"Wir haben einen Mann ohne Hose in Mitte", ruft Yvonne Tamborini ihren Kollegen zu. "Wer macht's?" Polizeikommisar Bremermann nickt kurz. "Ich schreibe 'halbnackt'", überlegt er laut. "Oder: 'Streift ohne Hose durch Mitte'", sagt Tamborini.
Sie ist seit März die Twitter-Chefin der Berliner Polizei. Der hosenlose Mann im Bezirk Mitte geht schließlich als Tweet online und wird in kurzer Zeit zu einem kleinen Internet-Hit.
Für die Darstellung wird Javascript benötigt.
Den Twitternutzern gefällt's:
Für die Darstellung wird Javascript benötigt.
24 Stunden Polizeiarbeit, möglichst zeitnah im Internet begleitet - das war die Aufgabe. Tamborini durfte dafür ihre Redaktion auf neun Leute aufstocken, die sich in drei Schichten abwechselten. Ihren orangefarbenen Laptop hatte Tamborini in die Leitstelle mitgebracht, dorthin, wo sonst Polizeibeamte sitzen, die wichtige aktuelle Einsätze beobachten und bei Bedarf schnell eingreifen.
An diesem Tag sind alle Fälle wichtig, alle sollen getwittert werden, von Freitag- bis Samstagabend. Eine Werbekampagne fürs Image, zugleich eine heikle Aufgabe, andere Polizeibehörden haben mit PR-Versuchen per Twitter schon Eigentore geschossen.
Erst die Angehörigen, dann der Twitter-Account
Die Berliner wollten es besser machen. 2500 waren anvisiert, 1000 sind es geworden. Das lag an einem Netzausfall, dazu sehr vielen Bagatellunfällen und Fehleinsätzen, die noch während der Anfahrt der Funkstreifen wieder abgebrochen wurden. Die Reaktion war trotzdem immens: Die Anzahl der Follower bei Twitter stieg von 4000 vor der Aktion auf beinahe 20.000 am Ende - und viele waren begeistert.
Für die Darstellung wird Javascript benötigt.
Mit dem Twitter-Marathon sollte ein möglichst realistisches Bild des Berufsalltags entstehen, sagt die Berliner Polizei, auch für künftige Bewerber. Deutlich wurde aber auch die Belanglosigkeit einer Funkwagenschicht: Blechschäden, zugeparkte Autos, Lärmbeschwerden, ausgesetzte Hunde und immer wieder Streit - zwischen Ehepartnern, im Seniorenheim, zwischen Kleingärtnern.
"Es nutzt ja nichts, wenn die Neulinge erst im Beruf merken, was auf sie zukommt", sagt Pressesprecher Stefan Redlich. Dazu gehört Kurioses, wie der Rabe im angeblichen Todeskampf, der aber auf der Balz ist. Die vielen müden Menschen, die irgendwo schlafend aufgegriffen werden. Die Menschenmassen im Freibad, die ein Anwohner bedrohlich fand.
Dreißig Anrufer am ersten Abend
Und Ernstes. Die Polizei sperrte einen Einsatzort der Feuerwehr ab, die versuchte, einen Menschen wiederzubeleben, Mieter sorgten sich um alte Nachbarn, Todesnachrichten mussten an Angehörige überbracht werden. Und bei einer Explosion in einem Hochhaus überlegte das Twitter-Team, zu welchem Zeitpunkt veröffentlicht werden soll, dass dabei jemand ums Leben gekommen ist. Erst sollen die Angehörigen verständigt werden, danach wird der Tweet abgesetzt, entschied Pressesprecher Redlich.
Zur gleichen Zeit einige Kilometer weiter östlich, im alten Volkspolizei-Gebäude am Alexanderplatz. Hier sitzt die Berufsinformation der Berliner Polizei. Sie verspricht sich von der Twitter-Aktion mehr Interesse für den Polizeijob, im Idealfall mehr Bewerber. Parallel zum Twitter-Marathon hat die Berufsberatung für einige Stunden die Telefone besetzt. Allerdings ist mit dreißig Anrufen am ersten Abend und zehn am nächsten Tag die Resonanz eher mau.
"Da wollte zum Beispiel ein Busfahrer der Berliner Verkehrbetriebe wissen, ob er mit 41 noch Polizist werden kann", erzählt Katja Sievert von der Beratung. Für diesen Interessenten ist es zwar zu spät, doch für einen anderen Anrufer nicht. Er hat mit 30 "wahnsinnig viele Fragen" und will demnächst persönlich vorbeikommen. Die Berliner Polizei nimmt tatsächlich derzeit "Lebensältere" mit Berufspraxis, wie es im Behördenjargon heißt: Im mittleren Dienst der Schutzpolizei haben sie bis 39 Jahre Chancen.
Schon mal gesprayt?
240 Anwärter sucht die Polizei derzeit für diesen Bereich, dazu noch 120 für den gehobenen Dienst der Schutz- und 60 für den der Kriminalpolizei. "Viele Interessenten haben eine ganz falsche Vorstellung von Polizeiarbeit", sagt Einstellungsberater Uwe Stephan. "Vor allem durch die Fernsehserien." Zum Beispiel, dass die Kripo ein Aufstieg gegenüber der Schutzpolizei sei. In Berlin müssen sich bereits die Bewerber entscheiden, wohin sie wollen: entweder mehr Schreibtischarbeit bei der Kripo oder mehr Funkwagenschichten als Schupo.
Zweimal im Jahr stellt die Berliner Polizei Nachwuchs ein, jeweils 10.000 Bewerber. Das hört sich viel an, doch die meisten werden schnell ausgesiebt. Weil sie den Gesundheitstest nicht schaffen, zu unsportlich sind oder die Psychotests nicht bestehen. "Und zunehmend wegen des fehlenden guten Leumunds", sagt Katja Sievert. Dabei reicht es, U-Bahn-Fenster zu scratchen oder Graffitis zu sprayen.
Ob die Twitter-Aktion langfristig wirkt, muss man abwarten. Die Bezahlung der Berliner Polizei ist schlechter als in anderen Bundesländern, daran ändert auch ein unterhaltsamer Tag bei Twitter nichts.