Die Zwillinge Anna (Saskia Rosendahl) und Benjamina, genannt Benni (Hanna Hilsdorf), könnten unterschiedlicher nicht sein. Die eine ist ein grüblerisches IT-Genie mit dem Kopf voller Zweifel, die andere eine Macherin mit Tendenz zum Impuls. Was sie eint, ist ihre Sorge um die Zukunft der Menschheit. Beide wollen nicht tatenlos zusehen, während sich die Klimakrise zur Katastrophe entfaltet.
Mit dem Projekt Climate Leaks versuchen sie zu Beginn der Serie A Thin Line den Bau einer Autobahn zu verhindern, indem sie die Mails des korrupten Bundesverkehrsministers veröffentlichen und seine Verfilzungen mit der Autoindustrie offenbaren. Erfolg haben sie damit nicht, zur Eskalation kommt es trotzdem. Weil ein anderes Hackerkollektiv dieselbe Sicherheitslücke im Gebäude des Ministeriums nutzt, um die Angestellten dort einzusperren, rückt bald die an und entzweit die Schwestern.
Anna geht erst ins Gefängnis und hilft dann ihrem Patenonkel, dem BKA-Beamten Christoph Wandler ( Peter Kurth), beim Kampf gegen eine Gruppe mit dem einfallsreichen Namen Der letzte Widerstand, die mit zunehmend extremen Mitteln Politik und Wirtschaft in die Knie zwingen will. Während sie also die Seiten wechselt, schließt sich Benni dem Letzten Widerstand an. Zuerst legt sie eine Raffinerie lahm, die beinahe explodiert. Menschenleben gefährdet zu haben, bringt sie und ihre Mitstreiterinnen jedoch nicht von ihrem Ziel ab. Bald schon zielen Anschläge auf die größten Klimasünder des Landes, wenig später liegen die ersten Leichen auf dem Boden eines Serverraums.
Das Regieduo Damian John Harper und Sabrina Sarabi inszeniert das von Jakob und Jonas Weydemann (Systemsprenger) produzierte A Thin Line ebenso als Katz-und-Maus-Spiel im Thrillerformat wie als Familiendrama. Während Anna hin- und hergerissen ist zwischen ihren ehemaligen Idealen als Hackerin, der Solidarität mit ihrer Schwester und ihrem moralischen Einwand gegen die gewaltsame Eskalation der Aktionen des Letzten Widerstands, zoomt die Serie ganz nah ran an die Verstrickungen innerhalb ihrer Familie. Nicht nur ein geschwisterlicher, sondern auch ein Generationenkonflikt kommt dabei zum Vorschein.Patenonkel Christoph gehörte genauso wie die Partnerin der vor Jahren ermordeten Mutter der Schwestern zur Ökobewegung der Achtzigerjahre. Während er nun Teil des Establishments ist und gegen Umweltaktivismus ankämpft, vergräbt sie sich in der Abgeschiedenheit ihres eigenen Gartens. Beide sind Repräsentanten einer gescheiterten Bewegung von einst und realpolitischer Apathie von heute, angesichts derer eine neue Generation meint, zu drastischeren Mitteln greifen zu müssen.
Mit Kritik an einem von ökonomischem Interesse überformten, zerstörerischen System hält sich A Thin Line jedoch nicht auf. Politik und Wirtschaft führt die Serie nur in Form einiger weniger Charaktere in die Geschichte ein. Es gibt darin keine echten Antagonisten, es kann deshalb nur um moralische Fragen gehen. Ein sonderbarer Konsens herrscht zwischen allen Beteiligten, die immer irgendwie Verständnis für die Gegenseite und sogar Sympathie für deren Handeln aufbringen - oder gleich mit ihr ins Bett steigen.
Schon das zeigt den Fokus der Serie auf menschliche Einzelschicksale und die persönlichen Hintergründe ihrer Haupt- und Nebenfiguren. Was hat der Kampf des BKA-Mitarbeiters Simon (Sebastian Hülk) mit seinen psychischen Leiden an einer Vergangenheit bei der Bundeswehr mit dem Plot von A Thin Line zu tun? Was die einsetzende Demenz von Christophs Frau? Gemeinsam mit der maßgeblichen Drehbuchautorin Stefanie Ren buchstabieren die Weydemann-Brüder mit solchen Fragen das Innenleben ihrer Figuren aus. Zugleich tilgen sie fast alle politischen Implikationen aus der Serie.