Sie wollen frei sein zu reisen und zu wohnen, wo immer sie wollen: Napuli Paul Langa und ihre Mitstreiter bei einer Demonstration in Luxemburg
In dieser Nacht hält Napuli ihr Smartphone in beiden Händen, als wolle sie sich daran festklammern. Sie wischt über das Display, rauf und wieder runter. Die Hintergrundbeleuchtung strahlt auf ihr Gesicht, die wachen Augen, die streng nach hinten gebundenen Rastazöpfe. Eingepackt in eine Daunenjacke kauert sie auf der Rückbank eines Minibusses. Napuli Paul Langa fährt durch die Nacht, weil sie sich auf etwas vorbereitet, was man früher von Asylsuchenden so gar nicht erwartet hätte: einen europaweiten Flüchtlingsprotest. Der Plan der Flüchtlingsfrau, Mitte 20, aus dem Südsudan: Sie will am nächsten Tag mit Flüchtlingen aus ganz Europa bei einem Treffen der europäischen Innenminister in Luxemburg demonstrieren. Anschließend schließt sie sich den Flüchtlingen auf einem Marsch von Straßburg nach Brüssel an - fünf Wochen zu Fuß, rund 400 Kilometer, vier illegale Grenzübertritte -, um zu protestieren. Dagegen, dass Flüchtlinge in dem EU-Land bleiben müssen, das sie als Erstes betreten haben. Dafür, dass Menschen ohne Pass einen legalen Aufenthaltsstatus bekommen. Gegen Abschiebungen in Heimatländer. Für offenere Grenzen und legale Einreisemöglichkeiten nach Europa.
Nach deutschem Asylrecht darf sich Napuli eigentlich nur in Niedersachsen frei bewegen, wo sie im Juli 2012 ihren Asylantrag gestellt hat. Dort soll sie in einem Massenquartier das Ende ihres Asylverfahrens abwarten. Aber Napuli missachtete die Residenzpflicht. Sie suchte Flüchtlingsheime in Italien, in Österreich und in Holland auf, um möglichst viele Mitstreiter zu gewinnen. Und nun hockt sie im Minibus auf dem Weg zur deutsch-luxemburgischen Grenze. Grund zur Unzufriedenheit haben die Flüchtlinge seit einigen Jahrzehnten. Aber so viel Aufruhr unter ihnen wie in den vergangenen zwei Jahren war noch nie. Die Flüchtlinge treten nicht mehr bloß als Opfer in Erscheinung, als Opfer von Schleppern, von Behördenmitarbeitern und der großen Politik. Sie nehmen ihr Schicksal selbst in die Hand. „Jetzt ergreifen sie die Initiative", sagt Wolfgang Grenz, bis 2013 Generalsekretär von Amnesty International Deutschland. Er kennt die Szene sehr genau. Jahrzehnte arbeitete er im Referat für Politische Flüchtlinge. Lange setzten sich vor allem Leute wie er für die Rechte der Flüchtlinge in Europa ein. „Jetzt stehen sie selbst in vorderster Reihe."