, dass soziale Netzwerke stark in das Leben der Nutzer eindringen und ihre sozialen Erwartungen beeinflussen.

Quelle: ntv.de

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