Helena Düll

freiberufliche Journalistin (helenaduell.de) , Berlin

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Als der Torero starb, hat Morrissey gelacht

Weint nicht um tote Toreros: Morrissey Foto: dpa

"Deutschland muss mit dem Erbe von einem gewissen Herrn Adolf leben. Das Vereinigte Königreich hat Thatcher, Amerika hat George W. Bush und die anderen richtigen Kriminellen, aber macht euch deshalb keine Sorgen." Denn Berlin hat einen Morrissey, der solche Dinge anspricht.

Rund 4000 Zuschauer warteten im ausverkauften Tempodrom auf den Beginn des einzigen Deutschlandkonzerts der wichtigsten und zugleich streitbarsten Figur der britischen Indie-Musik. Eine Leinwand hängt auf der Bühne. Darauf zu sehen ist die Schauspielerin Renée Falconetti als Jungfrau von Orleans - in Schwarz-Weiß.

Bevor Morrissey selbst die Bühne betritt, laufen zunächst Videos seiner Ikonen: die Ramones, Alice Cooper oder die New York Dolls eröffnen damit quasi sein Konzert. Die amerikanische Poetin Anna Sexton - wieder in einer Schwarz-Weiß-Aufnahme - trägt auf der Leinwand ihr verstörendes Gedicht "Wanting To Die" vor.

Vielleicht sein letztes Konzert

Als Morrissey endlich auftritt, trägt er passenderweise Schwarz. Ein Gongschlag leitet das Konzert ein. Der Sänger wechselt erst zur einzigen Zugabe, nämlich "Irish Blood, English Heart", das Hemd. Bei diesem trägt er Hellblau. Der 57-Jährige sieht überraschend gut aus - sein Krebsleiden hat seinen Körper noch nicht sichtbar gezeichnet.

Es könnte sein, dass seine treuen Fans - die vor allem in den ersten Reihen jedes Wort ihrer Ikone mit dem ausgestreckten Mittelfinger untermauern - das letzte Mal zu Morrissey gepilgert sind. Gerüchte besagen, es könne sich um eine Abschiedstournee handeln. Vor rund eineinhalb Jahren bestätigte der Künstler, dass er wegen Krebs behandelt worden sei.

Morrissey bleibt trotzdem souverän und vor allem kompromisslos, auch an diesem Abend. Früher beschimpfte er seine Kollegen. Den Sänger von The Cure, Robert Smith, nannte er einen "whingebag", was in etwa eine Mischung aus Heulsuse und Nervensäge ist. In den 80ern forderte er den Kopf von Margaret Thatcher.

Nackte Menschen und Schlachthäuser

Trotzdem oder gerade deshalb ist der Personenkult um ihn ungebrochen. Der ehemalige The-Smiths-Sänger flirtet lasziv mit dem Publikum, sucht immer wieder dessen Nähe und lässt die Hüften schwingen. Dazu sieht man auf der Leinwand schöne, nackte Menschen.

Aber Morrissey wäre nicht Morrissey, wenn es bei so freundlichen Bildern bleiben würde. Und so sind im Laufe des Abends viele, teils schockierende Videos zu sehen: (tödlich endende) Polizeigewalt gegen Afroamerikaner, die an Grausamkeit kaum zu ertragen ist, die britischen Royals und natürlich Schlachthäuser.

Besonders Morrisseys militantes Vegetariertum polarisiert wie kaum ein anderes Thema. Während sich einige Menschen schwören, nach diesen Bildern nie wieder in ein Stück Fleisch zu beißen, denken andere schon wieder an den Döner auf dem Heimweg.

Die Hallen werden kleiner, die Stimme bleibt klar

Bevor er zur Halbzeit seines Auftritts "The Bullfighter Dies" singt, sagt Morrissey, dass er, als er vom Tod des Toreros im spanischen Teruel hörte, mit einem herzlichen "Hahaha" reagierte. Hört man, mit welcher Leidenschaft er das "Hooray" daraufhin schmettert, bleibt daran kein Zweifel.

Ebenfalls kein Zweifel bleibt an der Stimme. Die ist fein, glasklar und bleibt das auch über die gesamten eineinhalb Stunden hinweg. Ein Altern ist nicht zu hören. Mit "What She Said" und "Meat Is Murder" singt er damit nur zwei Songs seiner alten Band The Smiths.

Inzwischen sind die Hallen zwar kleiner geworden, in denen Morrissey spielt. Doch vielleicht ist das ein Gewinn für diesen leidenschaftlichen Musiker. Gerade weil er mit seinen Themen jeden einzelnen Zuschauer tief im Inneren berühren will. Das braucht Intimität.

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