Die Tür geht auf. Dahinter steht eine zierliche Frau mit kurzen Haaren und einer Brille. Sie lächelt kurz. Dann folgt eine Begrüßung auf Schweizerdeutsch. Sie bittet hinein in die Wohnung, fragt nach Getränkewünschen und nimmt am großen Esstisch Platz.
Fremde Leute in ihrer Wohnung in Tägerwilen zu begrüßen ist für Ursula Werner nichts Neues. Denn sie ist als Gastgeberin bei Couchsurfing aktiv. Regelmäßig bietet die 58-Jährige Reisenden einen kostenlosen Schlafplatz an. Menschen aus aller Welt, die sie vorher noch nie im Leben gesehen hat. "Nach einer Minute ist man sich nicht mehr fremd", sagt Werner.
Das Prinzip von Couchsurfing ist einfach: Die Nutzer sollen Länder auf der ganzen Welt kennenlernen, ohne für die Übernachtungen bezahlen zu müssen. Die ursprüngliche Idee war es, dass die Reisenden bei ihrem Gastgeber auf dem Sofa (Couch) übernachten - und so für wenig Geld durch die Städte und Länder der Welt "surfen". Daher der Name der Plattform. Seit 2003 gibt es sie. Die Mitglieder nutzen dabei eine Website, um ihre kostenlose Unterkunft auf Reisen zu finden. Gastgeber bieten ihre Unterkunft dort an oder erklären sich bereit, Reisenden ihren Wohnort zu zeigen.
Mauricio Correa aus Chile zum Beispiel sucht nach einem Schlafplatz in Konstanz. Er schreibt, dass er mit einem Arbeits- und Urlaubsvisum nach Deutschland kommen will. Nach ein paar Tagen in Berlin soll es für ihn weiter nach Konstanz gehen. "Ich plane, dort für ein paar Monate zu bleiben", schreibt der Chilene. Daher sucht er von Januar bis Mai eine Unterkunft in Konstanz.
Einen ganz ähnlichen Fall hat Maike Franzen bereits erlebt. Die 54-Jährige ist seit einem Jahr als Gastgeberin auf der Plattform registriert. Im Oktober vergangenen Jahres kam dann ein Südamerikaner zu ihr. "Er hatte einen italienischen Pass und ist durch das ganze Land gereist", erinnert sich Franzen. Sein Plan war damals schon, in Deutschland Fuß zu fassen. Doch er wusste noch nicht genau, wohin er wollte.
Nach ein paar Tagen bei Franzen in Konstanz bot sie ihm an, er könne länger bei ihr bleiben. Das war auch praktisch für Franzen - wenn sie im Urlaub war, konnte er die Blumen gießen und sich um die Katze kümmern. Daraus wurden insgesamt drei Monate. "Irgendwann war es dann ein richtiges WG-Leben", sagt Franzen.
"So kommen die verschiedenen Länder zu mir ins Haus"
Normalerweise bleiben Gäste allerdings nur ein bis zwei Nächte in ihrem Gästezimmer im Konstanzer Paradies. Mittlerweile hat Franzen etwa sieben Fremde bei sich aufgenommen, seit sie sich bei Couchsurfing registriert hat. Damals hatte ihre Tochter das Haus verlassen, um auf Weltreise zu gehen. "Ich fliege aus ökologischen Gründen nicht mehr", sagt Franzen. "Aber so kommen die verschiedenen Länder zu mir ins Haus."
Besonders gerne erinnert sie sich an eine Lehrerin aus Hongkong, mit der sie sich super verstanden habe. "Ich hatte so viel Spaß mit ihr", erinnert sich Franzen. "Wir haben über die gleichen Dinge gelacht, obwohl wir aus so unterschiedlichen Kulturen stammen." Unterhalten haben sich die beiden auf Englisch.
Um Englisch zu lernen, hat Ursula Werner sich im November vergangenen Jahres auf Couchsurfing registriert. Zu dieser Zeit hatten sie und ihr Mann ihren Bauernhof in Tägerwilen aufgegeben. "Ich hatte Angst, dass ich in ein Loch falle", erinnert sich Werner.
Also meldete sie sich zu einem Englisch-Kurs an. Und damit kam dann auch die Idee für das Couchsurfing, auf das sie über einen ihrer Söhne aufmerksam geworden ist.
"Ich bin froh, wenn ich Englisch sprechen kann", sagt Werner. Anfragen bekommt sie aus der ganzen Welt - Marokko, Kolumbien, Thailand, England, Irland, Frankreich, aber auch Deutsche wollen bei der Schweizerin übernachten. Wie viele Anfragen sie schon bekommen hat? Werner schnaubt, überlegt. "Also 50 waren es bestimmt", sagt sie. Viele der Reisenden waren junge Leute, überwiegend Studenten. Das gefällt Werner: "Es sollen junge Leute sein, die das Geld für ein Hotel nicht haben."
Wenn es nach Maike Franzen ginge, würde sie auch gerne mal Leute in ihrem Alter aufnehmen. Bisher hat sich das allerdings noch nicht ergeben. Bei der Auswahl achtet Franzen auf die Bilder, die die Reisenden auf der Plattform hochladen: "Ich will schon ein Gesicht sehen, bevor ich jemanden zu mir nach Hause lasse." Außerdem helfen ihr die Bewertungen bei der Auswahl.
Sie kann die Anfrage eines Reisenden auch ablehnen. Das tut sie, wenn sie in dem Moment wenig Zeit hat. "Wenn ich einen Gast habe, will ich mich auch um ihn kümmern", sagt Franzen. Grundsätzlich würde sie das Couchsurfing weiterempfehlen, an weltoffene und tolerante Leute. "Man muss Interesse an den Reisenden haben, sonst bringt es nichts", sagt sie. Franzen öffnet auch künftig gerne ihre Türen für Menschen aus anderen Ländern.
"Fühlt euch wie Zuhause" ist ein Satz, den Ursula Werner immer zu ihren Gästen sagt. "Sie dürfen hier alles machen", sagt Werner. Sie zeigt ihnen das Gästezimmer und das Bad, sie bekommen einen Schlüssel. Mal essen sie gemeinsam, machen Ausflüge oder sitzen einfach zusammen am Tisch und unterhalten sich. "Es ist einfach unkompliziert", sagt auch ihr Mann Roland.
Eine Reisende aus Tschechien hat schon mal für das Ehepaar gekocht, eine andere die Wohnung geputzt oder auf dem Bauernhof mitgeholfen. Es sei ein Geben und Nehmen. Andere sind einfach froh über ein bisschen Ruhe. So war eine Reisende vorher mit dem Zelt unterwegs: "Sie war einfach glücklich über das Bett und eine Dusche", erinnert sich Roland Werner.
Die Werners freuen sich über ein bisschen Leben Zuhause. Ihre vier Kinder haben mittlerweile das Haus verlassen. Der Besuch der jungen Reisenden bietet Ersatz: "Es ist, wie ein eigenes Kind da zu haben", sagt Werner. Einer ihrer Söhne hat selbst viel Couchsurfing auf seinen Reisen genutzt. Ein Grund, warum Werner Gäste zu sich bittet: "Ich möchte etwas zurückgeben, weil mein Sohn davon profitiert hat."
Wenn die Gäste nach zwei oder drei Tagen die Wohnung der Werners verlassen, werden sie genauso herzlich verabschiedet, wie sie empfangen wurden. Dann heißt es: Tschüss sagen zum Zuhause auf Zeit. Mit einer Umarmung.
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