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Frau Faller, können die Bürger von Paris damit rechnen, ihre Notre-Dame noch einmal in alter Form zu sehen?
Da bin ich ganz zuversichtlich. An den Reaktionen gestern und heute zeigt sich, dass eine große Bereitschaft von der Staatsspitze über vermögende Bürger und auch die breite Bevölkerung da ist. Finanziell wie auch technisch ist ein Wiederaufbau durchaus leistbar, wenn man will - und diesen Willen haben ich in Paris verspürt.
Das Wichtigste ist zunächst, dass das Feuer mit allen Glutnestern in versteckten Ecken vollumfänglich gelöscht wird. Entgegen meiner Befürchtungen von gestern Nacht hatte ich heute Morgen das Gefühl, es steht doch noch mehr von der Kathedrale. Als Nächstes müssen das Gewölbe, die Außenwände und das Strebewerk daraufhin untersucht werden, ob sie durch die große Hitze Schäden erlitten haben. Dann stellt sich die Frage, ob man diese sanieren kann oder Teile neu aufbauen muss. Das sollte man nicht übers Knie brechen, sondern mit Bedacht angehen.
Das Deckengewölbe hat sich mit Löschwasser vollgesogen und gilt daher noch als einsturzgefährdet.
Alle Materialien nehmen bei Brandeinsätzen natürlich ihren Schaden. Das ist eine Diskussion, die auch im Zusammenhang mit dem Einbau von Sprinkleranlagen immer wieder geführt wird. Ein Teil der Debatte dreht sich um die Frage, ob diese Anlage nicht mehr Schäden verursacht als ein möglicher Brand. Das ist unabhängig vom Baualter. Materialien, die mit Wasser reagieren - egal ob Stein oder Holz - alles leidet unter Wasser. Eine große Herausforderung ist jetzt, das Gewölbe schnellstmöglich zu unterstützen. Das ist mit seinen 30 Metern sehr hoch. Ich kann mir vorstellen, dass die Kollegen vor Ort Stützkonstruktionen aufstellen, um zu verhindern, dass das Gewölbe einstürzt und es so lange zu schützen, bis es vollständig getrocknet ist.
Das Notre-Dame ist wie die meisten französischen Kathedralen aus einem Kalkstein gebaut worden. Der erträgt sehr viel, auch Hitze bis zu einem bestimmten Grad. Die genauen Schäden müssen jetzt noch geprüft werden.
Natürlich, ich bin optimistisch. Im Mittelalter sind zahlreiche Kirchen auf diese Art und Weise zu Schaden gekommen. Damals waren es vor allem Blitzeinschläge, die für große Brände gesorgt haben. Man hat die Dächer aber immer wieder aufgebaut. Es ist natürlich wichtig, dass den Verantwortlichen das Gebäude so viel wert, dass sie es wieder aufbauen wollen. Technisch ist das kein Problem.
Solange wir die genauen Schäden nicht kennen, kann man keine Aussage über die Dauer und Kosten des Wiederaufbaus treffen. Das wäre reine Spekulation. Bisher weiß niemand, welche Arbeiten notwendig sind. Ich glaube nicht, dass es fünfzig Jahre braucht, eher zehn Jahre. Aber bei der Turmsanierung im Freiburger Münster haben wir auch fünf Jahre veranschlagt und dann zwölf Jahre gebraucht.
Wenn in hölzerner Umgebung gearbeitet wird, ist eine besondere Sorgfalt im Umgang mit offenem Feuer gefragt. Wenn man also Metalle oder Bleche lötet, können Funken entstehen. Es kann aber auch sein, dass ein elektrisches Werkzeug Funken schlägt oder ein Kurzschluss die Ursache für einen Schwelbrand ist. Diese Gefahren behält man im Hinterkopf und versucht das Menschenmögliche zu verhindern.
Der Dachstuhl ist aus Holz und das ist eben schon seit 1200 dort. Das Holz kann dem Feuer zwar eine ganze Weile widerstehen, bildet zunächst Schutzschicht um den Holzkern. Aber die Temperaturen waren dann doch zu lange und zu hoch, sodass das Holz in diesem Fall tatsächlich verbrannt ist. Der hölzerne Dachstuhl wird von den Außenmauern aus Stein getragen, so wie auch das Gewölbe.
Vor allem den Innenraum finde ich beeindruckend. Diese große Höhe mit nochmal fünf Metern mehr als in Freiburg sorgt für ein erhebendes Raumgefühl. Beim Betreten der Kathedrale spürt man auch die Bedeutung dieses Innenraums und seine eigene Spiritualität. Man kann sagen, dass Notre-Dame die große Mutter der ganzen gothischen Kathedralen ist.