Stellen wir uns einmal vor, würde eine Serie produzieren, die sich um die Gründung eines Senfunternehmens dreht. Der Plot: Zwei Geschäftsmänner beobachten auf dem Senfmarkt einen Wettstreit zwischen zwei Firmen mit gänzlich unterschiedlichen Philosophien. Die einen machen seit Jahrzehnten den immer gleichen scharfen Senf, die anderen gewinnen mit mildem Discountersenf immer größere Marktanteile hinzu. Die erwähnten Geschäftsmänner erfinden kurzerhand mittelscharfen Senf und tun das nicht etwa, weil sie eine offensichtliche Marktlücke erkannt haben, nein. Sie wollen die Senfkultur als solche mittels eines ultimativen Kompromisses retten und in ein neues Zeitalter überführen.
Wer würde sich das anschauen? Sollten die Rollen der aspirierenden Senfmagnaten nicht mit Harry Styles und Timothée Chalamet besetzt sein, vermutlich niemand.
Aber die Techwelt funktioniert anders als die Senfwelt und verwertet ihre origin stories noch konsequenter als Marvel seine eingestampften Comicbuchreihen. Deshalb verwundert es nicht, dass die meistgenutzte Videostreamingplattform der Welt ein sechsteiliges Dokudrama über die meistgenutzte Audiostreamingplattform der Welt veröffentlicht und deren Narrativ - es geht um nicht weniger als die Rettung der Musikindustrie und eine Revolution des Musikkonsums - wiederkäut wie eine detailverliebte Milchkuh. Erzählt wird also die Geschichte eines Mannes mit einer simplen Idee, die im Zeitalter der Internetpiraterie die erodierende Branche mit einem Schlag rettet, weil sie beides zusammenbringt: Gratisangebot für die Nutzer, Verwertungsmöglichkeiten für die Plattenfirmen. Und am Ende, tja, steht er trotzdem als Bösewicht da, obwohl er nur das Beste für alle wollte.
Die schwedische Produktion The Playlist basiert auf dem Buch Spotify Untold der Journalisten Sven Carlsson und Jonas Leijonhufvud und erzählt in den ersten vier ihrer sechs Episoden die Vorgeschichte und Gründung des Unternehmens bis zum offiziellen Launch der Plattform im Jahr 2008. Die Folgen fokussieren sich nicht ausschließlich auf CEO und Mitbegründer Daniel Ek (Edvin Endre), sondern deklinieren den beliebten Monomythos von Techvisionären auch anhand anderer Figuren durch: Die Idee ist gut, und die Welt wird durch geniale Typen wie Ek dafür bereit gemacht. Durchexerziert wird also das Heilsversprechen des Plattformkapitalismus - die Rache der Nerds, deren Lebensinhalt nicht Sex, Drugs & Rock 'n' Roll sind, sondern Coding, Kaffee und Patentanmeldungen. Mit harter Arbeit und gegen alle Widrigkeiten räumen sie den Weg frei für eine bessere Zukunft.
Newsletter
Auffällig ist zuerst einmal, wie stümperhaft The Playlist ist. Selbst die Details stimmen nicht: Die beeindruckende Aussicht hinter den Fenstern der Chefetage von ruckelt bisweilen wie ein hängender Videostream, und beim Test einer Demoversion seiner App klickt Ek zwar eine Cello-Suite von Bach an, doch erklingen stattdessen die ersten Töne von John Coltranes Giant Steps. Die Darsteller müssen derweil Sätze sagen wie "Das ist unser Job: Wir lassen Träume wahr werden" oder "Für mich gibt's nur einen Faktor, der ein Unternehmen funktionieren lässt: Persönlichkeit!" Sie spielen Figuren, die auf echten Personen basieren, die wiederum auf bekannten TV-Tropen zu basieren scheinen.
Andreas Ehn (Joel Lützow) etwa, der erste Mitarbeiter und bis Ende 2009 CTO von Spotify, sieht die Welt natürlich in umherschwebenden Formeln und Datenpaketen wie einst Russell Crowe in A Beautiful Mind und vergleicht ein Peer-to-Peer-Netzwerk allen Ernstes mit "einer kleinen kommunistischen Community". Brutal erklärbärt wird mit solchen Aussagen eine Menge in The Playlist, weil neben sinnbefreitem Unternehmergebrabbel zum Beispiel auch Lizenzverhandlungen für Musiknutzungsrechte im Zentrum der Serie stehen. Weshalb sich noch einmal die Frage aufdrängt, wen sie überhaupt interessieren soll.
Der Regisseur Per-Olav Sørensen versucht sein Projekt durch den Einsatz einer polyperspektivischen Erzählstruktur mit Spannung aufzuladen. Nachdem die erste Folge den Werdegang Eks nachverfolgt, zeigt The Playlist die Zeit von der Gründung bis zum Spotify-Launch noch drei weitere Male aus verschiedenen Blickwinkeln. Per Sundin (Ulf Stenberg) erzählt aus der Sicht des Labelbosses von Sony Schweden, die Spotify-Staranwältin Petra Hansson (Gizem Erdogan) und Ehn geben weitere Versionen der Begebenheiten wieder. Wie in jeder oral history widersprechen sich die Berichte. Die Wahrheit, deutet The Playlist holzhämmernd an, wird wohl irgendwo dazwischen liegen.
Die Serie bricht allerdings in den letzten beiden Folgen mit ihrer Struktur. Zwar erzählt auch die fünfte Folge aus der Perspektive einer anderen Figur, des Spotify-Mitbegründers und Investorenfängers Martin Lorentzon (Christian Hillborg). Doch geht es plötzlich darum, wie Taylor Swift das Unternehmen im Jahr 2014 in angeblich existenzielle Nöte drängte und wie Ek am Tag seiner eigenen Hochzeit im Jahr 2016 Lorentzon verklickert, dass dieser den Hut nehmen müsse, weil sein erratisches Verhalten Investoren abschrecke. Der abrupte Bruch mit der vorher so strikt eingehaltenen Chronologie und damit auch der Erzählform an sich legt nahe, wovon The Playlist eigentlich handeln soll: Imagepflege für Spotify.