Hanna Silbermayr

Freie Auslandsjournalistin, Caracas

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Radio FM4 - Online (5)

Tijuana, Mexiko. In der Ferne, aus dem Eingang zur kleinen Kunstpassage, erwächst die Silhouette eines Mannes. Der Sombrero wippt beim Gehen leicht auf und ab. Langsamen Schrittes schleicht Willy die Passage entlang. Wie ein Roboter setzt er vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Plötzlich macht der großgewachsene Mann mit den rotblonden Haaren Halt, biegt ruckartig nach links ab und verschwindet in einem der Lokale.

Von einem Moment zum nächsten herrscht reges Treiben. "Mister Willy geht schlafen", erklärt ein etwas verwirrt wirkender Mexikaner, während er einen Stuhl ins Lokal schiebt. Zwei andere tragen den Tisch weg. Dann ziehen sie die Rollläden herunter und versperren die Tür. Es ist drei Uhr nachmittags.

Sieht man den alten Mann zum ersten Mal, so möchte man glauben, er wäre einem Film entsprungen. Diese Idee liegt gar nicht so fern. William Clauson ist der Sohn schwedischer Einwanderer in den USA und stand schon als Kind in Hollywood vor der Kamera. Mit sieben Jahren fing er an, Musik zu machen, mit zehn gewann er den Titel des "All American Boy" im legendären Hollywood Bowl, dem größten natürlichen Amphitheater der Welt. Irgendwann begann er, sich der Welt vergessener Lieder zu widmen. Er suchte sie, schrieb sie um, und hauchte ihnen neues Leben ein. So ist seine Geschichte unweigerlich mit der Geschichte eines Liedes verwoben: "La Bamba".

Die Geschichte des Liedes ist tragisch. Im Jahr 1959 kam der 17-jährige Sänger Ritchie Valens bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Nur kurz vorher war er mit seiner Musik bekannt geworden. Er hatte der lateinamerikanischen Volksmusik mit "La Bamba" den Weg in die US-amerikanischen Charts geebnet. Sein Tod bereitete seiner Karriere ein frühes Ende. Dreißig Jahre später wird Ritchies Geschichte verfilmt.

William Clauson ist zu diesem Zeitpunkt bereits ein anerkannter Folk-Musiker. Als man Ritchie Valens 1987 mit dem Film "La Bamba" ein Denkmal setzt, ist es William Clauson, der dafür die Version des Liedes schreibt, die heute in aller Welt bekannt ist. "Das ist ein typisches Lied aus dem Bundesstaat Veracruz in Mexiko. Ich habe es etwas abgeändert, damit es auch international verständlich wird. Heute ist diese Version bekannter als das Original", erklärt der inzwischen 81-Jährige die Entstehung des Welthits, der von Los Lobos für den Film aufgenommen wurde.

Es ist nicht nur „La Bamba", das er wiederbelebt hat. Auch die weltweit bekannte Version des Kirchenlieds „He's got the whole world in his hand" stammt aus seiner Feder. In Australien hat er unzählige traditionelle Lieder wiederentdeckt und als einer der ersten Musiker neu aufgenommen. Er gilt als Vermittler zwischen unterschiedlichen Kulturen, macht Altes zu Neuem.

Heute lebt William Clauson in Tijuana. Hier kennt man ihn einfach nur unter dem Namen "Mister Willy". In der Kunstpassage nahe der Touristenmeile besitzt er ein kleines Lokal, das er sein "Museum" nennt. Es sieht aus wie ein Trödelmarkt, überall an den Wänden hängen alte Fotos, am Boden stapeln sich Schallplatten. Der Mann, dessen Mund beinahe immer eine Zigarre schmückt, wirkt darin fast unscheinbar. Warum er ausgerechnet in Tijuana lebt? "Das erste Mal kam ich mit meinen Eltern in diese Stadt. Von Anfang an faszinierten mich all die Farben, die Musik, die Menschen. Jetzt lebe ich seit zwanzig Jahren hier." Immer wieder bekommt er Besuch von Touristen, die auf der Suche nach Antiquitäten sind oder einfach nur den grandiosen "Mister Willy" kennenlernen wollen.

William Clauson war schon immer auf der Suche nach dem Alten. Er hat in seiner Musik vergessene Lieder wiederbelebt, sie in aller Welt bekannt und einem breiteren Publikum zugänglich gemacht. Heute ist er selbst alt, doch sein Museum zeugt von glorreichen Jahren: eine goldene Schallplatte an der Wand über dem Schreibtisch; ein Anerkennungsschreiben der UNO gleich neben dem Eingang zu seinem kleinen Lokal und Fotos aus aller Welt, die den alten Mann in jungen Jahren mit Musikerlegenden zeigen. Es ist "Mister Willy", der gegen das Vergessen kämpft. Und so mancher Eintrag in einem Forum im Internet zeigt, dass man auch ihn und sein Lebenswerk noch nicht ganz vergessen hat.

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