Vier Frauen aus Afghanistan und dem Iran erzählen, was es für sie bedeutet, in Deutschland zu leben.
Sie verlassen ihr Heimatland und legen in Deutschland das Kopftuch ab, gehen zur Schule oder trennen sich von ihrem Mann. Geflüchtete Frauen erlangen hier oft ein neues Selbstbewusstsein, weil ihnen mehr Rechte zugesprochen werden.
Obwohl etwa ein Drittel aller Geflüchteten Frauen sind, ist die öffentliche Wahrnehmung vor allem männlich geprägt. Im Sommer 2018 leben in Deutschland insgesamt 673.409 Geflüchtete, 235.785 davon sind Frauen. Das sind knapp 35 Prozent ( Deutscher Bundestag). Meist werden sie aber nur als Ehefrauen, Mütter und passive Begleiterinnen männlicher Migranten gesehen. Sie bleiben unsichtbar.
Wir haben vier Frauen aus Afghanistan und Iran getroffen. Sie erzählen, was Selbstbewusstsein für sie bedeutet.Nilufar, 31, hat in Afghanistan und Iran gelebt: "Ich kann andere Frauen ermutigen."
" Mein Leben ist heute bunt. Ich bin in Afghanistan geboren und habe lange in Iran gelebt. Dort war alles grau. Als Frau hatte ich wenig Rechte, ich durfte nicht mal allein vor die Tür gehen. Frauen können nicht handeln, weil ihnen der Rückhalt fehlt - privat wie politisch. Seitdem ich in Deutschland lebe, denke ich immer wieder: Ich kann endlich atmen. Da ist keine Angst mehr, wenn ich rausgehe. Zum ersten Mal fühle ich mich sicher. Und: Ich kann ein selbstbestimmtes Leben führen.
Als ich 2015 mit meinem Mann und meiner heute siebenjährigen Tochter hier angekommen bin, habe ich sofort mein Kopftuch abgelegt. Ich finde, jede Frau sollte selbst entscheiden, ob sie es trägt. Trotzdem bin ich gläubig, folge dabei aber keinen starren Regeln. Viele wissen nicht, dass sich der Islam ständig modernisiert und eine sehr offene Religion ist. Darin wird ein positives Frauenbild vertreten. Ursprünglich beten Frauen und Männer nebeneinander, in der gleichen Reihe.
Früher wollte ich Anwältin werden und für die Rechte der Frauen kämpfen. Heute versuche ich, diesen Wunsch anders zu verwirklichen. Ich helfe Frauen, die in Deutschland ankommen und noch kein Deutsch sprechen. Wir gehen gemeinsam zum Arzt oder füllen Formulare aus. Und ich habe bei einem Projekt mitgemacht, das geflüchtete Frauen stärkt. Es heißt " Mut". Dort haben wir Ausflüge organisiert, Tipps ausgetauscht oder zusammen getanzt.
„Wo das Recht einer Frau untergeht, verliert sie ihre Stimme."
Mir ist es wichtig, mich für andere Frauen einzusetzen. Wir müssen uns gegenseitig unterstützen, weil Männer oft stärker sind. Ich habe nichts gegen Männer, aber Frauen können selbst über sich bestimmen. Frauen sind ein wichtiger Pfeiler der Gesellschaft. Wie kann eine Gesellschaft selbstbewusst sein, wenn Frauen es nicht sind?
Was ich auf der Flucht gelernt habe, ist, dass niemand seine Heimat freiwillig verlässt. Dort gibt es keine Sicherheit und keine Zukunft - gerade für Frauen nicht."
Schamila und Mariam, 19 und 20, aus Afghanistan: "Endlich können wir zur Schule gehen."
"Unser Leben in Afghanistan war ganz anders. Wir hatten keine Freundinnen, wir durften nicht in die Schule gehen oder Sport machen. Heute lernen wir alle Fächer. In der Moschee haben wir nur den Koran gelesen und Arabisch gelernt - das war alles. Es ist befreiend, einen Abschluss machen zu dürfen. Dadurch können wir unsere Traumberufe erlernen: Augenärztin und Bankkauffrau. Und wir haben angefangen, Handball zu spielen.
„Frauen können alles machen, alles schaffen, alles sein."
Ein Jahr nachdem wir in Deutschland ankamen, haben wir beide das Kopftuch abgelegt. Wir wollten es nicht mehr tragen - uns nicht anders fühlen als die anderen. Das war zuerst ungewohnt, da wir in Afghanistan komplett verschleiert waren. Doch schnell fühlte es sich alltäglich an. Unsere Mutter hat uns gesagt, wie dürfen es selbst entscheiden und war einverstanden.
In Afghanistan durfte unsere Mutter nicht alleine leben. Es kommt oft vor, dass Mädchen ab zehn Jahren zwangsverheiratet werden. Unser Onkel hat zum Beispiel versucht, uns mit fremden Männern zu verheiraten. Wir Mädchen haben uns immer dagegen gewehrt. Wir haben geweint und geschrien. Deshalb wurden wir geschlagen, aber der Widerstand war uns wichtiger. Wir haben den Schmerz ausgehalten.
Zainab, 36, aus Afghanistan: "Als alleinerziehende Mutter trage ich die volle Verantwortung."
"Ich glaube, wir können die Gesellschaft nur verändern, indem wir unsere Rechte einfordern. Auch in Deutschland werden Frauen benachteiligt, aber man ist schon etwas weiter. Ich möchte ein internationales Unternehmen gründen und damit die wirtschaftliche Lage der afghanischen Frauen stärken. Denn Gewalt ertragen viele nur, weil siefinanziell abhängig von ihren Männern sind. Würdendie Frauen selbst Geld verdienen,könnten sie sich leichter trennen. Wirtschaftliche Sicherheit bedeutet Freiheit.
„Die Gesetze sind für Männer. Es ist ein System gegen Frauen, in dem Mütter nicht gleichgestellt sind."
Doch es ändert sich etwas: Junge Frauen in Afghanistan vergleichen sich mit Frauen auf der ganzen Welt - und das wollen sie auch. Sie haben dieselben Träume, wollen reisen, sich fortbilden und finanziell unabhängig sein. Sie möchten sich selbst verwirklichen, aber das können sie oft noch nicht.
Ich denke, dass wir immer die Wahl haben. Wir müssen an uns selbst glauben. Glauben, dass wir Rechte haben. Frauen müssten überall als gleichwertig angesehen werden. Dafür müssen wir aber gemeinsam kämpfen."