"Als Krankenwagenfahrer habe ich in Syrien einiges erlebt," sagt Omar Alshakal. "Aber das hier habe ich nicht für möglich gehalten." Als einer der letzten humanitären Helfer auf der griechischen Insel war der 26-jährige Syrer die ganze Nacht im Einsatz, wieder einmal.
Am Montag war ein Feuer im Flüchtlingslager Moria ausgebrochen. Ein sechsjähriges Mädchen kam dabei ums Leben. Eine Stunde dauerte es, bis die Feuerwehr das Feuer löschen konnte. Danach, sagt Alshakal am Telefon, habe er in einem der abgebrannten Container gestanden und den Körper des verbrannten Kindes in eine Decke gewickelt.
Bis in die frühen Morgenstunden suchten Dutzende Bewohner des Lagers einen sicheren Ort zum Schlafen in den umliegenden Feldern. Noch immer ist die Brandursache nicht geklärt. Die meisten Betroffenen haben durch den Brand alles verloren, sagt Alshakal, der die Nichtregierungsorganisation Refugee 4 Refugees gegründet hat. Seitdem hilft er den Menschen, verteilt etwa Sommerzelte und Schlafsäcke an jene, deren Behausung abgebrannt ist.
Schon seit Jahren brennt es immer wieder in dem überfüllten Flüchtlingslager. Erst im vergangenen September starb eine afghanische Mutter bei einem Feuerausbruch in ihrem Container. Eine kaputte Glühbirne auf einem Stromkabel löste damals das Feuer aus. In den vergangenen Wochen wurden zudem das Transitlager des UNHCR und eine Schule auf dem Gelände des Gemeinschaftszentrums One Happy Family niedergebrannt, vermutlich von rechtsradikalen Gruppierungen.
Für die 19.400 Menschen, die derzeit in dem Lager Moria unter sehr prekären Bedingungen leben, gibt es keine Fluchtwege, keine Brandmelder und keine Feuerlöscher. Auf dem kahlen Feldboden stehen die Zelte dicht an dicht, einige wurden auch auf ausrangierten Gemüsekisten oder Pappkartons platziert. Für die Menschen, die zum Teil schon seit Jahren auf Lesbos ausharren und auf den Entscheid ihres Asylantrags warten müssen, wird ein Feuer zum erneuten Fluchtgrund. Doch runter von der Insel können sie nicht.
Und die Lage wird für die Menschen, die in Moria festsitzen, immer bedrohlicher.
"Das nächste Feuer wird wahrscheinlich Corona sein," sagt Erik Marquardt, migrationspolitischer Sprecher der Grünen Fraktion im Europaparlament. Marquardt ist seit mehreren Wochen auf Lesbos, um die Situation zu beobachten. "Alle sprechen über Isolierung, Händewaschen und Quarantänemöglichkeiten, darüber, wie die Ausbreitung des Virus eingedämmt werden kann", sagt er. "Doch niemand denkt daran, dass es auch diese Menschen treffen wird."
Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen verteilt Flugblätter auf Farsi und Arabisch, um die Flüchtlinge über Schutzmaßnahmen aufzuklären. Eine ehrenamtliche Gruppe von Lagerbewohnern und verbliebenen humanitären Helfern zeichnet unter dem Motto "Standing Together against Corona" Schilder mit Tipps zum Händewaschen und verteilt Desinfektionsmittel und Schutzmasken. Doch von offizieller Seite werden keine Maßnahmen ergriffen, um die Menschen zu evakuieren oder zumindest die Ansteckungsgefahr im Falle eines Ausbruchs zu verringern.
"Es ist verantwortungslos, 20.000 Menschen in einem Ort leben zu lassen, der für 3.000 Menschen gedacht ist," sagt Marquardt.