Professor Rainer Trinczek, frisch abgetretener Dekan der Philosophischen Fakultät und Fachbereich Theologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, zieht im Interview nach zehn Jahren Amtszeit Bilanz und bezieht Stellung zur Kritik am deutschen Wissenschaftssystem.
Die letzten Jahre stand das Wissenschaftssystem als Arbeitgeber häufig in der Kritik. Ist der Berufseinstieg in der Wissenschaft inzwischen schwieriger geworden?Rainer Trinczek: Der Einstieg in das Wissenschaftssystem dürfte nicht schwieriger geworden sein. Weil sich das Drittmittelgeschäft ausgeweitet hat, gab es einen dramatischen Anstieg befristeter Arbeitsstellen, über die typischerweise der Einstieg erfolgt. Somit ist der Einstieg heute nicht schwieriger, aber es ist schwieriger geworden, auf eine unbefristete Stelle zu kommen. Wer den Einstieg geschafft hat, hatte früher bessere Chancen, im weiteren Verlauf eine Dauerstelle zu bekommen. Ich war nach meiner Habilitation glücklicherweise nur drei Monate arbeitslos, bis ich die Berufung auf eine Professur an der Technischen Universität München bekam. Als ich das erste Mal eine Dauerstelle bekam, war ich 39 Jahre alt.
Was muss sich in der Wissenschaft ändern, um bessere Arbeitsbedingungen zu ermöglichen?Es bedarf eines grundlegenden Wandels des Wissenschaftssystems. Früher wurde der größte Teil der Forschung über universitäre Haushaltsmittel finanziert. Eine Rückkehr dahin wäre wünschenswert. Drittmittel einwerben zu können, sollte den Wettbewerb fördern. Der Gedanke war folgender: Je besser und kreativer die Ideen sind, desto besser sind die Chancen, Drittmittel zu erhalten. Es fließt seit Jahren zwar immer mehr Geld in Drittmittel-Projekte, aber sie garantieren nicht unbedingt wertvolle wissenschaftliche Erkenntnisse. Außerdem verbringen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler viele Arbeitsstunden damit, Anträge für Projekte zu schreiben, die dann abgelehnt werden.
Wie gelingt es Ihrer Meinung nach, junge Personen in Deutschland vermehrt für die Forschung zu begeistern und zu verhindern, dass sie ins Ausland abwandern, wie es immer öfter der Fall ist?Es ist ja nicht nur das Ausland, in das junge Talente abwandern, sondern die Arbeitsmarktchancen sind für unsere Absolventen auch auf dem deutschen Arbeitsmarkt sehr gut. Wenn man junge Menschen im Wissenschaftssystem halten möchte, müsste man ihnen attraktivere Beschäftigungsbedingungen bieten können - und zwar nachhaltig. Gegenwärtig muss man jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eher raten, nach der Promotion die Universität zu verlassen. Eine Promotion ist immer sinnvoll und weiterführend, aber eine anschließende Habilitation führt leider oft mit Blick auf den externen Arbeitsmarkt zu einer Überqualifizierung im mittleren Alter. Das System ist tatsächlich extrem riskant.
Haben Sie Tipps für junge Forscherinnen und Forscher, wie sie nach der Promotion auch außerhalb des Wissenschaftsbetriebs Fuß fassen können?Meiner Ansicht nach muss sich die Generation Z angesichts der Entwicklung des Arbeitsmarktes keine größeren Gedanken darüber machen, dass sie adäquate Arbeitsstellen findet. Der Einstieg in den Arbeitsmarkt ist natürlich zumeist holprig. Was vorkommen kann, ist, dass unsere Absolventinnen und Absolventen in einem Bereich arbeiten werden, für den sie sich nicht explizit qualifiziert haben.
Professor Rainer Trinczek
Wie könnten die Arbeitsbedingungen an Universitäten fairer und attraktiver gestaltet werden?Was ich vor allem empfehle und wie ich es auch selbst praktiziere, ist der offene Austausch mit jungen Forscherinnen und Forschern. Wir haben in der „Arbeitsgruppe Wissenschaftlicher Nachwuchs" bereits ein paar Neuerungen auf den Weg gebracht. Eine Änderung ist beispielsweise die Erhöhung der 50-Prozent-Stellen für Promovierende auf 65 Prozent. Zudem sollen die Stelleninhaber, die aus Haushaltsmitteln finanziert werden, zuerst einen Vertrag von einem Jahr und anschließend von drei Jahren erhalten.
Oftmals liegt bei einer 65-Prozent-Stelle die tatsächliche Arbeitsauslastung des Angestellten bei 100 Prozent, auch aufgrund von vorbereitenden Tätigkeiten, die nicht vergütet, aber erwartet werden. Verlassen sich Universitäten zu sehr auf unbezahlte Mehrarbeit?Jetzt wird es interessant (lacht). Professorinnen und Professoren haben, genau wie Richterinnen und Richter, keine definierte Arbeitszeit. Bei der Frage geht es also um den Nachwuchs. Meiner Ansicht nach basiert das deutsche Wissenschaftssystem auf einer Mischung aus Selbst- und Fremdausbeutung. An manchen Fakultäten beziehen sich diese 65 Prozent ausschließlich auf tatsächlich für den Lehrstuhl oder die Fakultät geleistete Arbeit. Die Promotion ist in der Freizeit zu schreiben und wird nicht vergütet. Das grundlegende Problem besteht aber meiner Einschätzung nach darin, dass es nach wie vor so ist, dass sich die Aussichten auf eine erfolgreiche Wissenschaftskarriere insbesondere dann bessern, wenn mehr Arbeit geleistet wird.
Sie haben eine sehr erfolgreiche Karriere hinter sich. Gibt es ein Erfolgsrezept?„Erfolgreich" war meine Karriere insbesondere aufgrund der Professur, die ich bekommen habe. Das Erfolgsrezept dabei war eine Mischung aus glücklichen Zufällen, guter Betreuung und natürlich auch eigener Anstrengung. Ich persönlich hatte unheimlich viel Glück. Zufällig wurde Mitte der 1980er Jahre eine von drei Assistentenstellen am Institut frei und ich wurde gefragt, ob ich sie übernehmen möchte. Ich hatte außerdem zwei gute Betreuer. Bei jeder Laufbahn, die in eine Professur mündet, ist definitiv auch Glück dabei. Wenn Sie mich fragen, inwieweit ich mich als erfolgreichen Wissenschaftler wahrnehme, würde ich sagen: Im Vergleich zum wissenschaftlichen Ertrag meiner Kolleginnen und Kollegen, ordne ich mich im oberen Mittelfeld ein.
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