Selten waren "Mutter" und "Vater" so herrlich inszeniert wie bei ihm: Wenn Paul Bokowski aus dem Nähkästchen seiner polnischen Familie plaudert, fließen Lachtränen. In seinem neuen Buch "Bitte nehmen Sie meine Hand da weg" beschreibt Bokowski wieder einmal, wie es sich als Großstädter mit den ganz normalen, verrückten Familienangelegenheiten lebt und was sonst noch so in seinem Leben als freiberuflicher Schriftsteller passiert.
Wie etwa, wenn er Postkarten zitiert, die er an seine Schwester geschrieben hat. Der Autor, der im Berliner Stadtteil Wedding zu Hause ist, hatte sich bereit erklärt, mit seinen Eltern eine Kreuzfahrt zu machen. Nun ist es aber so, dass vor allem Rentner diese Art der Nicht-gerade-billig-Reise buchen. Bokowski erzählt also von den Versuchen seiner Mutter, so viel wie möglich am All-you-can-eat-Buffet zu essen, um wenigstens einen Teil des Geldes wieder reinzuholen. Oder wie sich Mutter, Vater und Bokowski jeden Abend völlig betrunken zu einem großen Spaziergang über das Kreuzfahrtschiff aufmachen - in der festen Überzeugung, die anderen würden diese Aktivität zu schätzen wissen. Es dauert eine Weile, bis so manche Wahrheit ans Licht kommt.
Mehr als unterhaltsam ist es auch, wenn sich Vater Bokowski widerwillig bereit erklärt, den geschenkten Computerkurs an der Volkshochschule tatsächlich mitzumachen. Eigentlich ist ihm der ganze neumodische Schabernack völlig fremd, doch auf einmal entwickelt er sich zum völligen Digitalsuchtler und meldet sich sogar im Chaos Computer Club an. Paul versteht die Welt nicht mehr. Hinzu kommt, dass selbst seine Mutter angesteckt wird und plötzlich bei Instagram täglich drei Mahlzeiten postet. Innerhalb kürzester Zeit hat sie mehr Follower als ihr Sohn. Das kann nicht mit rechten Dingen zugehen. Diese ganzen Situationen beschreibt Bokowski so urkomisch, dass man selbst sehr gern zu dieser verrückten Familie, die zwischenzeitlich einen Karpfen als Haustier in der Badewanne hält, gehören würde.
Bekannt wurde der 37-Jährige als Gründungsmitglied der Lesebühne "Fuchs & Söhne" sowie durch sein Mitwirken bei den Berliner Brauseboys, ebenfalls eine Lesebühne. Sein Debüt "Hauptsache nichts mit Menschen" war schon wahnsinnig witzig. Es folgte "Allein ist man weniger zusammen". Mit seinem nun dritten Band schafft er es, seinen eigenen erzählerischen Ton noch mehr zu finden.
Denn es ist nicht nur Bokowskis Familie, die ihm Stoff für seine Geschichten liefert. Auch auf den Buchtouren zu seinen letzten beiden Romanen sind ihm einige schräge Gestalten über den Weg gelaufen. Die Begegnungen im Zug sind dabei besonders witzig. Etwa wenn er seinen alten Freund "Dings" trifft. Leider ist ihm der Name des offenbar guten Bekannten gänzlich entfallen. Nur scheint dieser sich sehr sicher, dass Bokowski und er alte Freunde sind. Selbst als "Dings" mit ihm im Zug sitzt und aus dem Plaudern gar nicht mehr herauskommt, schaffte es der Autor, die Namenshürde irgendwie zu umgehen. Die amüsante Lösung liegt schließlich darin, dass sich Bokowski seinem Schicksal ergibt.
Und dann sind da auch noch die Nachbarinnen im Wedding, die sich lautstark von Fenster zu Fenster, über den Hof hinweg, angeregt unterhalten. Bokowski schafft es, die Berliner Schnauze einzufangen und dabei nie ins Belanglose abzudriften. Trotz der amüsanten Schilderungen bleiben die Seniorinnen wohlwollend dargestellt. Denn genau das macht Paul Bokowski als Autor aus - die Kunst, den Scheinwerfer durch Sprache humorvoll auf Alltagsbegebenheiten zu lenken. Nie stellt er seine Figuren bloß, immer sind liebevolle Beschreibungen dabei, die spüren lassen, dass Bokowski im Grunde ein Menschenfreund ist. Auch wenn er die Geschehnisse von außen betrachtet, gewährt er dennoch einen tiefen Einblick in sein Inneres und den kleinen Schelm, der in ihm wohnt.
Quelle: ntv.de
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