Katharina Wasmeier

Freie Journalistin, Autorin, Lektorin, Nürnberg

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Wohntrend aus Japan ist zurück: Das steckt hinter Wabi-Sabi und Kintsugi

Wabi-Sabi heißt ein Wohntrend, der die japanische Ästhetik des Unvollkommenen pflegt. Dazu gehört die Handwerkskunst Kintsugi, nach der zerbrochenes Porzellan mit Gold gekittet wird.

Nürnberg - „Perfekt unperfekt: So gelingt der japanische Wohntrend Wabi-Sabi“ – so titelten schon vor einigen Jahren verschiedene Einrichtungsmagazine und erklärten sogleich laut und hilfsbereit, was im neuen Trend nach Hygge und Industrial zu berücksichtigen sei, um dann verhältnismäßig leise wieder zu verschwinden. In den letzten Monaten fiel „Wabi-Sabi“ plötzlich vermehrt in den sozialen Medien, besonders häufig in Verbindung mit „Kintsugi“, einem wundervollen Handwerk, das Kaputtes zum ästhetischen Konzept erklärt, Scherben mit Gold zu Kunstwerken verbindet und zu dem das Internet zahlreiche DYI-Anleitungen bereitstellt. „Wabi-Sabi“, das bedeutet in der sehr groben Übersetzung „einsame Vergänglichkeit“ und klingt nicht gerade nach der ersprießlichen Wohlfühl-Atmosphäre, die man sich zu Hause wünscht. Aber wonach klingt es denn überhaupt?

„Um das Konzept zu verstehen, muss man sich mit den Ursprüngen der japanischen Mentalität und des japanischen Kulturverständnisses auseinandersetzen“, sagt Takura Okada, der in Osaka aufgewachsen, seit 2009 in Augsburg beheimatet ist und als japanischer Kulturbotschafter nicht nur die östliche, sondern auch die westliche Welt gut kennt. „Wabi-Sabi ist weniger ein Kunstbegriff als vielmehr ein ästhetisch-philosophisches, ja quasi-religiöses Konzept“, sagt der professionelle Cellist. Geistige Werte bis stoffliche Qualität: „Er verkörpert die japanische Haltung, dass ein gutes Leben nur gelingt, wenn man die Vergänglichkeit allen Seiens akzeptiert. Je mehr man dagegen arbeitet, desto schlimmer wird alles.“ Eine Haltung, die im Zen-Buddhismus gründet, der im 12. Jhdt. seinen Weg aus China nach Japan fand, dort weiterentwickelt wurde und sich in vielen gesellschaftlichen Bereichen manifestiert hat. „Alles ist fehlerhaft – und alles verschwindet. Alles Dasein ist Vergänglichkeit“, so Okada. Der Mensch komme als fehlerhaftes Wesen auf die Welt. Das gelte es zu akzeptieren und so Verbundenheit füreinander zu finden. Die Schönheit liegt also in der Akzeptanz der Unperfektion oder „in ungefähr immer genau dem Gegenteil dessen, was in Deutschland darunter verstanden wird.“

Die Patina am Spiegel und das Moos auf den Treppen, asymmetrische, schlichte Gartenanlagen statt Prunk und Blumenmeer, die tönerne, griffige Tasse statt glattglänzendem Porzellan, Zimmer aus Holz und Papier statt dicker Mauern – traditionelle japanische Teehäuser, in denen es weniger um geselliges Zusammensein geht als vielmehr ritualisierte Handlungen ähnlich der Eucharistie christlicher Gottesdienste, sind nach Wabi-Sabi beispielhaft eingerichtet. Hier geht es nicht um die wertige Hervorhebung einzelner Gegenstände, sondern um die mit größter Absicht scheinbar zufälligen „Fehler“, um die hohe Kunst der vermeintlichen Nachlässigkeit, „der perfekte Bau symbolischer Unperfektion“, so Okada. Oder einfach: Die Liebe zur Natur mit all ihren Winkeln und Wurzeln, Rillen und Runzeln, ihren kleinen Schäden und großen Wundern – und der Schönheit dessen, was aus vermeintlich Schadhaftem entstehen kann.

Wenn man das lieber „Patina“ nennen möchte oder „Vintage“, dann ist das so okay wie „Wabi-Sabi“ nicht viel zu tun hat mit europäischen Einrichtungskonzepten, auch wenn, weiß Takuro Okada, „es in Japan bezüglich der Innenausstattung einer Wohnung inzwischen eine modernisierte Wabi-Sabi-Inszenierung gibt. Die europäischen Designer versuchen wohl diese moderne Art zu imitieren bzw. europäisch umzusetzen.“ Bekannter, greifbarer als das ästhetische Konzept sind einzelne Vertreter, die längst auch hierzulande eine große Anhängerschaft gefunden hat: Ikebana, die Kunst des Blumenarrangierens, die Gedichtform Haiku, die Gartenkunst Bonsai – oder eben Kintsugi: die „Goldverbindung“, eine Reparaturmethode für Keramik. Hier werden in einem komplizierten traditionellen Handwerksverfahren zerbrochene Scherben eines Teller oder einer Tasse nicht etwa weggeworfen, sondern mit einem speziellen Lack geklebt, in den beispielsweise Pulvergold oder sogar Platin eingearbeitet sind. Die Bruchstellen werden dabei also nicht möglichst versteckt, sondern möglichst hervorgehoben, wodurch kunstvolle Gebilde entstehen, deren Schönheit sich überhaupt erst durch die Wunden und Narben bedingt. Wann „Wabi-Sabi“ also bedeutet, Schäden an Gegenständen wie sich selbst liebevoll zu umarmen, ist es als westliches Kulturkonzept vielleicht doch ganz gut geeignet.

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