Mailand ist für zwei Messen berühmt: Auf der einen wird Mode präsentiert, auf der anderen Motorräder. Letztere steht nun wieder an. Auf der Eicma trifft sich, wer in der Motorrad-, Roller- und Zubehörbranche etwas auf sich hält. Auch in diesem Jahr präsentieren die Hersteller einen ganzen Fuhrpark an Neuheiten in Italien.
Zum Beispiel BMW. Die Marke wirft anlässlich des neunzigsten Geburtstags der Motorrad-Sparte mit neuen Modellen geradezu um sich. Neben dem Roadster R nineT und der Großenduro R 1200 GS Adventure steht vor allem die unverkleidete S 1000 R im Blickfeld. Ducati, seit einem Jahr in Besitz von Audi, fährt ebenfalls groß auf: Die kleine Panigale 899 und das brachiale Leichtgewicht 1199 Superleggera werden zu sehen sein, ebenso eine Monster und ein Scrambler-Prototyp.
Branchenkrösus Honda lässt nach langer Flaute wieder von sich hören, und zwar mit einer ganzen Flotte von Einsteiger-Bikes bis runter zu den 300-Kubik-Einzylindern. Gleichzeitig bedient der japanische Konzern den Premiummarkt mit dem neuen CTX1300 Cruiser, einer Kreuzung aus Goldwing und Manga-Hai.
Groß auftrumpfen will ein amerikanischer Kleinserien-Produzent: Erik Buell. Vier Jahre nach der Schließung der Buell-Werke durch die Muttergesellschaft Harley-Davidson ist der Konstrukteur mit finanzieller Unterstützung aus Indien zurück und stellt den amerikanischen Supersportler EBR 1190RX vor. Bei Preis und Leistung kann das Bike auf dem Papier durchaus mit den europäischen und japanischen Platzhirschen mithalten.
Ob das auch für die angekündigte Brough Superior gelten soll, ist eher zweifelhaft. Doch interessant klingt das Projekt allemal: Eine bisher nicht in Erscheinung getretene Firma mit Sitz in Österreich will in Mailand eine Neuauflage des britischen Kultbikes aus den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts auf den Markt bringen.
Eine Nummer kleiner
Harley stellt unterdessen flüssigkeitsgekühlte Auslassventilen im Twin-Cam-103-Motor vor, die 2014 auf den Markt kommen. Triumph wird diverse Modell-Updates präsentieren und wagt offenbar den Einstieg in eine neue Einzylinder-Klasse. Diese Pendler-Bikes der Zukunft sind inzwischen auch zu einem Markenzeichen von KTM geworden: der österreichische Hersteller zeigt in Mailand neben dem Naked Bike 1290 Super Duke R die verkleideten Modelle von 124 bis 390 Kubik. Das Unternehmen hat sich mittlerweile zu einem Global Player entwickelt und verkaufte 2012 mehr Fahrzeuge als zum Beispiel BMW.
Der Trend zum kleinen, handlichen und vor allem bezahlbaren Stadtfahrzeug ist inzwischen bei allen Herstellern angekommen. Selbst BMW, das sein Geld mit den Großenduros und über 800 Kubik verdient, investiert in "Urban Mobility". Wie Triumph, KTM und Honda haben sich auch die Münchner zu diesem Zweck mit einem Partner aus Indien zusammengetan: mit der TVS Motor Company aus Indien entwickelt BMW ein Fahrzeug in der Achtel- und Viertelliterklasse als Ergänzung zum Einstieg ins Rollergeschäft.
Zur Diversifizierung sind inzwischen alle Hersteller gezwungen. Denn der europäische Markt, so ein Piaggio-Entwickler aus Italien, "ist seit sechs oder sieben Jahren eine einzige, verheerende Katastrophe". Der Mann jammert nicht ohne Grund. Im Jahr 2006 wurden zum Beispiel in Italien - dem mit Abstand größten Zweiradmarkt in Europa - noch knapp eine halbe Million Motorräder und Roller verkauft. 2012 waren es noch rund 205.000. Europaweit sind die Verkaufszahlen in den vergangenen vier Jahren um rund ein Drittel eingebrochen.
"Raus aus dem Premium-Gefängnis"
Deutschland scheint dagegen eine Insel der Glücklichen: Die Verkäufe von Zweirädern über 125 Kubik halten sich seit Jahren konstant bei rund 110.000 Neufahrzeugen pro Jahr. Doch die Ruhe trügt für einige Hersteller. In der Bundesrepublik findet sich unter den zehn meistverkauften Fahrzeugen 2012 nur ein Roller, die Vespa GTS 300 Super. In Frankreich, Spanien, Großbritannien und Italien belegen die Scooter mindestens neun von zehn Plätzen auf der Bestsellerliste.
"Wir müssen dringend raus aus dem Premium-Gefängnis und uns um andere Märkte speziell in Deutschland und Europa kümmern", sagte ein BMW-Funktionär vor wenigen Wochen in München beim Festakt zu 90 Jahren BMW Motorrad.
Auf der Eicma hätten etablierte Marken auch die Chance gehabt, mit Elektrobikes zu überraschen. Denn die bisher führenden amerikanischen Nischenhersteller treten auf der Stelle: Von Zero sind in Mailand jedenfalls keine wesentlichen Entwicklungen in der Akku-Technologie zu erwarten, Brammo bleibt sogar ganz zu Hause. Doch während BMW mit dem 15.000 Euro teuren Elektro-Scooter C Evolution nur eine völlig unerschwingliche Maschine zeigt, wurde die Einführung der KTM Freeride aus technischen Gründen aufs nächste Jahr verschoben. Und die japanischen Hersteller, die bereits über preiswerte und verlässliche Technologien verfügen, scheuen den Angriff auf dem europäischen Markt bislang noch.