1 Abo und 0 Abonnenten
Artikel

Green is the new black

Grün, Grüner, Flingern. Der Düsseldorfer Stadtteil besticht weder durch schöne Architektur, noch durch belebte Straßen. Trotzdem hat sich Flingern zum neuen Trendbezirk gemausert. Das Publikum ist auffallend jung und die Geschäfte lassen die Herzen umweltbewusster Großstädter höher schlagen. Vom Bio-Bäcker über handgefertigte Deko bis hin zu diversen Läden für „Organic Fashion", hat Flingern der grünen Hautevolee einiges zu bieten. Wer der Einkaufsmeile des Viertels fast bis zum Ende folgt, kommt an dem kleinen wunderwerk-Geschäft vorbei. Ein Schild mit der Aufforderung „Bitte Klingeln" und ein Pfeil, der zum nächsten Hauseingang weist, sind in der unteren Ecke des Schaufensters angebracht. Das Logo des Labels prangt in schmalen Buchstaben darüber. Klingeln ist nicht notwendig, denn die Tür steht meistens offen.

Im Laden läuft dezente Lounge-Musik. Die studentische Aushilfe Lea Kress begrüßt die eintreffende Kundschaft freundlich. Sie studiert Sozialwissenschaften und möchte sich in ihrem Nebenjob nicht nur den Geldbeutel aufbessern. Ihre Kleidung lässt sofort erkennen, dass ihr Nachhaltigkeit auch persönlich wichtig ist. Der schwarz-weiße Poncho, den sie trägt, hängt auch an der gegenüberliegenden Wand zum Verkauf. „In der Düsseldorfer Innenstadt brauche ich nicht mehr einkaufen gehen, da finde ich kaum etwas Nachhaltiges", meint Lea.

Mit den Produkten und dem Konzept von wunderwerk ist sie bestens vertraut. Das Label wurde 2012 von Heiko Wunder und Tim Brückmann gegründet. Beide arbeiteten schon vorher in der Modebranche und hatten eine ähnliche Vision: Tragbare Mode, aber bitte Öko. Also taten sie sich zusammen und bauten Schritt für Schritt das Unternehmen wunderwerk auf. „Unsere ursprünglichen Erwartungen wurden deutlich übertrumpft", erzählt Brückmann, vor allem online laufe der Verkauf gut. Heute beschäftigen er und sein Kollege zwanzig Mitarbeiter, die sich um das Geschäft kümmern. Plastik ist für Brückmann und Wunder ein rotes Tuch. Deshalb sind lediglich die Schaufensterpuppen aus Kunststoff und sollen schnellstmöglich gegen Holz-Pendants ausgetauscht werden.

Der im vergangenen Jahr gewonnene Bundespreis „Ecodesign" bestätigte das Label in seinem Kurs. „Dies ist eine der wenigen, absolut ökologischen Modekollektionen, die es in die Groß-Serie geschafft hat [...]", begründete die Jury. Durchdacht ist die Kollektion bis ins Detail. Nur in die Jeans sind zwei Prozent Elastan eingewebt, ansonsten ist die Kleidung plastikfrei. Auch auf tierische Materialien wird größtenteils verzichtet. Bei dem Einsatz von Materialien tierischen Ursprungs wird darauf geachtet, dass sie so tierfreundlich wie möglich sind. Deshalb kommen nur Bio-Schurwolle aus kontrolliert biologischer Tierhaltung (kbT) und nachhaltig gehaltene Alpakas aus extensiver Tierhaltung in Peru zum Einsatz. Die Wolle wird dann in Europa zu kuscheligen Strickjacken verarbeitet. Unter anderem in Portugal, Griechenland und Rumänien produziert Wunderwerk, einzelne Teile werden auch in Deutschland handgefertigt. Grellbunte Jeans mit einer Art Batikmuster sind die wohl auffälligsten Teile der Kollektion.

„Über zwei Jahre wurde an nachhaltigen Techniken bei der Denimentwicklung experimentiert. Die batikgefärbte Denim wurde zum Beispiel in aufwendiger Handarbeit geknotet und gefärbt, ohne schädlicher Bleichtechnik", erklärt Brückmann. „Unsere wunderwerk-Jeans kommen mit gerade mal drei bis neun Litern Wasser pro Hose aus während bei konventioneller Jeans-Produktion der Wasserverbrauch bei circa 90 bis 160 Liter Wasser pro Hose liegt." Sogar Knöpfe und Etiketten schonen die Umwelt: Die nachwachsende Steinnuss wird zu einzigartigen Knöpfen, recycelter Stoff zu Etiketten und Aufnähern.

Wie bei mehr als 3.000 anderen Betrieben weltweit, sind die Rohstoffe weitestgehend GOTS zertifiziert, erfüllen also höchste Standards für die Verarbeitung von Textilien aus biologisch erzeugten Naturfasern. Gerade betritt Nouri Rahioui den Laden. Er arbeitet seit der Eröffnung für wunderwerk und ist bis heute von dem Konzept begeistert. „Das bin einfach ich und ich glaube, dass diese Mode wirklich zukunftsfähig ist", erklärt er. Über seinen dunkelbraunen Locken trägt er eine orangefarbene Wollmütze mit dem Logo von Wunderwerk. Zwei frische Himbeer-Lassi hat er für sich und seine Kollegin Lea aus seiner Mittagspause mitgebracht. Bio, was auch sonst?

Immer mehr Konsumenten sehnen sich nach einem vermeintlich grünen Gewissen. Bei einer repräsentativen Verbraucherumfrage des Umweltbundesamtes gaben 66 Prozent der Befragten an, häufig gezielt Produkte zu kaufen, die bei ihrer Herstellung und Nutzung die Umwelt nur gering belasten. Vor der Mode macht dieser Trend nicht halt. Über hundert Labels, die ihre Kollektionen nachhaltig produzieren, gibt es bereits in Deutschland und es werden mehr. Zu den bekanntesten gehören im Moment Hessnatur und die junge Marke Armedangels aus Köln. wunderwerk nimmt sich ernst und möchte ernst genommen werden. Weil es gerade so gut läuft, sollen bald weitere Filialen in Stuttgart und Berlin eröffnet werden. „Organic hat schon lange nichts mehr mit dem Jutesack zu tun. Bei uns hat jedes Kleidungsstück eine Geschichte - es ist trendig und trotzdem grün", sagt Nouri und nimmt einen Schluck von seinem Lassi.

Zum Original