Hanns-J. Neubert

Wissenschafts- & Technikjournalist, Autor, Hamburg

10 Abos und 6 Abonnenten
Text

Wir müssen drüber reden, wie KI menschlich und intelligent wird

Beim unaufhaltsamen Aufstieg der Künstlichen Intelligenz bleibt vieles auf der Strecke, was sich eines Tages gegen sie kehren könnte. Es hilft nichts: Wir müssen reden.


"Künstliche Intelligenz (KI) ist zu einem neuen Megatrend der Digitalisierung geworden", schreibt Dirk Schrödter, Chef der schleswig-holsteinischen Staatskanzlei, in seinem Vorwort zur zweiten Auflage der KI-Strategie der Landesregierung.

KI ist aber nicht mehr nur ein "Megatrend". Sie ist das Rückgrat für wissenschaftliche Durchbrüche und Unternehmenswachstum. Sie könnte helfen, globale und regionale gesellschaftliche Probleme zu lösen – wenn die Menschheit dafür bereit wäre.

[...]

Diese generativen Sprachmodelle, die scheinbar in Sekunden auf alles eine Antwort haben, können das nur, weil sie von Texten gelernt haben, die Menschen schrieben. Ihre Fähigkeiten haben sie von all denen geraubt, die ihre Schriftwerke dem Internet anvertrauten, seien es Zeitungsberichte, Blog-Artikel, Kommentare in den sozialen Medien oder wissenschaftliche Forschungsarbeiten. Eine Vergütung zahlen sie den Urhebern nicht. Doch der Konflikt um die faire Nutzung von Text-, Bild-, Ton- und Computercode-Autoren beginnt bereits. Medienhäuser und Urheber sind dabei, OpenAI, das Unternehmen hinter ChatGPT, zu verklagen.

Allerdings könnte die Qualität der großen Sprachmodelle sowieso schon angezählt sein. Immer mehr Netzinhalte, aus denen sich die Trainingsdaten speisen, werden mit Hilfe von ChatGPT erstellt. So können Sprachmodelle zunehmend nur das lernen, was sie vorher selbst geschrieben haben. 

[...]

Der Kieler KI-Experte Maximilian Middeke, CEO von Quantitative Semantics, bemängelt denn auch: "Wir entwickeln jetzt autonome Systeme, und wenn wir diese nicht so entwickeln, dass sie den Menschen dienlich sind, wenn die Anreizstruktur sich nicht am Menschen orientiert, sondern zum Beispiel an der Kapitalmehrung, dann werden wir uns in ein paar Jahrzehnten umgucken, wo wir gelandet sind."

[...]

In der Tat sind aber schon Millionen neuer KI-Arbeitsplätze entstanden. Denn künstliche Intelligenz ist im Grunde weder intelligent noch künstlich. Sie braucht viele Menschen, um überhaupt funktionieren zu können – aber nicht nur gut bezahlte Wissenschaftler, Forscher und Ingenieure.

Die meisten neuen KI-Arbeitsplätze entstanden nämlich im Schatten des KI-Hype: Millionen Clickworker überall auf der Welt überprüfen nämlich die Daten, auf der die Intelligenz der Maschinen beruhen. Sie ordnen Begriffe oder Sätze in Sinnzusammenhänge, markieren per Click anstößige Wörter oder Bilder, kennzeichnen Krankheitsbilder in medizinischen Aufnahmen oder Fehler in Werkstücken. Oft sind es sogar psychisch belastende Arbeiten. Ihre Löhne liegen jedoch weit unter allen gesetzlichen Mindestlöhnen, mitunter sind es nur 1,20 Euro in der Stunde. In Finnland beauftragen KI-Startups in Ermangelung von ausreichend Finnisch sprechenden Menschen inzwischen sogar Gefängnisinsassen mit diesen Arbeiten – für 1,50 Euro pro Stunde.

[...]

Die Bundesregierung will in einem ersten Schritt ihre Verwaltungen zumindest mit Chatbots und KI-Sprachmodellen aufpeppen. Auf der Kabinettsklausur Ende August ließ sie sich dazu von Experten beraten. Die aber warnten, wie das Online-Magazin Netzpolitik.Org berichtete: "Der Einsatz von KI-Systemen könnte teuer, intransparent und riskant sein."

Den Verwaltungen fehle nämlich schlichtweg die Datengrundlage, so der OpenData-Aktivist und IT-Sicherheitsexperte Markus Drenger gegenüber dem Magazin. Denn dazu müsse jede zu digitalisierende Leistung in Zahlen erfassen werden, um die Qualität und Geschwindigkeit von Verwaltungsprozessen messbar zu machen.

[...]

Der Aufstieg des Internet ab den 1990er Jahren hat wenige Unternehmen und deren Besitzer und Teilhaber unendlich reich gemacht, reicher als manche Staaten. Die Schere zwischen Arm und Reich ist heute so weit aufgerissen, wie seit dem Mittelalter nicht mehr. Nicht ausgeschlossen, dass die KI-Revolution die Wohlstandsunterschiede noch einmal mehr verstärkt.

Denn nur wenige Unternehmen, wie Google, Amazon, Meta oder Aliyun, verfügen über die schnellen Rechner, die gewaltigen Speicherkapazitäten und die riesigen Datenmengen, ohne die KI nicht laufen würde. 

[...]

In ihrem Fünf-Punkte-Programm "Künstliche Intelligenz für Umwelt und Klima" zeigt sich die Bundesregierung zwar überzeugt, dass KI mit Umwelt und Gemeinwohl vereinbar ist, beides sogar fördern und befruchten kann, doch allein es fehlen die Daten, die das belegen.

Die Debatte hat gerade erst begonnen. Es wäre zu wünschen, dass KI-Forscher, -Entwickler und -Nutzer diese Themen selbst tief genug reflektieren und sich den Fragen der Gesellschaft offen stellen, die früher oder später auf sie zukommen werden. Der Versuch, nur Akzeptanz für KI zu generieren, die Menschen zu überzeugen, ist langfristig wahrscheinlich nicht unbedingt zielführend.

Den vollständigen Artikel kostenlos lesen bei ME2BE, dem Berufsorientierungsportal für junge Menschen in Schleswig-Holstein und Hamburg.