Christina, 52, arbeitet als Gymnastiklehrerin. In der Krise verdient sie
keinen Cent. Jetzt lebt sie auf Kosten von Mutter und Freund und hofft
auf Corona-Hilfen.
Der Ausbruch des Coronavirus verändert für viele Menschen, wie und
wo sie arbeiten und wie viel Geld sie verdienen. Wer Glück hat, zieht
ins Homeoffice. Freiberuflern aber brechen Aufträge weg, sie wissen
nicht, wie sie ihre Miete bezahlen sollen. Unternehmer müssen die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlassen. In der Serie "Kontoauszug"
stellen wir Menschen vor, die genau davon erzählen: Was heißt Corona
für die Arbeit – und für das Konto? Hier berichtet die 52-jährige
Christina, die vor der Krise als Gymnastiklehrerin in Engelskirchen bei
Köln gearbeitet hat. Jetzt hat sie Corona-Hilfen beantragt.
Mein Job
Beruf:
Gymnastiklehrerinnen wie ich arbeiten in Rehakliniken, Kurheimen,
Sportvereinen, Fitnessclubs oder in Unternehmen. Sie erstellen
Fitnesspläne, unterstützen Menschen beim Abnehmen und leiten
Gerätetrainings an. Anfangs des Jahres hatte ich noch Jobs bei
unterschiedlichen Arbeitgebern: eine Teilzeitstelle und einen Minijob in
einem Gesundheitszentrum und wechselnde freiberufliche Kurse. Dort habe
ich beispielsweise Rehasport oder Gymnastikstunden angeboten. Durch die
aktuellen Corona-Beschränkungen ist meine Arbeit nun nicht mehr
möglich. Zuerst hat ein Auftraggeber meinen Wassergymnastikkurs
gestrichen. Die Unternehmensberatung, bei der ich ein Fitnesstraining
geleitet habe, hat auf Homeoffice umgestellt. Der Kurs wurde also nicht
direkt abgesagt, aber es ist niemand mehr da, der daran teilnehmen
könnte. Ende Februar wurde ich aufgrund eines grippalen Infekts krank
geschrieben. Danach, während der bisherigen Hochphase von Corona, hat
mein Arbeitgeber mir Kurzarbeit mit null Stunden angeboten. Durch meinen
Teilzeitvertrag hätte ich dann aber gerade mal 400 Euro im Monat
bekommen. Deshalb habe ich diesen Antrag nicht unterschrieben. Kurze
Zeit später kam die Kündigung.
Seitdem bin ich wieder reine Freiberuflerin. Leider ohne Aufträge. Um mich über Wasser zu halten, habe ich gerade Corona-Hilfen beantragt. Ob ich sie bekomme, ist noch offen. Das ist bitter, habe ich doch eine dreijährige Ausbildung durchlaufen und zahlreiche Weiterbildungen besucht. Ich gebe aber nicht auf, nutze die Zeit jetzt für eine sechsmonatige Onlinefortbildung im Bereich Faszien-Yoga. Die Präsenzphase war bereits Mitte Oktober, für den Onlineteil hatte ich nie Zeit. Das ist jetzt anders. Irgendwann kann ich hoffentlich die dazugehörige Prüfung ablegen und diese Yoga-Form künftig auch anbieten. Natürlich versuche ich mich körperlich und geistig fit zu halten, mache Yoga und Gymnastik, um nach der Krise wieder starten zu können. Zusammengerechnet sind das zwei Stunden am Tag, kein Vergleich zu vorher. Arbeit würde ich das auch nicht nennen. Arbeit bedeutet für mich, dass ich Geld für meine Tätigkeit bekomme. Und das bekomme ich momentan nicht.
Das macht mir gerade Sorgen:
Das Virus selbst macht mir keine Angst. Anders ist es, wenn ich an die
politische und wirtschaftliche Situation in diesem Land denke. Sie hat
sich ja bereits auf mich ausgewirkt: Ich darf nicht in meinem Beruf
arbeiten: Nicht in Kur-Kliniken, Rehazentren, Hallenbädern,
Sportvereinen oder Firmen. Das ist quasi ein Berufsverbot. Eigentlich
mag ich mein auf mich passend zugeschnittenes Leben: Einen Teil der Zeit
verbringe ich bei meiner 88-jährigen Mutter im Rheinland, einen anderen
Teil bei meinem Lebensgefährten auf Langeoog. Das ist jetzt alles
deutlich schwieriger geworden. In Zukunft möchte ich zwar mein Leben
wieder so aufbauen, offen ist nur, wie und wann das klappt. Bis meine
bisherige Arbeit, wenn überhaupt, wieder möglich wird, dauert es wohl
noch bis in den Sommer hinein. Und dann muss ich erstmal eine neue
Anstellung oder Honorarjobs finden. Meine konkrete Perspektive ist
deshalb: stilvoll verarmen.
Meine Einnahmen
Brutto: Wie bei vielen Gesundheitsberufen werden auch Gymnastiklehrerinnen oft schlecht bezahlt. Trotzdem war das für mich in Ordnung, weil meine Lebensqualität hoch war. Mit meiner Teilzeitstelle im Gesundheitszentrum verdiente ich 800 Euro, hinzu kamen 450 Euro durch den Minijob und schwankende Beträge aus freiberuflicher Arbeit. Zusammen waren es durchschnittlich circa 1500 Euro brutto im Monat. Das ist jetzt alles weggefallen. Jetzt hoffe ich auf die beantragten Corona-Hilfen für Freiberufler.
Netto: Von meiner Teilzeitstelle blieben mir nach Steuern
640 Euro, die 450 Euro durch den Minijob waren hingegen steuerfrei. Mit dem ein
oder anderen freien Auftrag hatte ich dann meistens netto 1200 Euro im Monat.
Seit der Krise habe ich gar keine Einnahmen mehr
Meine Ausgaben
Miete: Mein Lebensgefährte lebt auf Langeoog. Wenn ich dort bin, beteilige ich mich an unserer gemeinsamen Haushaltskasse. In Engelskirchen habe ich mit meiner Mutter ein Haus gemietet. Dort zahle ich, weil wir einen ziemlich alten Mietvertrag haben, 360 Euro für Miete und Nebenkosten. Zusammen sind das also ungefähr 500 Euro pro Monat. Wie ich das langfristig bezahlen soll, weiß ich nicht.
Kleidung: Ich war und bin niemand, die sich über teure Klamotten definiert. Ich mag es originell und nachhaltig. Schon vor der Krise habe ich die meiste Kleidung secondhand gekauft – bei eBay, auf Trödelmärkten oder im Laden. Ich habe den Vorteil, dass meine Töchter und ich dieselbe Konfektionsgröße haben. Wenn die beiden ihren Kleiderschrank ausmisten, ist oft etwas für mich dabei. Und auch mit meinen Freundinnen habe ich manchmal Klamotten getauscht, um für mehr Abwechslung zu sorgen. Insofern gebe ich durchschnittlich sicher nicht mehr als 20 Euro pro Monat für Kleidung aus, einsparen kann ich hier nichts mehr.
Lebensmittel: Schon vor Corona habe ich selten auswärts gegessen. Das lag daran, dass ich oft abends während der klassischen Restaurantzeiten gearbeitet habe. Manchmal hat mich mein Freund ins Restaurant eingeladen – darauf verzichten wir jetzt ganz. Für zu Hause kaufe ich als Vegetarierin die meisten Lebensmittel im Bioladen, weil mir Qualität und Nachhaltigkeit wichtig sind. Deshalb hätte ich vor der Krise für Lebensmittel rund 300 Euro monatlich veranschlagt. Seit Corona esse ich einfach weniger, schließlich habe ich durch die wenige Bewegung auch einen geringeren Kalorienverbrauch. Meinen beiden Töchtern bezahle ich eine Gemüseretterbox. Die habe ich bisher nicht storniert, weil es den beiden BaföG-Studentinnen finanziell nicht anders geht als mir. Alle zwei Wochen macht das 21,90 Euro. Für Essen gebe ich deshalb wohl immer noch etwa rund 300 Euro im Monat aus.
Unterhaltung: Früher bin ich gerne auf Konzerte gegangen, von Die Ärzte bis zur Zauberflöte. Hobbymäßig habe ich mit anderen zusammen Geocaching, eine Art GPS-Schnitzeljagd, gemacht. Das hat Corona völlig verändert. Reisen fällt komplett aus, Freunde treffen ebenso. Ich habe monatlich sicher fünf bis zehn gebrauchte Bücher gekauft. Jetzt kaufe ich nur noch ein bis zwei Bücher pro Monat und tausche viele mit Freundinnen. Meine Zeitungsabos habe ich behalten – vorerst. Ich hatte noch nie einen Fernseher, kein Amazon Prime und nutze Netflix im Familienabo meines Freundes. Bleibt also nur mein Spotify-Abo für 9,99 Euro. Aktuell vertreibe ich mir die Zeit mit Yoga und Gymnastik, das kostet mich nichts. Ich habe meine Querflöte und Gitarre wieder entdeckt, mache Gartenarbeit und Spaziergänge. Für Freizeit gebe ich deshalb wahrscheinlich weniger als 20 Euro monatlich aus, hinzu kommen noch 80 Euro für meine beiden Katzen.
Reisen: Einen All-Inclusive-Urlaub konnte und wollte ich mir nie leisten. Dennoch bin ich immer gerne und viel gereist, für wenig Geld. Zum Beispiel habe ich die Unterkunft bei Freunden und Bekannten organisiert, dafür haben meine Mitreisenden einen Großteil der Verpflegungskosten übernommen. Wenn ich meine Töchter in Berlin besuche, schlafe ich bei ihnen. Letztes Jahr noch habe ich jede dritte Woche bei meinem Freund auf Langeoog verbracht. Ich bin mit meinem Auto, einem alten Toyota, da hingefahren. Der Zug braucht länger und ist gleichzeitig teurer. Auch das mache ich jetzt seltener. Für die Fahrten mit dem Auto rechne ich hin und zurück mit 100 Euro Spritkosten. Zusammen mit der Fähre und den Parkplatzkosten kam ich dann auf 150 Euro pro Aufenthalt. Den Parkplatz an der Küste habe ich aber schon gekündigt. Der rentiert sich dieses Jahr nicht, weil ich nicht weiß, wie oft ich mir die Fahrten künftig leisten kann
Versicherungen: Ich bin keine Freundin von Versicherungen. Deshalb habe ich nur das Minimum: Meine Haftpflichtversicherungen fürs Auto, den Beruf und privat. Und seit meiner Kündigung den Freiberufler-Mindestsatz bei meiner Krankenkasse. Das sind 195 Euro. Sonst habe ich weder Hausratsversicherung noch Unfallversicherung oder Rechtsschutz. Früher hatte ich eine Berufsunfähigkeitsversicherung. Als ich sie nach einer Borrelioseinfektion gebraucht hätte, wollte sie nicht zahlen, deshalb habe ich sie gekündigt. Für Versicherungen gebe ich deshalb 250 Euro monatlich aus. Allerdings muss ich einen Teil der Kosten für meine Osteopathiebehandlungen selbst übernehmen, somit kommen noch einmal 45 Euro monatlich dazu. Zusammen sind das 100 Euro im Monat.
Telefon und Handy:
Für meinen Festnetzanschluss plus Internet zahle ich 46 Euro. Darin ist
eine Auslandsflatrate enthalten, weil ich einige Freunde in anderen
Ländern habe. Zusätzlich habe ich ein Prepaid-Handy mit einem günstigen
Tarif. Selbst wenn ich mal Datenvolumen dazu buche, komme ich höchstens
auf zehn Euro. Zusammen zahle ich 56 Euro im Monat.
Aktuell nichts. Üppig gelebt habe ich schon vor der Krise nicht, aber ich war zufrieden mit meinem Job und meinem Leben. Frei nach dem Motto: Ich bin reich, wenn es reicht. Jetzt reicht es nicht mehr. Wie es jetzt weitergeht, weiß ich nicht. Ich will mich nicht dauerhaft von meiner Mutter und von meinem Freund durchfüttern lassen, das ist mir unangenehm. Gleichzeitig kann ich meine Rechnungen bald nicht mehr bezahlen – ob und wann ich Corona-Hilfen bekomme, weiß ich nicht. Mein einziger Vorteil: Ich komme auch mit wenig zurecht. Ich hatte nie einen kostspieligen Lebensstil und immer andere Prioritäten als Geld. Auch als ich mit meinen Töchtern im Ausland gelebt habe, hatten wir nicht viel Geld und trotzdem eine gute Zeit. Gedanken daran helfen mir jetzt, halbwegs ruhig zu bleiben.
Wenn Sie uns auch erzählen mögen, wie sich Ihre Arbeit durch das Coronavirus verändert und was das für Ihren Kontostand bedeutet: Schreiben Sie uns an kontoauszug@zeit.de.
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