Seit drei Jahren ringen die EU-Staaten um eine einheitliche neue Datenschutzrichtlinie - zum Ende des Jahres soll die Reform stehen. In Deutschland regeln Allgemeine Geschäftsbedingungen den Umgang mit Daten. Das einzige Problem: Sie liest niemand.
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Gutes WLAN ist schwer zu finden, okay. Aber würden Sie für kostenloses WLAN ein Kind abgeben? Eine Londoner Sicherheitsfirma hat im vergangenen Jahr ein Experiment gestartet. Sie versprachen ihren Kunden ein kostenloses WLAN, dafür mussten sie nur die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) akzeptieren. Der Clou: In den Geschäftsbedingungen stand, dass man im Gegenzug seinen Erstgeborenen an die Firma abtreten würde. Falls es keine Kinder gibt, wird stattdessen das Haustier übertragen. Natürlich wurden die Geschäftsbedingungen munter akzeptiert. Klar, weil niemand sie gelesen hat.
Eine Studie des Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI) hat den Umgang der Internetznutzer mit den Allgemeinen Geschäftsbedingungen erforscht. Fragt man Nutzer, wie sie ihr eigenes Verhalten einschätzen, so sind 90 Prozent davon überzeugt, dass die meisten die AGB ignorieren oder nur grob überfliegen.
Allgemeine Geschäftsbedingungen verändern gegenüber dem Gesetz die Risikoverteilung und Haftung häufig zu Gunsten des Anbieters und erleichtern diesem die Vertragsabwicklung. Der Unternehmer kann dadurch einseitige oder überraschende Regelungen gegenüber einem Verbraucher durchsetzen, beispielweise die stillschweigende Vertragsverlängerung, bei der sich ein Vertrag automatisch verlängert, sofern er nicht fristgerecht gekündigt wurde. Oft rechtfertigen Unternehmen in den Geschäftsbedingungen auch Preis- oder Leistungsänderungen innerhalb der Vertragsdauer.
Damit AGB in einem Vertragsverhältnis Gültigkeit erlangen, müssen sie laut dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) in den Vertrag einbezogen werden. Bedingungen dafür sind ein ausdrücklicher Hinweis auf die AGB, die Möglichkeit der Kenntnisnahme und das Einverständnis der Vertragspartei. Alleine in den vergangenen zwei Jahren wurden 62 Urteile gegen nicht-rechtmäßige Geschäftsbedingungen gesprochen, wie eine Liste der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (vzbv) zeigt. Mit von der Partie sind auch große und bekannte Anbieter wie iTunes, TUI und Sky.
Wer die AGB ohnehin nicht liest, der weiß auch nichts von kritischen Inhalten. Würden wir hingegen alle AGB lesen, denen wir tagtäglich zustimmen, bräuchten wir dafür 76 Arbeitstage. De facto sind das zweieinhalb Monate und insgesamt 684 Stunden Lesezeit. Darauf hat der Großteil der Nutzer keine Lust: 61 Prozent der User ignorieren die AGB oder überfliegen sie nur, bevor sie zustimmen. "Diese Zahl ist nicht überraschend, da die AGB im Regelfall so formuliert sind, dass dem Nutzer nach kurzer Zeit die Luft ausgeht", sagt Helke Heidemann-Peuser von der vzbv gegenüber dem stern.
Der britische Spielehändler Gamestation hat diese Tatsache für einen Aprilscherz mit Folgen genutzt. Wer am 1. April 2010 bei dem Unternehmen einkaufte, übergab damit die Besitzrechte an seiner unsterblichen Seele. Fast 90 Prozent der Käufer stimmten den Vertragsbedingungen zu: 7500 Seelen wechselten so den Besitzer. Gamestation erklärte im Anschluss, die Rechte an den Seelen seiner Kunden nicht ausüben zu wollen. Den Käufern würden E-Mails zugesandt, die die bisherigen Eigentumsverhältnisse an den Kundenseelen widerherstellten. April, April - Glück gehabt.
Vor allem Personen unter 25 Jahren treffen laut DIVSI besonders häufig die Entscheidung, die AGB nicht aufmerksam zu lesen. Wirklich überraschend ist das nicht. Heidemann-Peuser sieht das Problem des Länge als entscheidend an: "Junge Leute nutzen zunehmend Smartphones zum Bestellen, deshalb müssten AGB in ihrer Länge auf das Medium abgestimmt sein." Die AGB von Paypal, einem Bezahlungsdienst, der vielfach für App-Käufe genutzt wird, sind 200 Seiten lang. Dazu kommen 42 Seiten der aktuellen Änderungen. 242 Seiten Geschäftsbedingungen auf dem Smartphone lesen um mir eine App kaufen zu können? Och nö.
Fast drei Viertel aller Nutzer sind der Meinung, AGB seien fast immer so lang und kompliziert, dass man sie gar nicht komplett lesen und verstehen könne. Die Deutsche Bahn ist dafür ein gutes Beispiel: 172 Seiten sind die Allgemeinen Geschäftsbedingungen lang. Unzumutbar. Wo man doch nur mal eben eine Fahrkarte auf dem Handy kaufen will, weil der Zug in fünf Minuten fährt. Einfach zustimmen, fertig.
"Die Unternehmen sollten für mehr Transparenz sorgen, die AGB sind oft regelrechte Romane ohne sinnvolle Unterteilung, mit zahlreichen Querverweisen und Überschneidungen. Zudem muss die Lesbarkeit verbessert werden und an der Verständlichkeit gearbeitet werden", sagt Heidemann-Peuser. Im Umkehrschluss bedeutet das Ignorieren der AGB nämlich, dass die Nutzer gar nicht wissen, was mit ihren Daten passiert. Der Verbraucherschutzbund warnt davor: "Vor allem im Datenschutzbereich sollte generell vorher geschaut werden, was man unterschreibt. Denn wenn die Daten erst einmal weitergegeben wurden, ist es meist zu spät." Zwei Drittel der Befragten denken aber ohnehin, dass kein Nutzer wirklich überprüfen könne, ob die AGB letztendlich eingehalten werden. Selbst wenn er sie akzeptieren würde.
Theoretisch besteht natürlich die Möglichkeit, den AGBs nicht zuzustimmen. Dann kann man allerdings auch den jeweiligen Dienst nicht nutzen. 83 Prozent der Nutzer finden daher, dass man in seiner Entscheidung nicht frei sei. Laut Heidemann-Peuser muss der Nutzer verstärkt nach Alternativen suchen: "Der Nutzer sollte sich nach Konkurrenzangeboten mit besseren Bedingungen umsehen. Meist sind AGB gegliedert, sodass er gezielt nach für ihn wichtigen Kriterien suchen kann."
Auch in Zukunft werden Anbieter laut Heidemann-Peuser weiterhin versuchen an die Grenzen des Zumutbaren zu gehen, um Verbraucher an sich zu binden und Bestes herauszuschlagen. "Es werden weiterhin AGB verwendet werden, ob notwendig oder nicht, denn das Gesetz regelt bereits einen Großteil der Vertragsbindung."
Die etwas anderen AGBDie Firma Winkelmann und Hinkeldein GbR hat statt AGB mit den Worten "Wir glauben eigentlich nicht an Allgemeine Geschäftsbedingungen" kurzerhand die womöglich besten AGB der Welt verfasst. Unter anderem steht dort drin, dass Rechtsstreitigkeiten zwischen den Kunden und dem Salzprojekt per Duell beigelegt werden sollen. Bei Streitwerten von unter 25.000 Euro sei die Wahl der Waffen dabei auf zwei reduziert: eine Wasserpistole oder Seifenblasenpustefix. Ganz ohne Klauseln kommt aber auch diese Firma, die unter anderem Salz und Olivenöl verkauft, nicht aus. Die rechtlichen Bedingungen für Rückgabe und Erstattung sind separat geregelt. Dennoch sind das endlich Geschäftsbedingungen, die es sich zu lesen lohnt.
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