" Oh Wanderer" - mit diesen zart und tief gesungenen Worten beginnt das neue Album. Und mit ebendiesen Worten endet die Platte, die außerdem auch so heißt: Wanderer.
Es ist das zehnte Studioalbum von Chan Marshall, besser bekannt als Cat Power. Dass die Wanderschaft, der Wanderer oder die Wanderin, wenn man diese ungewohnt klingende, aber grammatikalisch korrekte weibliche Form zulassen will, Rahmen und Titel bilden, ist kein Zufall. Es ist Selbstbehauptung und Vergewisserung einer Frau, die knapp die Hälfte ihres Lebens auf der Reise verbracht hat, von einer Bühne zur nächsten, von Stadt zu Stadt, von Album zu Album. Eine Frau, die vor vier Jahren schwanger wurde und Meldungen kursieren ließ, sie werde sich niederlassen, in Australien vielleicht, Schluss machen mit dem unsteten Leben. Instabilität kennzeichnete ihr Dasein, Unsicherheit, ein Künstlerleben eben: Wird die Musik genug Geld abwerfen, verkauft sich das Album, kommen genug Menschen zum Konzert?
Wanderer nun verleugnet nicht mehr, wie ihr jede Routine im Leben gefehlt hat. Vielmehr ist es eine Ode an die Unstetigkeit, die verstetigt wird. Ein Album, das, wie die Sängerin sagt, die Reise ihres Lebens spiegele. Das ist kein besonders origineller Satz, aber er sagt doch genug: Marshall hat Stabilität gefunden. Und sie muss keine hochtrabenden Worte mehr finden, um diesen Umstand zu beschreiben. Die Musikerin hat sich mit der Wanderschaft nicht nur abgefunden, sondern angefreundet. Sie hat akzeptiert, dass sie sich nicht zur Ruhe wird setzen können, dass ihre außergewöhnliche Stimme noch zu viele Emotionen birgt, dass sie noch zu viele Geschichten zu erzählen hat, um jetzt zu verstummen.
Aber Cat Power ist nicht fertig. Sie ist nicht komplett, nicht geheilt, nicht ganz. Trotz Verstetigung scheint ihr das alles zu widerstreben, auch in einer Welt, in der self-care oder gar Selbstoptimierung hochgehalten werden und die Reise zum wahren Ich Gesprächsstoff für die Dinnerparty ist.
Wer Marshall bei einem Konzert sieht, weiß: Ihre Reise zu sich selbst wird niemals abgeschlossen sein. Nach 25 Jahren als Cat Power bewegt sie sich über die Bühne wie durch ein Haus, in dem sie schon ihr halbes Leben wohnt, dessen Zimmer sie auch im Dunkeln unfallfrei durchqueren kann. Sie bleibt eng bei sich und bei ihrer Musik, macht kleine, vorsichtige Bewegungen. Sie braucht diese suchende und unsichere, durchlässige Art, damit ihre Musik funktioniert. Zuversicht schimmert trotzdem überall durch ihr neues Album, die Platte strahlt eine fragile Sicherheit aus.
Man hört auf den elf Liedern kaum mehr als Chan Marshalls Gesang, Gitarre, Klavierklänge, ein paar Schlagzeugbeats im Hintergrund. Sehr simpel, sehr pur, meistens klar. Die Musikerin hat es nicht nötig, dick aufzutragen. Sechs Jahre ließ Marshall verstreichen, bis Wanderer fertig war. Verglichen mit dem Takt, in dem andere Künstler Alben veröffentlichen, ist das eine fast unerhört lange Zeit. Das Warten habe sich gelohnt, werden die Kritiker nun frohlocken in ihren Lobeshymnen. Chan Marshall ist eine dieser Musikerinnen, über die kaum je eine schlechte Kritik geschrieben wird und die trotzdem nie von ihren Selbstzweifeln loskommen.
Die 46-Jährige hat Wanderer selbst produziert, ein schlichtes Album im besten Sinne. Ihr eigentliches Label Matador lehnte es ab, weil es zu wenig nach Charts klang. Kurzerhand suchte sie sich eine neue Plattenfirma. Es ist ihr Werk, das Werk einer Selbstbehauptung.
Und zum ersten Mal hat sie bei Wanderer einen Manager an ihrer Seite. In einem Interview mit der New York Times erzählt sie, erst der habe ihr klargemacht, dass es nicht anmaßend sei, sich als Künstlerin zu bezeichnen; nicht abgedroschen oder peinlich, Lieder zu singen, die andere Leute deprimierend finden könnten.
Ja, Cat Power klingt nach Traurigkeit, nach schwerem Herzen, besungen mit leichter Stimme. Marshall war mehrmals in klinischer Behandlung, wegen ihres Alkoholkonsums und wegen psychischer Probleme. Ihre Grundstimmung ist die Melancholie. Das wissen die Fans, das weiß auch sie selbst. Und auf ihrem neuen Album kann man es hören; zum Beispiel beim Song Horizon, gesetzt in die Mitte des Albums:"You're on the horizon / I cannot stay / You're on the horizon / I'm on my way / You're on the horizon / I'm headed the other way." Ein Du ist am Horizont zu sehen, aber anders als im gewohnten Bild vom Horizont, an dem Hoffnung schimmert, kommt dieses Du nicht näher, im Gegenteil: Das lyrische Ich geht in die entgegengesetzte Richtung. Horizon handelt entgegen aller Erwartung nicht vom Wiedersehen, sondern vom Abschied. Es geht um das stetig wiederkehrende Adieu-Sagen einer, die weiterzieht.
Um diesen Kern des Albums herum hat Marshall zwei Songs gesetzt, die Oden an die Frau sind. Das erste ist Stay, der einzige Coversong auf diesem Album, und diesmal hat sich Cat Power keinen Klassiker von Bob Dylan oder Janis Joplin ausgesucht, sondern einen Track von Rihanna. Marshall, die sagt, so ein Cover sei ein ganz besonderes Kompliment, interpretiert das Lied gekonnt, aber belässt es im Grunde so, wie Rihanna es singt.
Und so wie Marshall dadurch Rihanna eine Ehre erweist, würdigt sie auch im zweiten Song eine weibliche Künstlerin, und zwar Lana Del Rey, mit der sie zusammen Woman aufgenommen hat. Der Song fasst das Motto von Wanderer wie kaum ein anderes Mosaikstück zusammen. Es ist ein selbstbewusstes Stiefel-Aufstampfen einer Frau, die langsam lernt, dass sie stolz auf sich sein kann:"The doctor said I was not my past, he said I was finally free", singt Marshall,"I'm a woman of my word, or haven't you heard? My word's the only thing I've ever needed." Nur ihr Wort braucht sie, ihre Stimme, wandernd durchs Leben.
Cat Power: The Wanderer (Domino)