Hanns-J. Neubert

Wissenschafts- & Technikjournalist, Autor, Hamburg

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Artikel

Wer nicht fragt, bleibt dumm

Politiker wie Forscher reden gern darüber: Dialog mit der Gesellschaft. Doch dann entscheiden sie, bevor sie reden. Journalisten dagegen realisieren den Dialog mit der „Wissenschaftsdebatte".

Das war ein langweiliger Bundestagswahlkampf. Wen wundert es. Es hat ja auch keiner Fragen gestellt. Auch nicht die Journalisten, Wissenschaftsjournalisten eingeschlossen. Kein Nachbohren, keine Konfrontation, keine Recherche auf der Suche nach „hidden agendas". Vielleicht müssen Journalisten wieder lernen, wie und was man fragt. Wissenschaftsdebatten wären da gute Stichwortgeber. „Forschung und Innovation (müssen) in die Mitte der Gesellschaft gerückt werden", sagte Bundesforschungsministerin Johanna Wanka im März. Die Manager und Organisatoren in den großen Forschungseinrichtungen werden nicht müde, ähnliche Sätze dauernd zu Protokoll zu geben. In der Praxis will man aber Bürger dazu bewegen, bereits beschlossene und finanzierte Forschungsziele und -programme zu akzeptieren. Mittel zum Zweck sind da auch Bürgerdialoge, die immer erst dann veranstaltet werden, wenn Entscheidungen schon getroffen sind. Das will die Kampagne „Wissenschaftsdebatte" ändern, ein Projekt von Wissenschaftsjournalisten. Anstatt Forschung und Innovation in die Gesellschaft zu holen, will sie die Gesellschaft in die Mitte der Wissenschaft rücken. Wissenschaft kann nämlich mehr als nur technische Lösungen erforschen. Sie ist auch eine kulturelle Aktivität und kann Wissen und Einsichten liefern. Es ist deshalb naheliegend, auch mal die Menschen zu fragen, wie sie sich ihre Welt vorstellen, und nicht immer nur die Experten, hinter denen sich Politiker auch gerne verstecken. Genau das ist das Ziel von Veranstaltungen der „Wissenschaftsdebatte". Damit kommt auch ein vernachlässigter Aspekt des Journalismus wieder zum Tragen, die Moderation. Originäre Aufgabe eines guten Journalismus ist es schließlich auch, die Fragen der Zuschauer, Zuhörer und Leser aufzunehmen und in Politik, Wirtschaft, Sport und Wissenschaft Antworten einzufordern, die medial wieder zurückgespielt werden. Im Programm des Verbandes von Wissenschafts- und Technikjournalisten TELI heißt es: „(Heute) gewinnt journalistische Arbeit eine zusätzliche Dimension: Die Neugestaltung sozialer Verhältnisse in Arbeit und Gesellschaft setzt voraus, dass breites, allgemeines Grundverständnis und Möglichkeit und Bereitschaft zu offener Auseinandersetzung zusammentreffen - zwei Forderungen, die einen offenen Meinungsprozess im besten journalistischen Sinne voraussetzen und die selbst Maßstäbe verantwortungsvoller und wirksamer journalistischer Arbeit bilden." In die Praxis übersetzt: Wissenschaftsjournalisten organisieren eine Debattenveranstaltung für Bürger. Hier treffen eingeladene Wissenschaftler oder auch Forschungspolitiker unterschiedlicher Lager aufeinander, um ihre konträren Auffassungen zu verteidigen. Die Journalisten fungieren als unparteiische Moderatoren, die auch dafür sorgen, dass die Zuhörer zu Wort kommen. Für die Wissenschaftsressorts ist bereits so ein Ereignis an sich berichtenswert, das Ergebnis sowieso. Weil hier auch Bürger sprechen, eröffnen sich den moderierenden Journalisten durchaus neue Blickwinkel für ihre Routineschreiberei. Auf dem Internetportal Wissenschaftsdebatte.de weitergeführt, kann so eine Veranstaltung einen steten Strom weiterer Fragen und Geschichten generieren. Die „Wissenschaftsdebatte" ist ein Werkzeugkasten für gesellschaftlich relevanten, nachforschenden und transparenten Wissenschafts- und Technikjournalismus jenseits elitärer Pressekonferenzen und klandestiner Hintergrundgespräche. Sie ist gleichzeitig aber auch ein demokratisches Instrument bürgerlicher Mitwirkung - ein ureigenes journalistisches Anliegen.

Hanns-J. Neubert arbeitet als freier Wissenschaftsjournalist in Hamburg neubert@sciencecom.eu

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