Romantische Komödien werden selbst von Fans gern als "guilty pleasure" abgetan. Dennoch ist die Romcom nicht totzukriegen, gerade ist sie lebendig wie lange nicht. Warum?
Der Literaturnobelpreisträger William Faulkner war nicht nur Chronist einer dahinsiechenden US-amerikanischen Südstaatenaristokratie, er war auch ein professioneller Säufer. In den Dreißigerjahren arbeitete Faulkner als Drehbuchautor in Hollywood. Geplagt von finanziellen Nöten und frustriert vom Studiosystem, bediente er sich in dieser Zeit ausführlich des Alkohols als Mittel der Selbstmedikation. Als man ihn schließlich feuerte, so geht die Legende, fand man beim Ausräumen seiner Schreibstube nur eine leere Flasche und einen gelben Notizzettel. Auf den hatte Faulkner etliche Male die Worte " boy meets girl" geschrieben.
" Boy meets girl". Junge trifft Mädchen. Dieser Minimalplot war schon zu Faulkners Zeiten die Zauberformel hinter Hollywoods Kinomaschine und er ist es - in sanft variierten Ausführungen - bis heute geblieben, auch und vor allem in der Spielart der romantischen Komödie, kurz Romcom genannt. Die ist nicht nur eines der langlebigsten Genres der Filmgeschichte, sondern auch eines der formelhaftesten.
Ein Wolkenkratzer in Los Angeles. Er kommt gerade von der Arbeit, hat ein Uber bestellt, das ihn nach Hause bringen soll. Sie ist unterwegs zu einem Job als Kostümdesignerin, doch ihr GPS spinnt. Sie parkt ihren Wagen vor einem Büroturm. Mit Aktentasche in der Hand läuft er strammen Schrittes auf ein parkendes Auto zu. Sie versucht, ihr Navi wieder in den Griff zu bekommen. Er öffnet die Tür und lässt sich auf die Rückbank fallen. Sie schreit auf: Wer ist der fremde Typ, der sich einfach so in mein Auto setzt?
Dieses sogenannte meet cute, ein humorvolles, interessantes oder irgendwie aufregendes erstes Aufeinandertreffen der Protagonisten einer Romcom, stammt aus dem Film You People, der vor wenigen Wochen auf Netflix gestartet ist. Es könnte aber - abgesehen von den Verwirrung stiftenden Apps - genauso gut aus dem Jahr 1994 stammen. Oder 1938.
Romcoms laufen immer nach dem gleichen Muster ab, eine Aneinanderreihung und Kombination von unterschiedlichen Standardsituationen: Da ist eben das meet cute, das erste Kennenlernen, der erste Kuss, es gibt die Montage der ersten Dates, und, ganz wichtig, der scheinbar unüberwindbare Konflikt, an dem alles zu scheitern droht. Noch wichtiger ist nur der Schluss: das obligatorische Happy End.
So verhält es sich auch mit You People von und mit Jonah Hill, der das Drehbuch gemeinsam mit Regisseur Kenya Barris geschrieben hat. Hill spielt in You People den Mittdreißiger Ezra Cohen, ein jüdischer Banker mit dem Traum, eines Tages von seinem Podcast über Sneakers und Hip-Hop leben zu können. Ezra trifft Amira. Sie verlieben sich. Das Problem: die Konflikte mit und zwischen seinen weißen jüdischen und ihren Schwarzen muslimischen Eltern.
You People greift auf gleich zwei Standarderzählungen des Genres zurück: Zum einen die Kulturclash-Komödie, zum anderen das Treffen mit den wenig begeisterten Schwiegereltern. Das gab es ziemlich genau so schon einmal 1967 unter dem Titel Rat mal, wer zum Essen kommt. Im Kern aber steckt wie so oft im Genre der Romcom Shakespeare: Romeo und Julia, nur natürlich mit Hochzeit statt Giftfläschchen am Ende.
In seiner reinsten und klassischsten Form handelt es sich beim Boy-meets-girl der Romcom um das Aufeinandertreffen von leicht variierten Stereotypen. Da wären zum einen die boys: der heartthrob, der Frauenschwarm. Cary Grant hat ihn in den goldenen Tagen Hollywoods mehr als einmal verkörpert. Hugh Grant oder Richard Gere haben sich mit dieser Rolle in den Neunzigerjahren Weltruhm erschmachtet. Matthew McConaughey war in den Nullerjahren auch mal einer, bevor er sich zum professionellen texanischen Akzentvernuschler (lies: ernsthaften Schauspieler) wandelte.
Ihr Gegenüber, das girl, ist je nach Erzählperspektive mal verzweifelt auf der Suche, mal widerspenstig zu erobern. Die größten Traumfrauen ihrer Zeit haben in Romcoms mitgespielt. Marilyn Monroe, Andie MacDowell. Julia Roberts war das love interest der Neunziger, sowohl für Grant ( Notting Hill) als auch Gere ( Pretty Woman). Meg Ryan und Tom Hanks fanden sich gleich dreimal ( Joe gegen den Vulkan, Schlaflos in Seattle, e-m@il für Dich). Ergänzt wird dieses Paar oft durch etwas verrückte, am Ende aber doch liebenswerte Nebencharaktere, etwa der chaotische Mitbewohner Spike in Notting Hill.
Das alles ist also: kitschig, vorhersehbar, unrealistisch. Romantische Komödien werden von der Filmwissenschaft weitestgehend ignoriert, von der Kritik verschmäht und selbst von treuen Fans oft als unterhaltsamer Schund abgetan. Auch wenn sich das Verhältnis zu guilty pleasures in der Popkultur in den vergangenen Jahren verändert hat und auch seichtere (manchmal sogar campy) Unterhaltung mit heiligem Ernst umarmt wird: Als eines der produktivsten und langlebigsten Genres der Filmgeschichte hat die Romcom im Vergleich trotzdem einen ganz schön miesen Ruf.
Dabei ist das Formelhafte, die Standardsituation, die typische Figurenkonstellation zunächst einmal genau das, was ein Genre konstituiert. Das ist bei Actionfilmen, Western oder Science-Fiction nicht anders als bei Romcoms. Auch die bedienen sich aus einer Werkzeugkiste voll mit standardisierten Plots und Charakteren. Mad Max: Fury Road, eine anderthalbstündige Autoverfolgungsjagd, war einer der reduziertesten und schablonenhaftesten Actionfilme der vergangenen Jahre. Bei seiner Premiere in Cannes waren Publikum, Kritikerinnen und Kritiker begeistert.
Ein Grund für das schlechte Standing der Romcoms könnte sein, dass romantische Komödien vor allem als Frauenfilme rezipiert werden. Als chick flicks betrachten viele sie ebenso wie chick lit, also Frauenliteratur, oft als minderwertiges Kulturprodukt. Eine klischeehafte Romcom ist Schund, aber ein eindimensionaler Actionfilm kann große Kunst sein.
In jedem Fall haben Vorhersehbarkeit und Schablonenhaftigkeit ihren Reiz. Für anderthalb bis zwei Stunden weiß man ganz genau, was man bekommt. Bei der Romcom heißt das: romantische Turbulenzen mit einem guten Ende. Doch dahinter steckt mehr als Realitätsflucht. Dass es in der Romcom auch immer um ein Verhältnis zur Realität geht, offenbart ein Blick in die Geschichte des Genres.
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